Wahlkampf Warum die Atom-Attacken der SPD die Union kalt lassen
Berlin - Endlich hatten die Genossen ein emotional aufgeladenes Thema für den Wahlkampf gefunden: Kaum war das Kernkraftwerk Krümmel vor den Toren Hamburgs wieder am Netz, musste Betreiber Vattenfall den Reaktor schon wieder abschalten. Ein Fest für die SPD, allen voran zeterte Umweltminister Sigmar Gabriel, was das Zeug hielt, Partei- und Fraktionsspitze und Kanzlerkandidat machten mit.

Dunkle Wolken über dem Atomkraftwerk Biblis: Ärger und Gelassenheit
Foto: A3471 Boris Roessler/ dpaDie Reaktion ließ - wenig überraschend - nicht lange auf sich warten: "Panikmache" und "durchsichtige Wahlkampfmanöver" unterstellte der Koalitionspartner den Sozialdemokraten. Alles in allem jedoch fiel der Unions-Konter für die Lautstärke der Atom-Attacke moderat aus. Statt nur wütend in Richtung SPD zurückzuschimpfen, stimmen CDU und CSU lieber ein in den Chor der Vattenfall-Kritiker.
Die Kanzlerin attestierte dem Unternehmen einen Vertrauensverlust, Hessens Ministerpräsident Roland Koch prangerte die kommunikative "Dummheit der Energiekonzerne" an, "nicht entschuldbar" nannte sein Amtskollege Günther Oettinger aus Baden-Württemberg das Verhalten Vattenfalls, und Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust drohte: "Schluss mit lustig." Nach der CDU-Präsidiumssitzung bekräftigte Generalsekretär Ronald Pofalla am Montagmittag: "Krümmel kann nur dann weiterlaufen, wenn die sicherheitsrelevanten Voraussetzungen wieder erfüllt sind."
Natürlich kann auch die Union nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, wenn sich in Krümmel nach zwei Jahren Reparatur der nächste Trafo per Kurzschluss verabschiedet. Und natürlich haben sich die Schwesterparteien bei aller Empörung über Vattenfall noch lange nicht von der Atomkraft verabschiedet. Doch die Gelassenheit, mit der CDU und CSU die Anti-Atom-Kampagne der SPD parieren, und die scharfen Worte an die Adresse des schwedischen Energieriesen zeigen, dass die Konservativen die Debatte über die Kernkraft längst nicht mehr so verbissen führen mögen wie noch vor einigen Jahren. Dahinter steckt auch das Kalkül, sich keine Koalitionsoptionen zu verbauen.
Gerade einmal 13 Monate ist es her, dass CDU-General Pofalla und Ole von Beust für ihre Partei ein Papier vorlegten, in dem sie ökologische Nachhaltigkeit zum Leitbild und Klimaschutz zum Kernziel ihrer Partei erklärten. Schon damals erkannten manche Beobachter darin ein Signal, dass sich die Christdemokraten für Bündnisse mit den Grünen öffneten. Schließlich hatte der Hamburger von Beust gerade die erste Koalition dieser Art auf Landesebene geschmiedet.
Atomkraft als "Öko-Energie"?
Doch bei aller Prominenz, die die Union dem Thema plötzlich beizumessen schien - das Papier enthielt auch einen Begriff, der den Generalsekretär zwar sichtlich mit Stolz erfüllte, den Umweltaktivisten und Kernkraftgegnern jedoch mit Grausen lasen: Von der "Öko-Energie" Atomkraft war da die Rede - eine Beschreibung, an die SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier in der Krümmel-Diskussion am Wochenende kopfschüttelnd erinnerte.
Dabei scheint die Unionsspitze die Formulierung inzwischen selbst für überholt zu halten. Von "Öko-Energie" spricht in der derzeitigen Debatte niemand, stattdessen wird stets das Wort von der "Brückentechnologie" bemüht. Im gemeinsamen Wahlprogramm von CDU und CSU heißt es: "Die Kernenergie ist vorerst ein unverzichtbarer Teil in einem ausgewogenen Energiemix."
