Wahlkampffinale in Thüringen Merkel schürt Angst vor der Linken

Merkel und Althaus in Erfurt: Dialektischer Gegenschlag
Foto: JENS MEYER/ APErfurt/Jena - Wie haben sie Willy Brandt gequält. Ihn, den ohne Vater aufgewachsenen, immer wieder beim Namen der Mutter genannt, voller Hochmut. Vaterlandsverräter wurde er wegen seiner Ostpolitik geheißen. Aber mit der Einheit konnte auch die CDU die Verdienste Brandts um das Zusammenführen der beiden Deutschlands nicht mehr ignorieren. Helmut Kohl persönlich machte seinen Frieden mit dem Altkanzler.
Und nun steht Angela Merkel, die früher einmal Kohls Mädchen genannt wurde, an diesem schönen Spät-Augusttag auf dem Erfurter Willy-Brandt-Platz. In dem großen Gebäude zu ihrer Rechten wurde das SPD-Idol am 19. März 1970 von Erfurter Bürgern bejubelt. "Willy ans Fenster"riefen sie. Alleine deshalb muss die Kanzlerin ihm in dieser Stadt huldigen. "Genauso wie Helmut Kohl wollte er aus vollem Herzen die deutsche Einheit", sagt die CDU-Bundesvorsitzende und blinzelt in die Abendsonne.
Man wundert sich noch über die Vollmundigkeit dieses Lobs - da kommt schon der dialektische Gegenschlag der Kanzlerin. Eben wegen Brandt, eben an diesem Ort - voller Unverständnis ist Merkel darüber, "dass die SPD so mir nichts Dir nichts wegen der Macht mit der Linken zusammenarbeiten will."
Merkel, die Kanzlerin aus dem Osten, bläst an diesem Abend zur Attacke gegen die Linke.
Tatsächlich muss sich ihr Parteifreund Dieter Althaus darum sorgen, ob er nach dem Wahlsonntag in Thüringen weiterregieren kann. Denn in den Umfragen schwächelt die CDU. Von den 43 Prozent, mit denen man vor fünf Jahren wegen glücklicher Umstände eine Alleinregierung bilden konnte, ist Althaus' Partei weit entfernt. Im Aufwind fühlen sich dagegen SPD und Linke. Sollten die Grünen den Sprung ins Parlament schaffen, könnte Rot-Rot-Grün die CDU tatsächlich aus der Regierung vertreiben. Allerdings gibt es dabei ein Problem: Die SPD liegt in den Umfragen klar hinter der Linken. Und SPD-Spitzenkandidat Christoph Matschie hat per Parteitagsvotum ausschließen lassen, einen Linken zum Regierungschef zu wählen. Linke-Spitzenmann Bodo Ramelow ließ wiederum mehrfach anklingen, er brauche den Ministerpräsidenten-Schreibtisch nicht unbedingt.
Es ist also einiges offen und manches ziemlich diffus in den letzten 48 Stunden vor dem Wahlsonntag - und daran ändert auch der Auftritt von SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier in Jena nichts. Er tritt am frühen Nachmittag auf dem hübschen Jenaer Marktplatz auf. Steinmeier koffert gegen die Thüringer CDU, er nennt sie erschöpft und ausgelaugt. "Dieter Althaus hat seine Zeit gehabt und er hat sie nicht genutzt." Knapp tausend Menschen lauschen den Attacken Steinmeiers. Was sie nicht hören, ist ein Satz zu den Regierungsoptionen seiner Partei. Genauso wenig wie von Spitzenkandidat Matschie. Wie und mit wem die SPD Althaus aus der Staatskanzlei vertreiben will, darüber schweigen Steinmeier und Matschie. Denn am Ende könnte man natürlich auch nach Berliner Vorbild in eine Große Koalition gehen.
Lärm mit Klatschelementen
Umso mehr legt sich in Erfurt die Kanzlerin ins Zeug, um die Thüringer vom Unheil zu überzeugen, dass Rot-Rot-Grün übers Land bringen würde. Etwa 4000 sind nach Angaben der Veranstalter gekommen. "Das haben die Menschen hier nicht verdient", sagt Merkel. Ein paar Dutzend Männer und Frauen in dunkelblauen Polohemden, an der Brust ein Schildchen mit der Aufschrift "Ordner", rufen in solchen Momenten laut "Änschie" oder "Dieter". Dazu machen sie maximalen Lärm mit einer Art von Papierfächern, sogenannten Klatschelementen.
