Wahlkampf im Osten Wie Platzeck die SPD aus dem Tal führt
Oranienburg - "Irgendwann wird es respektiert, wenn man Flagge zeigt", hat Matthias Platzeck mal gesagt. Das war im vergangenen Oktober, kurz vor den Kommunalwahlen in Brandenburg. Platzeck saß in seinem Dienst-Mercedes, auf dem Weg von einem Wahlkampfauftritt zum nächsten. Der Satz hat nichts an Aktualität eingebüßt. Wieder ist der sozialdemokratische Ministerpräsident auf Tour, wieder geht es darum, Flagge zu zeigen - diesmal für Hartz IV.
Dass er häufiger im Mercedes als am Schreibtisch sitze, ist zu Beginn seiner Amtszeit oft kritisiert worden. Schlecht vorbereitet sei der Ministerpräsident, kenne die Akten nicht, weil er am liebsten durch sein "Ländchen" fahre. Inzwischen sind solche Vorwürfe nicht mehr zu hören. Zuletzt trat Platzeck in der Auseinandersetzung um die Hartz-IV-Reform als effektiver Vertreter ostdeutscher Interessen hervor.
27 Fotos: Nur Honecker hatte mehr
Das Reisen ist in diesen Tagen sein letzter Trumpf. Am Sonntag ist Landtagswahl in Brandenburg, und im Kopf-an-Kopf-Rennen gegen die PDS zählt jede Stimme. "Wir lassen keinen Marktplatz aus", lautet Platzecks Parole für den Endspurt. Seit vier Wochen redet er täglich auf einer oder zwei Kundgebungen. Während CDU-Mann Jörg Schönbohm sich nur in Vereinsheime und Tagungsräume traut und die DVU ihren virtuellen Wahlkampf aus München fernsteuert, geht Platzeck in den Nahkampf unter freiem Himmel.
In ihrer Verzweiflung hat die brandenburgische SPD den Wahlkampf voll auf den fotogenen Frontmann zugeschnitten. 27 Hochglanz-Fotos finden sich in der Broschüre, die allen großen Tageszeitungen der Region beigelegt wurde.
"Nur Erich Honecker brach diesen Rekord", lästert die "Bild"-Zeitung. Auch aus der PDS kommen spitze Bemerkungen über das "Poesiealbum" des Landesvaters, das 600.000 Mal gedruckt wurde. "Hier wird doch nicht Mister Brandenburg gewählt", meinte Dagmar Enkelmann, Spitzenkandidatin der PDS. Dabei wirbt die 1990 zur "Miss Bundestag" gekürte Blondine selbst nicht weniger offensiv mit ihrem Konterfei.
Umfragen: PDS fällt zurück
Ob es nun die Marktplatz-Auftritte sind oder die Fotos: Irgendetwas macht Platzeck richtig. Laut dem neuesten ZDF-Politbarometer hat die SPD den Spitzenplatz in der Wählergunst von der seit Wochen führenden PDS zurück erobert. 29 Prozent würden demnach die SPD wählen, nur noch 27 Prozent die PDS. Der Hartz-Effekt, der die Werte der PDS bis auf 36 Prozent hatte hochschnellen lassen, scheint abzuflauen. In anderen Umfragen hat die PDS noch die Nase vorn, aber der Vorsprung schmilzt.
Auch auf den Marktplätzen ist der Stimmungsumschwung zu spüren. In den ersten zwei Wochen des Wahlkampfes, als die Hartz-Wut auf ihrem Höhepunkt war, wurde Platzeck niedergebrüllt und mit Trillerpfeifen am Reden gehindert. In Senftenberg, in der strukturschwachen Lausitz, mussten seine Bodyguards Regenschirme aufspannen, um die Eier abzuwehren. Doch seit einer Woche, sagt einer seiner jungen Wahlkampfhelfer, "ist es ruhig".
Krawall stoppen, SPD wählen
Nach den Vorfällen in Senftenberg schrieb Platzeck einen offenen Brief an die 16.000 Haushalte des Ortes. "Senftenberg muss aufpassen, dass es nicht zur Hartz-IV-Krawallhochburg wird", zitiert er darin die Lausitzer Rundschau. Ganz Deutschland assoziiere den Ort mit dem Bild "grölender, tobender, pfeifender und zum Teil stark alkoholisierter Menschen". Das schrecke auch Investoren ab. "Entscheiden Sie sich gegen Krawall", bat Platzeck. "Setzen Sie bei der Landtagswahl am 19. September ein Zeichen für Stabilität".
