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Wahlkampfauftakt: Union im Angie-Fieber

Foto: A3250 Oliver Berg/ dpa

Wahlkampfauftakt Union feiert die Merkel-Show

Alles auf "Angie": CDU und CSU schwören sich mit großem Spektakel in Düsseldorf auf die heiße Wahlkampfphase ein. Im Endspurt setzt die Union voll auf den Kanzlerinnen-Bonus. Angela Merkel verschärft ihren Ton gegenüber der SPD - verzichtet aber auf persönliche Attacken gegen ihren Herausforderer.

Düsseldorf - Ohne die Chefin kommt keine Stimmung auf. Weder der musikalische "Staract" Jennifer Rush, deren besten Zeiten schon zwei Jahrzehnte zurückliegen, noch die tief dekolletierten Tänzerinnen, die über die Bühne hüpfen, bringen die CDU-Fans so richtig in Wallung. Der Parteinachwuchs gibt sich zwar größte Mühe als Einheizer, doch das eifrige Luftballongewedel wirkt eher bemüht als euphorisch. Und so manch altgedienter Christdemokrat verzieht angesichts des Lautstärkepegels kopfschüttelnd das Gesicht.

Aber so ist Wahlkampf nun mal in diesen Zeiten, nicht nur trockene Politik, sondern vor allem Inszenierung, Spektakel, Show. Im Düsseldorfer ISS Dome ist es an diesem Sonntag die Angela-Merkel-Show. CDU und CSU stimmen sich in der Landeshauptstadt des bevölkerungsreichsten Bundeslandes auf die letzten drei Wochen bis zur Bundestagswahl am 27. September ein - und die Unionsparteien lassen keinen Zweifel daran, worauf sie im Endspurt setzen: auf die Kanzlerin. Schon jetzt sind alle anderen Köpfe der Union auf den Wahlplakaten zu Gunsten der Parteivorsitzenden verschwunden, die TV-Spots drehen sich allein um sie.

Ohne Merkel geht also nichts, und deswegen steigt die Laune der rund 9000 Anhänger auch schlagartig, als sie nach stundenlangem Vorprogramm gegen 15 Uhr endlich gemeinsam mit der geballten Unionsprominenz in die Halle marschiert. Auf dem Weg zur Bühne muss die Kanzlerin etliche der großen, orangefarbenen "Angie"-Plakate signieren, die man schon vom großen Wahlkampf-Parteitag vor vier Jahren kennt. Foto-Handys und Digitalkameras recken sich der CDU-Chefin entgegen.

Es ist ein wichtiger Auftritt für Merkel. Zuletzt waren die Rufe auch in den eigenen Reihen lauter geworden, sie müsse ihre Zurückhaltung im Wahlkampf endlich aufgeben. Merkel hat ihre Taktik immer verteidigt, am Sonntag aber muss sie zeigen, dass sie kämpfen will, ohne sich selbst zu verstellen.

"Unsere roten Socken sind schon lange im Schrank verstaut"

Die Kanzlerin enttäuscht ihre Fans nicht. Tatsächlich schlägt sie einen schärferen Ton an, wenn sie über die Sozialdemokraten spricht. "Unsere roten Socken sind schon lange im Schrank verstaut", ruft sie, in Anspielung an die Anti-PDS-Kampagne von 1994. Die SPD jedoch versuche nun mit einer "schwarz-gelben Sockenkampagne" Ängste in der Bevölkerung zu schüren. Auch wenn sie die Große Koalition nicht schlechtreden wolle - nun müsse man die Genossen in die Opposition schicken. Spöttisch verliest sie die schwachen SPD-Ergebnisse der drei jüngsten Landtagswahlen. "Wie bescheiden muss man geworden sein", fragt sie, "wenn man solche Zahlen bejubelt." Die Menge im Saal johlt.

Trotz der Angriffe bleibt sich Merkel treu: keine persönlichen Attacken auf den Herausforderer, den Namen Frank-Walter Steinmeier erwähnt sich nicht ein Mal. Das überlässt sie anderen aus der Parteiführung, Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers etwa, der hier ein trotz seiner Rumänen-Aussetzer umjubeltes Heimspiel hat und gegen Steinmeier als "matte Kopie Gerhard Schröders" ätzt. Oder CSU-Chef Horst Seehofer, der warnt: "Wo Steinmeier draufsteht, ist Lafontaine und Gysi drin."

Auch Merkel beschwört einmal mehr die Sorge vor einer rot-roten Zusammenarbeit im Bund. Die Sozialdemokraten befänden sich in einem internen Identitätskampf zwischen Ampelkoalition und Rot-Rot-Grün, mahnt sie und erinnert daran, dass die SPD den amtierenden Bundespräsidenten Horst Köhler bei der Bundesversammlung im Mai "mit Hilfe der Linken aus dem Amt jagen" wollte.

Die Kritik an den Genossen verbindet sie mit einem klaren Bekenntnis zur Wunschkoalition: Union und FDP müssten stärker als Rot-Rot-Grün werden, am 27. September entscheide sich, ob es "bei einem Kurs der Mitte und der Zuversicht bleibt oder ob unklare politische Verhältnisse drohen".

Ausgerechnet Obama

Immer wieder wiederholt Merkel in ihrer gut 30-minütigen Rede auch den zentralen Wahlkampfslogan der Union: "Wir haben die Kraft." Die CDU-Strategen leugnen nicht eine gewisse Ähnlichkeit zur "Yes, we can"-Parole Barack Obamas, jene Beschwörung der Gemeinsamkeit, des kollektiven Willens, etwas zu schaffen. Ausgerechnet Obama, dessen Wahlkampfpathos Merkel stets mit Skepsis verfolgte.

Wir, das soll nicht nur die CDU sein, nicht nur die Union - Angela Merkel umarmt ganz Deutschland. Sie wirbt für ein "neues Miteinander" in der Gesellschaft. "Wir grenzen niemanden aus", sagt die CDU-Chefin. Das wichtigste sei der Zusammenhalt aller Menschen, "dann ist uns kein Ziel zu anspruchsvoll". Solidarität wird in der Union plötzlich groß geschrieben, es scheint die logische Konsequenz der oft beschriebenen fortschreitenden Sozialdemokratisierung der Christdemokraten.

"Wir haben die Kraft", ist der Slogan der Konsenskanzlerin. Und die Botschaft dahinter: Wir sind alle Angela Merkel. Da passt es, dass der kurze Wahlkampfsatz auf der Rückseite der "Angie"-Plakate, die die Fans in der Halle in die Höhe halten auf das "Wir" auf schwarz-rot-goldenem Grund reduziert wird. Und dass der Wahlkampfsong, den Leslie Mandoki, bekannt als einstiger Sänger der Gruppe Dschinghis Khan und für seinen riesigen Schnurrbart, produziert hat, den einprägsamen Titel trägt: "Wir sind wir".

Das Wir-Gefühl soll in den kommenden Wochen nun aber vor allem die Kanzlerin allein repräsentieren. Fast jeden Tag wird sie auf zwei Kundgebungen reden, überall in Deutschland. "Die Wahl ist nicht entschieden", mahnt sie zum Abschluss in Düsseldorf. "Aber wir haben beste Chancen." Ihre Abschlussworte gehen im Jubel der Tausenden unter. Mehrere Minuten applaudieren sie, dann noch der obligatorische Rolling-Stones-Klassiker "Angie" und die Nationalhymne. In kürzester Zeit leert sich die Halle - die Merkel-Show ist vorbei.

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