Debakel in Niedersachsen Bruchlandung der Piraten

Die Piraten kassieren in Niedersachsen die erste Schlappe seit ihrem Durchbruch - es ist eine krachende Niederlage. Die Krise der Partei verschärft sich. War's das schon mit dem Angriff auf die Etablierten?
Wahlparty der Piraten in Hannover: "Ich bin völlig baff"

Wahlparty der Piraten in Hannover: "Ich bin völlig baff"

Foto: dapd

Am Ende herrscht nur noch Ratlosigkeit. Der Spitzenkandidat seufzt noch lange nach den ersten Hochrechnungen: "Ich bin völlig baff, ich kann es mir nicht erklären." Seine Co-Spitzenkandidatin sagt leise: "Wir hätten mehr verdient gehabt." Und der Parteichef nippt auf dem tristen Treffen in Hannovers Faust-Kulturzentrum, das eigentlich eine Wahlparty werden sollte, an seinem Bier und sagt: "Das hätte ich nicht für möglich gehalten."

Die Piraten erleben am Sonntagabend einen harten Realitätsschock. Noch wenige Minuten vor den ersten Prognosen probt man auf der Bühne den Jubel, wenn auf der Leinwand "der fette Balken für die Piraten" kommt, so sagt es der Moderator. Doch es baut sich kein Balken auf, es tönt kein Jubel - es kommt nur gequältes Stöhnen. Die Piratenpartei ist an diesem Abend in Hannover wieder in der Kategorie "sonstige Parteien" gelandet.

Die Piraten sind gescheitert bei der Niedersachsenwahl, weder knapp noch unglücklich, sondern krachend. Es ist die erste Niederlage nach dem Durchbruch in Berlin. Das Ausmaß wird deutlich, wenn man das Resultat in eine Reihe mit den Wahlergebnissen seit Herbst 2011 stellt: In Berlin gab es 8,9 Prozent, im Saarland 7,4, in Schleswig-Holstein 8,2, in Nordrhein-Westfalen 7,8 und nun Niedersachsen mit 2,1 Prozent.

Für die tapferen Wahlkämpfer vor Ort ist es ein bitterer Abend. Niemand von ihnen schien am Einzug in den Landtag zu zweifeln. "Ich gehe davon aus, dass ich bald Abgeordneter bin", sagt Spitzenkandidat Meinhart Ramasmamy noch kurz vor 18 Uhr. Katharina Nocun, Listenplatz zwei, hat bereits Geschäftsordnungsanträge für den Landtag ausgearbeitet. Die müssen nun in der Schublade bleiben.

Die Piraten kreisen um sich selbst

Von außen betrachtet kommt das Niedersachsen-Desaster allerdings nicht wirklich überraschend. Der Absturz in den bundesweiten Umfragen, den die Piraten seit dem Sommer hinlegen, schlägt sich nun eben erstmals im Ergebnis einer wichtigen Wahl nieder. Seit dem Herbst kleben die Piraten, im Frühjahr noch zweistellig, auch im Bund unter der Fünfprozenthürde. Das große Ziel, der Einzug in den Bundestag, ist gefährdet. Die Schlappe in Niedersachsen macht es noch schwieriger.

In Hannover schiebt man die Klatsche schnell auf den zugespitzten Lagerwahlkampf in Niedersachsen, beim Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Schwarz-Gelb und Rot-Grün sei man zerrieben worden. Das diktieren der Landesvorstand und politische Geschäftsführer Johannes Ponader in die Mikrofone. Ponader sagt aber auch: "Wir haben auf der Bundesebene kein gutes Bild abgegeben."

Seit einem halben Jahr kennt die Piratenpartei nur eine Richtung: abwärts. Die Umfragewerte schrumpften zusammen, Streitigkeiten im Bundesvorstand und zwischen Gruppierungen überlagerten die inhaltliche Arbeit. Auch bei potentiellen Wählern kam vor allem eins an: Die Piraten kreisen um sich selbst. Über die permanente Selbstbeschäftigung hat die Partei die Profilierung vergessen. Auch in Niedersachsen war nicht klar, wofür genau man die Piraten denn bitte schön wählen sollte.

Klatsche zur richtigen Zeit?

Parteichef Schlömer hat das zwar erkannt. In Hannover sagte er: "Die Phase der Selbstbeschäftigung muss aufhören." "Wir haben in Niedersachsen und auch im Bund ganz offensichtlich nicht deutlich genug gemacht, wofür die Piraten stehen und weshalb es eine Wende in der Politik ohne die Piraten nicht geben wird." Schlömer will starke Köpfe in den Vordergrund stellen, das Piratenmotto "Themen statt Köpfe" entsorgen. Die Frage ist, ob die Basis mitzieht - und der Wähler noch Geduld hat.

Ist das Piratenabenteuer, der große Angriff auf die Etablierten, bereits vorbei? Nicht zwangsläufig. Auch wenn die anderen von den Piraten gelernt haben: Niemand versteht das Netz besser als die Piraten, immer noch sind genügend Bürger enttäuscht von dem, was sie als etablierte Politik wahrnehmen.

Es gäbe also genug, womit die Piraten trommeln könnten. Doch die Zeit bis zur Bundestagswahl ist knapp. Auch deshalb sagte ein Pirat in Hannover: "Eine Klatsche zur richtigen Zeit." Damit es wieder bergauf geht, müssten die Politikfreibeuter auch etwas zeigen, was sie seit ihrem Durchbruch haben vermissen lassen: einen Funken Selbstkritik und die Bereitschaft, aus Fehlern zu lernen. Bislang suchten sie stets die Schuld bei anderen - in Niedersachsen vor allem bei den Medien.

Die wichtigste Lektion dieses tristen Sonntags in Niedersachsen dürfte daher lauten: Rückschläge, auch krachende Niederlagen, gehören im politischen Geschäft dazu - entscheidend ist, ob man aus ihnen lernt.

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