Wahl im Saarland Piraten zimmern sich Last-Minute-Programm
Manchmal brauchen auch die größten Basisdemokraten ein Machtwort. Als die Piraten am Samstag eine knappe Stunde allein darüber streiten, in welcher Reihenfolge sie Programmanträge beraten wollen, tritt Landeschefin Jasmin Maurer im Bürgerhaus Saarbrücken-Dudweiler ans Mikrofon: "Je länger wie reden, desto weniger Zeit bleibt für den Inhalt", sagt sie. Die Piraten klatschen, beenden die Debatte, beschließen die Tagesordnung.
Für die Piratenpartei im Saarland drängt die Zeit. In zwei Wochen wählt das kleine Bundesland einen neuen Landtag - und den Piraten fehlte bislang das Nötigste: ein Wahlprogramm. Vierzehn Tage vor der Abstimmung wollen sie sich nun im Bürgerhaus Saarbrücken-Dudweiler ein Vollprogramm zusammenzimmern: an einem Wochenende aus 187 Anträgen. Es geht um Urnenbestattung, das "cannabispolitische Programm", Nebeneinkünfte von Abgeordneten und die Praxisgebühr. "Es ist schon heftig", stöhnt Pressesprecher Thomas Brück nach ein paar Stunden. Zuerst werden die Themen behandelt, zu denen es die wenigsten Anträge gibt. Eine ungewohnte Reihenfolge, doch das Ziel ist klar: "Wir wollen so viel Programm wie möglich schaffen", so Brück.
Der kleine Landesverband, den der Zusammenbruch der Jamaika-Koalition im Januar und die Neuwahlen völlig unvorbereitet trafen, will es den anderen Parteien im Saarland zeigen, allen, die mehr Geld, Routine und Mitglieder haben. Und den Piraten im Rest-Deutschland.
Für die gesamte Piratenpartei ist die Saarwahl immens wichtig. Es ist die erste Landtagswahl seit dem Einzug ins Berliner Abgeordnetenhaus vor einem halben Jahr. Im Saarland entscheidet sich auch, ob die Piraten das Image einer parlamentarischen Eintagsfliege abschütteln können. Landeschefin Maurer, 22 Jahre alt, sagt: "Wir spüren den Druck auf unseren Schultern."
Themen online abfragen
Es sieht nicht schlecht aus: Eine Forsa-Umfrage vom Freitag sieht die Piraten bei fünf Prozent - noch vor den Grünen (vier Prozent) und vor der FDP (ein Prozent) sowieso. Dabei war der junge Landesverband im kleinen Saarland anfangs denkbar schlecht vorbereitet. Seit die Jamaika-Koalition im Saarland platzte, gründeten die Piraten Kreisverbände, wählten ihre Kandidaten - doch stets fehlte das Programm. Beim Wahl-O-Mat musste man auf das Grundsatzprogramm der Bundespartei zurückgreifen und die Parteimitglieder online zu Themen befragen.
Im Saal im Bürgerhaus Dudweiler zeigt die Partei ihr Gesicht: kaum Nerds mit Kastenbrillen, sehr wenige Laptops für Piratenverhältnisse - nur ein gutes Drittel der 82 Anwesenden verfolgen über den Bildschirm gebeugt die Debatte. Ganz anders als auf anderen Piratenparteitagen. Die Saarpiraten sind älter und gesetzter, arbeiten als IT-Administratoren und Lehrer.
Bei der Programmdebatte halten sich die Redner an die 60 Sekunden Redezeit, Saar-Piraten lassen sich ausreden - was für ein Kontrast zur Gesamtpartei, wo die Frauen kürzlich über den rauen Ton auf Parteitagen klagten. "Die Veranstaltungen laufen bei uns disziplinierter ab", sagt Landtagskandidat Michael Hilberer. "Der Saarländer strebt nun mal nach Harmonie und Konsens."
Man kann auch sagen: Die Saarpiraten sind ziemlich unaufgeregt, trotz des Drucks. Einige Fernsehbeiträge haben sich lustig gemacht über die Normalo-Piraten und ihren etwas biederen Last-Minute-Wahlkampf. An der Saar stören sich manche an der Berichterstattung, doch eigentlich kommt ihnen das Image als Normalos nicht ungelegen. Denn die Piraten im Saarland wollen vor allem zeigen, dass sie eine ernsthafte Partei sind.
Ein bisschen Bildung, ein bisschen Jagdrecht
Am Samstagnachmittag geht es diszipliniert durch die Debatte. "Fünf Minuten pro Antrag, dann schaffen wir alles", sagt Schatzmeister und Landtagskandidat Andreas Augustin. Tatsächlich sind bis Samstagabend 85 durch.
"Das Wichtigste ist, den Vorwurf zu kontern, wie seien eine Ein-Themen-Partei." Auf diese Idee kann Dudweiler niemand kommen: Allein zu Bildung liegen 64 Anträge vor, 17 zum Tierschutz, 1 zum Jagdrecht. Selbst die vier Spitzenkandidaten aus den Wahlkreisen und der Landeslisten tragen zur Vielfalt bei: Schatzmeister Andreas Augustin fordert, das Tanzverbot an Feiertagen abzuschaffen. Landeschefin Maurer liegt der Tierschutz am Herzen - über den am Sonntag abgestimmt wird. Und Landtagskandidat Hilberer hat gleich mehrere Digital-Themen durchgebracht.
Die Wahlplakate, die auf der Bühne stehen, unterstreichen den Eifer, sich als normale Partei zu präsentieren. Es gibt ein Piraten-Insider-Plakat zum Staatstrojaner, doch der Großteil der Plakate zu Bildung ("Lernziele statt Lehrpläne") und Wirtschaft ("Erst der Mensch, dann der Markt") könnten auch von anderen Parteien stammen. Auf einem Plakat mit zwei Küken heißt es "Lebenswerte Umwelt erhalten". Nun ja.
