Wahldesaster FDP diskutiert den Fall Westerwelle
Berlin - Guido Westerwelle hat einen Standardsatz. Er enthält eine schlichte Wahrheit: "Nicht Umfragen zählen, sondern die Wahlergebnisse."
Wenn es nach diesem Satz ginge, dann müsste der Parteichef eigentlich zurücktreten. In zwei Bundesländern haben die Liberalen am Sonntag ihre Ergebnisse halbiert, in Rheinland-Pfalz sind sie gar aus dem Landtag geflogen, in Baden-Württemberg nur knapp einer ähnlichen Blamage entgangen. Es ist der bisherige Tiefpunkt in der Ära Westerwelle.
Doch der Vorsitzende denkt nicht an Rücktritt.
Noch wagt niemand in der Partei den offenen Putsch, auch die Riege der jüngeren Nachwuchskräfte um Philipp Rösler, Daniel Bahr oder Christian Lindner hält sich zurück. Generalsekretär Lindner sagt zwar noch am Wahlabend, man könne jetzt nicht zur Tagesordnung übergehen, man habe einen "Schlag ins Kontor bekommen". Aber er erklärt auch, "unter Führung von Guido Westerwelle" wolle die FDP nun in der kommenden Zeit über die "Teamaufstellung" und die "Schwerpunkte" der Arbeit diskutieren.
Schon am Sonntagnachmittag, eine Stunde vor der Schließung der Wahllokale, ahnten sie in der FDP, dass es ganz düster wird. Da versendete ein enger Mitarbeiter aus dem Umfeld des Parteichefs eine SMS an Journalisten. Mit dem ausdrücklichen Wunsch, sie auch zu veröffentlichen. Der Kernsatz bestand aus dürren vier Worten: "Westerwelle tritt keinesfalls zurück."
Kubicki schießt sich auf Homburger ein
Manche in der FDP stellen sich scheinbar taub. Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg - war da was?
"Geordnet und überlegt", sagt Westerwelle, wolle man die Lage analysieren. Das Wahlergebnis gehe an "niemandem spurlos vorbei", nicht in den beiden Ländern und auch nicht bei jenen, die in Berlin Verantwortung trügen. "Aber", fügt er hinzu, man wolle sich "auch Zeit nehmen, die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen." Es sind Sätze, die Normalität vorspiegeln sollen.
Dabei ist die FDP zutiefst verunsichert. Manche meinen, auch ohne Westerwelle würde es nicht besser. Am Wahlabend prosten sich vier Liberale im Dehler-Haus zu: "Na, dann auf den gelungenen Einzug in Baden-Württemberg", sagt einer. Die anderen grinsen. Die Wahlergebnisse fallen, aber Sarkasmus ist derzeit hoch im Kurs in der Partei.
Nichts soll zumindest den FDP-Fahrplan durcheinanderbringen, wie er vor den Urnengängen festgelegt wurde. Am 11. April werden Westerwelle und das Präsidium mit den Landeschefs über das Personaltableau für den kommenden Bundesparteitag beraten. Spätestens dann wird der FDP-Chef zu entscheiden haben, ob er sich einer erneuten Kandidatur im Mai in Rostock stellt. So wie es aussieht, bleibt der ganz große Aufstand erst einmal aus.
Selbst so notorische Westerwelle-Gegner wie der FDP-Fraktionschef in Schleswig-Holstein, Wolfgang Kubicki, gehen am Wahlsonntag nicht frontal auf den Parteichef los. Er nimmt sich stattdessen Birgit Homburger vor. Die FDP-Landeschefin von Baden-Württemberg und FDP-Fraktionschefin im Bundestag gehört zu den großen Verlierern. "Insbesondere Birgit Homburger nimmt meiner Meinung nach ihre Aufgabe als Vorsitzende der Bundesfraktion zur Profilbildung der FDP nicht ausreichend wahr", stichelt Kubicki. Alle schauen jetzt auf die wichtigen Landesverbände - wie reagiert NRW, Hessen? Bekommt die Führungsdebatte eine neue Dynamik?
Brüderle ist ebenfalls angeschlagen
Westerwelle wackelt, Homburger auch. Ein anderer Verlierer des Abends kommt aus Mainz. Es ist Rainer Brüderle, Bundeswirtschaftsminister und seit 28 Jahren FDP-Landeschef in Rheinland-Pfalz. Noch vor einem halben Jahr war er ganz obenauf, galt noch vor Weihnachten bei einigen in der FDP als mögliche Alternative zu Westerwelle - nun hat er wohl endgültig verspielt. Seine Aussage vor dem BDI, wonach das Atommoratorium vor allem den anstehenden Landtagswahlen geschuldet sei, hat die Liberalen wieder als schnöde Klientelpartei erscheinen lassen - diesmal für die Atomwirtschaft.
Brüderle spricht am Wahlabend davon, dass die Landespolitik von den Themen Japan, Krieg in Libyen und Euro überlagert worden sei. Und er macht die Koalition in Berlin dafür verantwortlich, keine "klare Linie" gezeigt zu haben.
Dafür erntet er Unmut in Berlin. Brüderle rede, als sei er nicht Teil der Regierung, heißt es. Der Chef der FDP-Nachwuchsorganisation, Lasse Becker, ist einer der wenigen, die sich vorwagen. Er stellt nicht nur Brüderles Wiederwahl als Vize und auch die von Sachsen-Anhalts Landeschefin Cornelia Pieper in Frage, er geht sogar noch einen Schritt weiter und bezweifelt, ob Brüderle nach der BDI-Panne noch seine Funktion als Wirtschaftsminister ausfüllen kann. "Er ist auch zuständig für Technologie und hat in der Atomdebatte jede Sensibilität für dieses Thema vermissen lassen", sagt er.
Japan, immer wieder Japan. In Westerwelles Welt ist vor allem die Atomkatastrophe für das schlechte Abschneiden seiner Partei verantwortlich. "Es war eine Abstimmung über die Zukunft der Atomkraft. Wir haben verstanden", sagt er.
Doch in der FDP glauben manche, dass das zu kurz greift. Martin Lindner, FDP-Bundestagsabgeordneter und kein Westerwelle-Freund, sagt, es gehe ja nicht allein um die Folgen von Japan oder den Libyen-Krieg: "Wir müssen uns darüber unterhalten, was im Lichte der letzten zwölf, vierzehn Monate falsch gelaufen ist." Auch Schnellschüsse seien jetzt nicht gefragt, schon gar nicht "irgendwelche Hoppla-Hop-Bauernopfer". Womit Lindner - unausgesprochen - Brüderle und Homburger meint.
Noch greift keiner den FDP-Chef, Außenminister und Vizekanzler Westerwelle direkt an. Viele wissen: Das würde die gesamte Statik verändern, in der Partei, auch im Bundeskabinett und in der Koalition. Denn würde Westerwelle als Parteichef gestürzt, müsste er wohl auch als Außenminister abtreten. Es ist mehr ein Raunen, das durch die FDP geht. Juli-Chef Lasse Becker sagt es so: "Wir müssen eine ernsthafte Faktenanalyse machen, bei der darf man nichts und niemanden aussparen."
Am Montag werden die Parteigremien damit beginnen.