
Der Tag danach: Schulterklopfen und Wundenlecken in Berlin
Wahldebakel Müntefering deutet Rückzug als SPD-Chef an
Berlin - Durchhalteparolen klingen anders. SPD-Chef Franz Müntefering hat nach dem Debakel bei der Bundestagswahl seinen Rückzug von der Parteispitze angedeutet. Die SPD werde bis zur "übernächsten Woche" ein endgültiges Personal-Tableau vorlegen, kündigte Müntefering am Montag in Berlin an. "Ich habe deutlich gemacht, dass ich als Parteivorsitzender um meine Verantwortung weiß."
Er halte es jedoch für "völlig falsch, wegzulaufen". Zu Spekulationen über seinen Abschied vom SPD-Vorsitz sagte er, dies sei "nah an der Wahrheit". Endgültig äußerte sich Müntefering, der die Partei seit vergangenem Jahr bereits zum zweiten Mal führt, nicht. "Ich will mithelfen, dass wir uns in den nächsten Tagen und Wochen aufstellen für die dann kommende Zeit", sagte der 69-Jährige wörtlich.
Wenn es als erforderlich angesehen werde, dass der Fraktionsvorsitzende auch Parteichef sein solle, werde er dem nicht im Wege stehen. Der bisherige Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier hatte sich am Sonntag nach der Niederlage als Oppositionsführer und damit als SPD-Fraktionschef zur Verfügung gestellt.
Steinmeier soll den Ton angeben
Zugleich bestätigte er, dass es auch Rücktrittsforderungen an seine Adresse gab. "Ich habe darauf jetzt nicht reagiert", sagte der SPD-Chef. Es habe Einvernehmen bestanden, jetzt nichts über das Knie zu brechen, sondern "darüber zu sprechen, in welcher Konstellation wir da antreten wollen. Schleswig-Holsteins SPD-Chef Ralf Stegner bezeichnete den Wahlausgang für die SPD als ein politisches Erdbeben. "Damit kann man nicht umgehen, indem man das Haus neu tapeziert", sagte Stegner in Berlin am Rande der Vorstandssitzung
Vor den Gremiensitzungen hatten führende SPD-Politiker wie Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck gefordert, dass Steinmeier künftig bei der SPD den Ton angeben müsse. Zur künftigen Rolle von Parteichef Müntefering äußerte sich öffentlich niemand.
Die Sozialdemokraten treffen sich Mitte November in Dresden zu ihrem nächsten Parteitag. Dann stehen auch Vorstandswahlen auf dem Programm.
Nach dem schlechten Abschneiden der SPD bei der Bundestagswahl hat der baden-württembergische SPD-Generalsekretär Peter Friedrich den Rückzug von Parteichef Franz Müntefering gefordert. "Franz Münteferings Ankündigung, erneut für den Parteivorsitz zu kandidieren, finde ich übereilt", sagte Friedrich der "Welt". "Die Unkultur der vorgesetzten Entscheidungen in der SPD muss beendet werden. Leider hat auch sie zu unserem schlechten Wahlergebnis beigetragen", kritisierte der SPD-Politiker.
"Die SPD braucht eine Erneuerung in den Köpfen und an den Köpfen", forderte Friedrich. "Gefragt ist eine Erneuerung, bei der es keine Tabus gibt." Den gescheiterten Kanzlerkandidaten Steinmeier bezeichnete Friedrich als den "richtigen Mann für die SPD in der Opposition".
Auch im größten Landesverband der SPD wächst nach der klaren Niederlage bei der Bundestagswahl der Druck auf Müntefering. "Müntefering ist nicht mehr zu halten", hieß es am Montag aus dem Landesvorstand der nordrhein-westfälischen SPD. NRW-SPD-Chefin Hannelore Kraft hatte am Sonntagabend ausweichend auf die Frage geantwortet, ob Müntefering Parteivorsitzender bleiben kann.
"Es lag nicht am Kandidaten"
Der Sauerländer Müntefering wird nach Angaben aus NRW-Parteikreisen für das schlechte Abschneiden der SPD verantwortlich gemacht. Vor allem die Rente ab 67 und die Mehrwertsteuererhöhung hätten der SPD bei ihren Stammwählern in den vergangenen Jahren massiv geschadet. Gerade mit Blick auf die NRW-Landtagswahl am 9. Mai 2010 sei nun ein "Neuanfang in der SPD" notwendig.
Im Präsidium und Parteivorstand gab es laut Müntefering eine intensive Debatte mit mehr als 40 Wortmeldungen zur Analyse des Wahldesasters für die SPD, die nach elf Jahren in der Regierung mit ihrem schlechtesten Bundestagswahlergebnis überhaupt nun auf die Oppositionsbänke muss. Auf den Spitzenkandidaten Steinmeier wollte niemand etwas kommen lassen. "Eine breite Meinung war da, es lag nicht am Kandidaten, es lag nicht am Wahlkampf", sagte Müntefering. In der Debatte fielen nach Angaben von Teilnehmern mehrfach die Stichworte Hartz IV und Rente mit 67. Hier seien Korrekturen auch in der Sache erforderlich, etwa was einen flexiblen Übergang in die Rente angehe.
Die ersten Personalentscheidungen in der SPD sollen am Dienstag bei der ersten Zusammenkunft der Bundestagsfraktion fallen. Die um ein Drittel auf noch 146 Abgeordnete geschrumpfte Fraktion soll Steinmeier dann an ihre Spitze wählen. Als zweiter wichtiger Mann hinter ihm soll der Parlamentarische Geschäftsführer Thomas Oppermann in dieser Funktion wiedergewählt werden.
An der Parteispitze steht damit ein grundlegender Umbau bevor, da der bisherige Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) bereits am Wahlabend seine Bereitschaft erklärt hatte, seinen Posten als einer der Stellvertreter zu räumen. Bereits vor der Wahl hatte es in SPD-Kreisen Überlegungen gegeben, Steinmeier könnte den Parteivorsitz übernehmen und die Stellvertreterriege auf fünf erhöhen