Es sind Leute vom "Team Althaus". Je mehr sie Merkel und dem Ministerpräsidenten zujubeln, umso mehr fällt auf, dass sonst kaum einer klatscht oder sonstige Zustimmmungsbekundungen äußert. Viele sind wohl vor allem gekommen, um Merkel zu erleben, aber nicht, um sie zu feiern. Hörbar ist dagegen das eine oder andere Wort des Unmuts von einigen jungen Leuten, die links von der Bühne stehen und nagelneue orangefarbene Fahnen schwenken: Die Piratenpartei gehört nicht zu den CDU-Fans.
Offenbar hat sich in den vergangenen Wochen in der Thüringer Regierungspartei der Eindruck verfestigt, dass die Zahl der eigenen Anhänger generell abgenommen hat. Sollte Thüringen nach 19 Jahren tatsächlich CDU-müde sein? Nur so ist zu erklären, dass Althaus in den vergangenen Tagen zu mobilisieren versucht, indem er die rot-rot-grüne Gefahr immer wieder anspricht. Dass es für den Ministerpräsidenten nicht zu einer von ihm geführten "Gestaltungsmehrheit" reichen könnte, dazu haben allerdings auch einige Pannen aus den vergangenen 14 Tagen beigetragen: Erst griff ihn die Opposition wegen eines Hubschrauberflugs zu einem Volksfest in Südthüringen an. Dann geriet Althaus wegen seiner Darstellungen zum Verhältnis mit dem Witwer der Frau in Bedrängnis, die er am Neujahrstag bei einem Skiunfall getötet hatte. Zuletzt wurden Vorwürfe laut, die CDU habe unerlaubte Wahlwerbung mit einen Thüringen-Magazin gemacht.
Weil es knapp werden könnte, wird der Ton noch einmal verschärft. Thüringen dürfe "auf keinen Fall den Ideologen in die Hände fallen", sagt Althaus, der vor der Kanzlerin spricht, "wir brauchen Kontinuität und Stabilität". Es gebe hier die von Kohl beschworenen "blühenden Landschaften", die dürfe man nicht aufs Spiel setzen. Man brauche doch nur ins Nachbarland Sachsen-Anhalt zu schauen, sagt Althaus, dort müsse sein CDU-Parteifreund Wolfgang Böhmer als Ministerpräsident noch immer ausbügeln, was Rot-Grün in den Neunzigern verbockt habe.
Merkel schlägt die ganz große Pauke, um den Thüringern klarzumachen, um was es am Sonntag geht. Vor 20 Jahren habe das Volk sich von der SED befreit. Es könne nicht sein, dass jetzt die SED-Nachfolgepartei nach der Macht greife.
Merkel greift auf die Geschichte zurück
In der Tat: Sollte Rot-Rot-Grün in Erfurt klappen und vielleicht auch bei der Landtagswahl im Saarland, könnte das neue Dynamik für die Bundestagswahl erzeugen und möglicherweise der SPD Rückenwind geben. Also erzählt die Kanzlerin beispielsweise die Geschichte von dem ungarischen Grenzer, der vor 20 Jahren Hunderte von DDR-Bürgern gehen ließ - auf seine Verantwortung. Was sie damit sagen wolle? "Jeder Mensch kann an seinem Ort ein Stückchen Geschichte mitbestimmen." Also auch diesen Sonntag an der Wahlurne.
Natürlich könne auch nur die CDU - in Erfurt und Berlin - die Menschen vor den Folgen der Finanzkrise schützen, betont die Kanzlerin. Und "Wachstum schaffen, woraus Arbeit wächst", könnten SPD und Linke natürlich erst recht nicht.
Dann wird ein in Erfurt sehr bekannter Bürgerrechtler auf die Bühne geholt, er darf neben vielen anderen wichtigen CDU-Leuten ins Publikum winken, und man singt gemeinsam die Nationalhymne.
Letzteres hätte sicher auch Willy Brandt gefallen.