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Wahlkampf Müntefering streichelt die Seele der Genossen

Jetzt nur nicht auf die Umfragen schauen! In Hamburg hat die SPD mit Franz Müntefering ihren Wahlkampfauftakt in einem Bierzelt gefeiert. Der Parteichef gab sich alle Mühe, die Genossen aufzumuntern. Doch die Stimmung blieb trüb.
Von Ole Reißmann und Helga Hochwind

"Ich glaube nicht an die Umfragen", sagt Johannes Kahrs, der Bundestagsabgeordnete für Hamburg-Mitte, sagt danach Ralf Stegner, der in Schleswig-Holstein Ministerpräsident werden will, sagt später auch Franz Müntefering, ihr Parteichef. In 40 Tagen ist Bundestagswahl, und die SPD feiert in einem stickigen, überhitzten bayerisch anmutenden Bierzelt ihren Hamburger Wahlkampfauftakt.

Die Basis an den Biertischen spielt mit: Sobald TV-Teams auftauchen, geben sie sich kämpferisch. Rund tausend Besucher drängen sich am Mittwochabend in dem rot-gelb gestreiften Zelt auf dem Hamburger Dom, eine handvoll Kellner schleppt Bierkrüge durch die Reihen. Vorn sitzt eine Frauenrunde aus dem Ortsverein Wandsbek, rotgefärbte Haare, rotumrandete Brille, roter Lippenstift, eine von ihnen sprüht Optimismus ins Mikrofon.

Doch kaum ist die Kamera aus, blickt sie halb besorgt, halb belustigt zu ihren Parteifreundinnen. Die Umfragewerte der SPD sind mies, das wissen alle. Deswegen muss Münte kommen, ihnen Mut machen.

"Machen Sie sich keine Sorgen"

Doch zuerst sind die Hamburger dran. Die Spitzenkandidaten, die mit Ausnahme von Bundesarbeitsminister Olaf Scholz ins Bayernzelt gekommen sind, sagen, was sie trotz der deprimierenden Meinungsumfragen wahlkämpfen lässt: Die Stimmung auf der Straße sei eben eine ganz andere. "Machen Sie sich keine Sorgen, wir kriegen das hin", beschwört Kahrs die Wähler.

"Es wäre schön, wenn Schleswig-Holstein wieder einen Ministerpräsidenten bekommt, der sich auch für Politik interessiert", ruft Stegner. In Schleswig-Holstein wird am Tag der Bundestagswahl gewählt, Stegners ehemaliger Koalitionspartner Peter Harry Carstensen von der CDU hat das mit einer Vertrauensfrage so hingebogen. Stegner trägt ein lockeres Poloshirt, kein Hemd, keine Krawatte. Er spricht von Bildung, Arbeitsplätzen und der Energiewende, er spricht energisch, er muss nicht vom Zettel ablesen.

"Frau Merkel, kommen Sie aus Ihrer schwarzen Ecke"

Eine Swingband dämpft die so mühsam herbeigeredet Stimmung dann wieder herunter. Ungläubig starrt die Wandsbeker Runde auf die Bühne, entsetzt auf das Wechselgeld, das ihnen der Kellner auf den Tisch legt. Das Bier auf dem Rummelplatz ist teuer, es bleibt bei einem Humpen. Als der Parteichef endlich das Festzelt betritt, springen sie erleichtert auf: Franz Müntefering ist gekommen, sie zu erlösen.

"Frau Merkel, kommen Sie aus Ihrer schwarzen Ecke, kommen Sie in die Mitte des Rings. Dann werden wir sehen, wer die besseren Argumente hat", wettert er gegen die Kanzlerin, die bisher vor einer inhaltlichen Auseinandersetzung Abstand nimmt. Er lobt das Wahlprogramm des SPD-Spitzenkandidaten Frank-Walter Steinmeier. Man müsse eine Vorstellung davon haben, wohin man das Land und die Menschen bringen wolle. Steinmeiers Deutschland-Plan zeige klar, was in den kommenden zehn Jahren geschehen solle.

Bei der SPD gibt man viel auf die eigenen Argumente - doch laut den Umfragen wollen die Wähler nicht folgen. Müntefering trommelt für den Straßenwahlkampf. Man müsse man auf die Leute zugehen, "sie sehen doch vernünftig aus, warum wählen sie nicht SPD", sagt Müntefering. So funktioniert Stimmungsmache. Gelächter im Bierzelt, Applaus, dankbare Blicke fliegen dem Parteichef zu. Nach gut einer halben Stunde ist Münteferings Hemd durchgeschwitzt. "Vielen Dank, Glück auf", sagt er und geht von der Bühne, Autogramme schreiben.

"Stimmung", hallt es aus den Lautsprechern gegenüber des Bayernzeltes, wo sich ein aberwitziges Turmkarussell in die Höhe schraubt. Die Menschen jubeln und schreien. Davon kann die SPD derzeit nur träumen.

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