Der Brief wurde zwiespältig aufgenommen: Etliche Senftenberger fühlten sich bevormundet. Der Bürgermeister schimpfte, dadurch werde Senftenberg erst zur Krawallhochburg gemacht.
Doch in der Regel trifft Platzeck den richtigen Ton. Zu seinen Veranstaltungen kommen immer mehr Zuhörer, sagt er. "Mal sind es 500, manchmal mehr als tausend". Am Donnerstag in Oranienburg nördlich von Berlin sind es deutlich weniger, die an den Biertischen die Spätsommersonne genießen. Eine Bühne ist aufgebaut, zwischen den Boxentürmen steht eine korpulente Frau und singt Udo Jürgens: "Ich war noch niemals in New York". Sie will, dass die Leute singen und schunkeln - vergeblich.
Platzeck: Der die Frauen versteht
Stimmung kommt erst auf, als der Ministerpräsident erscheint und das Brandenburg-Lied ertönt. "Steige hoch du roter Adler", singt Platzeck aus voller Kehle. Das Publikum klatscht mit.
Sein unpolitischer Wahlkampfslogan lautet "Einer von uns". Das ist gleichzeitig auch das erste, was den Leuten zu ihrem Ministerpräsidenten einfällt. Fast schon schamlos setzt die SPD auf die Popularität des dreifachen Vaters, der sich in der ARD-Talkshow Beckmann mal als "Frauenversteher" schmeicheln ließ.
58 Prozent der Brandenburger würden ihn gern als Ministerpräsidenten behalten. Sozialdemokratische Lokalpolitiker schärfen ihren Wählern daher ein: Wer Platzeck will, muss SPD wählen. Auch in Oranienburg heißt es: Keine Experimente.
Warum heute nicht mal DVU?
Diese Warnung zielt neben der PDS vor allem die rechtsextreme DVU. Deren Wahlplakate locken rund um den Parkplatz an der Breiten Straße mit der schlichten Frage "Warum nicht mal was andres?"
Dagegen appelliert Platzeck an den Lokalpatriotismus der möglichen Protestwähler: "Es geht um Brandenburg, nicht darum, der Bundesregierung einen Denkzettel zu verpassen."
Im Gegensatz zu den Genossen im Saarland betreibt Platzeck keinen Wahlkampf gegen Berlin. Er hat Nachbesserungen bei Hartz IV gefordert und durchgesetzt, etwa bei der Zahlungslücke, aber er verteidigt die Agenda-Reformen. "Die Massenarbeitslosigkeit ist entstanden, weil wir 20 Jahre lang nicht den Mut hatten, Reformen zu machen", ruft er den Menschen zu und erntet Applaus. Auch die SPD habe lange "Schiss in der Hose" gehabt.
"Die Erneuerung Deutschlands ist nicht um einen Monat verschiebbar gewesen", fährt er fort. "Deshalb stehe ich klipp und klar zu dieser Erneuerung. Alles andere wäre verantwortungslos".
Für Platzeck ist es der schwierigste Wahlkampf seiner Karriere. Der Mann, dessen Popularität noch von der Oderflut 1997 herrührt, als sich der Umweltminister zum "Deichgrafen" wandelte, muss gleichzeitig Kurs halten und Kritik üben. Er muss eine Reform verteidigen, die ihm von Anfang an nicht ganz gepasst hatte. Dass er das schafft, ohne unglaubwürdig zu werden, ist sein Erfolgsgeheimnis.
Die größte Herausforderung, sagt Platzeck hinterher, sei die Wahlbeteiligung. Er wäre schon froh, wenn sie am Sonntag über 50 Prozent läge. "Wir müssen draußen sein und Bereitschaft wecken", sagt er. Am Ende wird der SPD-Mann wohl Ministerpräsident bleiben und die rot-schwarze Koalition fortführen - selbst wenn die PDS stärkste Kraft wird. Doch siegesgewiss ist Platzeck noch nicht. "Es bleibt spannend bis zum Schluss."