Man will vorerst daran festhalten, "weil heute klimafreundliche und kostengünstige Alternativen noch nicht in ausreichendem Maße verfügbar sind". Daher strebt die Union eine Verlängerung der Laufzeiten der "sicheren deutschen Anlagen" an. Dazu legt man noch einen Köder aus, der den Menschen die längeren Laufzeiten schmackhaft machen soll: So sollen die Energieversorger laut Wahlprogramm den größten Teil des zusätzlich erzielten Gewinns in die Forschung nach mehr Effizienz und erneuerbaren Energien stecken sowie die Strompreise senken. Ein Neubau von Kernkraftwerken wird ausgeschlossen.
Wie weit man bei den Laufzeitverlängerungen gehen soll, ist auch in der Union umstritten. Bayerns Umweltminister Markus Söder will alle "sicheren" Reaktoren "mindestens acht Jahre bis zehn Jahre gegenüber dem rot-grünen Ausstiegsplan" länger laufen lassen. Danach müsse man sehen, "wie sich die regenerativen Energien entwickelt haben", sagte der CSU-Politiker dem SPIEGEL.
Schleswig-Holsteins Umweltminister Christian von Boetticher (CDU), in dessen Land der Krümmel-Reaktor steht, fordert: "Wir müssen deutlich machen, dass mit uns nicht jedes Kernkraftwerk automatisch fortgesetzt wird." Die Union müsse alle AKWs "kritisch anschauen". Saarlands Umweltminister Stefan Mörsdorf (CDU) verlangt, ältere Reaktoren schneller abzuschalten und ihre Reststrommengen auf jüngere zu übertragen.
Unionsanhänger für Abschaltung alter Meiler
Glaubt man einer Emnid-Umfrage, treffen Mörsdorf und Boetticher mit solchen Aussagen den Nerv der Bevölkerung. Demnach sind 61 Prozent der Menschen der Meinung, dass Deutschland auf absehbare Zeit nicht ohne Atomenergie auskommen wird. 68 Prozent der Unionsanhänger sind aber zugleich dafür, ältere Meiler stillzulegen.
Die Union hat an einer Re-Ideologisierung der Atomdebatte kein Interesse. Die Kernkraft ist für CDU und CSU zwar mehr als nur eine Reminiszenz an vergangene Tage. Doch sie ist auch kein Thema, an dem sich die Parteien aufreiben würden, wenn es um höhere Ziele geht. Schon vor vier Jahren setzte die SPD durch, dass in der Großen Koalition am rot-grünen Atomausstieg nicht gerüttelt wird.
Dabei könnte es nach dem 27. September bleiben. Die Atomkraft ist Verhandlungsmasse, auch bei Bündnisverhandlungen nach der Bundestagswahl. Wenn es für Union und FDP nicht reicht, dann steht das Ausstiegsgesetz, ob nun in einer Neuauflage der Großen Koalition oder gar in einem Bündnis mit den Grünen.
Denn auch wenn der Streit darüber stets als das größte Hindernis für eine Zusammenarbeit auf Bundesebene genannt wird, an der Zukunft der Atomenergie würde auch Schwarz-Grün nicht scheitern. Sicher, einen Ausstieg vom Ausstieg würde die Öko-Partei nicht verkraften. Den würde die pragmatisch veranlagte Angela Merkel aber auch kaum als ernsthaften Vorschlag auf den Tisch legen. Eine schnellere Abschaltung älterer Reaktoren mit einer im Gegenzug nicht allzu ausschweifenden Übertragung ihrer Restlaufzeiten auf modernere Meiler könnten die Grünen der Basis dagegen wohl noch verkaufen.
Bis die Zukunft der deutschen Atommeiler im nächsten Koalitionsvertrag festgezurrt wird, dürfte sich die Aufregung darüber ohnehin wieder etwas gelegt haben. Das wäre der Union freilich am liebsten. Denn bei aller Gelassenheit: Die Verärgerung über Vattenfall ist auch eine Verärgerung darüber, dass das Thema Atomkraft überhaupt mit der Krümmel-Panne wieder eines geworden ist.