Wahlkampfthema Jugendgewalt Altkanzler Schröder knöpft sich Koch vor
Hamburg/Hannover - Die Debatte über Jugendgewalt und junge kriminelle Ausländer wird immer schärfer. Jetzt hat sich Altkanzler Gerhard Schröder in den Streit zwischen Union und SPD eingeschaltet und Roland Koch ungewöhnlich scharf attackiert. "Dieser merkwürdige Mensch sollte wirklich vor der eigenen Tür kehren", sagte Schröder über den hessischen Ministerpräsidenten, der sich seit Tagen für eine Verschärfung des Jugendstrafrechts ausspricht und um seine Wiederwahl am 27. Januar kämpft.
Schröder verwies am Rande der SPD-Klausur in Hannover darauf, dass Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund im vergangen Jahr um zehn Prozent zugenommen hätten. "Ich habe Herrn Koch und Frau Merkel noch nie darüber reden gehört", rief er aus. Das lege den Verdacht nahe, dass es den beiden "nur um das Schüren von Ängsten" gehe. Das Mindeste, was man ihnen laut Schröder sagen sollte: "Wer so agiert, sollte aufhören, über Integration zu reden."
Kurz vor dem Auftakt der CSU-Klausurtagung in Wildbad Kreuth hat sich auch der CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler in die Debatte um Jugendkriminalität eingeschaltet.
Gauweiler warf Staat und Politik vor, das Problem krimineller ausländischer Jugendlicher vernachlässigt zu haben. "Deutschland wird in der Münchner U-Bahn verteidigt, am Bahnhof Zoo in Berlin und in der Frankfurter Innenstadt", sagte er der "Bild"-Zeitung - und nahm damit Bezug auf eine frühere Äußerung von Ex-Verteidigungsminister Peter Struck (SPD), Deutschland werde am Hindukusch verteidigt. Der heutige SPD-Fraktionschef hatte damit die Bedeutung der Afghanistanmission der Bundeswehr betont.
Angesichts der "zahllosen Verletzten, Beleidigten und sogar zu Tode gekommenen" sei das, was Staat, Justiz und Polizei dagegen täten, "geradezu läppisch im Vergleich zu den riesigen justiziellen, polizeilichen und militärischen Anstrengungen in Sachen Terrorismus am Hindukusch oder sonst wo", sagte Gauweiler.
Gauweiler, der in den achtziger Jahren Kreisverwaltungsreferent in München war, sagte weiter: "Es wird zu wenig abgeschoben und zu viel undifferenziert hereingelassen. Jeder weiß das." Weiter sagte er: "Die Promis von Politik und Gesellschaft beobachten die abstoßende Brutalität in unseren U- und S-Bahnen wie aus einer VIP-Loge, aber mit immer mehr Leibwächtern. Dabei ist jede Kellnerin, die nachts mit der S-Bahn nach Hause fährt, im Durchschnitt mehr gefährdet als ein deutscher Minister."
Als Sofortmaßnahme schlug der CSU-Politiker vor: "Ab sofort in jedem Waggon von S-Bahnen eine durchsetzungsfähige Wachperson." Dies könne durch einen "Sicherheitsaufschlag auf jeden Fahrschein von zehn Cent, einer Art Sicherheits-Zehnerl", finanziert werden.
Zuvor hatte bereits Bayerns Ministerpräsident Günther Beckstein die Unionsforderungen nach einem sogenannten Warnschussarrest bekräftigt, der zur Abschreckung zusätzlich zu einer Bewährungsstrafe verhängt werden kann. Er plädierte auch dafür, die Höchststrafe für Heranwachsende bei schweren Verbrechen von 10 auf 15 Jahre anzuheben und ausländische Straftäter schneller abzuschieben.
Wer in massiver Weise straffällig geworden sei, "der verletzt das Gastrecht so eklatant, dass er das Land verlassen muss", sagte der CSU-Politiker in der ARD-Sendung "Anne Will".
Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte, die Maßnahmen, die am ehesten geeignet seien, kriminelle Karrieren zu verhindern, begännen im Kindergarten und in den Schulen, auch um Migrantenkinder stärker zu integrieren.
Bei Beginn krimineller Karrieren müsse das Entdeckungsrisiko und die Verurteilungsgeschwindigkeit erhöht werden. Da hätten die Länder, darunter Hessen, Defizite durch den Abbau von Polizei- und Richterstellen aufzuweisen. Er könne sich vorstellen, dass sich die Länder auf eine Verurteilung innerhalb eines Monats verständigen können. "Aber von einer Illusion sollten wir uns freihalten: Dass am Ende über das Strafrecht oder das Jugendstrafrecht alle Versäumnisse verfehlter Integration nachgeholt werden", sagte Steinmeier.
Das Ausländerrecht verhindert laut Steinmeier nicht Abschiebungen, aber es gebe Begrenzungen durch das Grundgesetz wie der Schutz der Familie sowie die Rechtsprechung der Bundesgerichte. Dies habe Beckstein im Abschiebefall des türkischen Jugendlichen "Mehmet" durch eine Niederlage vor dem Bundesverwaltungsgericht selbst erfahren müssen.
Scharfe Kritik an den Forderungen von den CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch und Christian Wulff nach einer Verschärfung des Jugendstrafrechts und der Einführung von Erziehungscamps übten die Jungen Liberalen. "Die konservativen Wahlkämpfer sollten sich besser selber einmal ein Erziehungslager verordnen, dann wüssten sie, dass eine falsche Behauptung durch Wiederholung nicht richtiger wird", sagte Johannes Vogel, Vorsitzender der FDP-Jugendorganisation, der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Eine Verschärfung des Jugendstrafrechts senke erwiesenermaßen nicht die Kriminalität.
Das Jugendstrafrecht sei völlig ausreichend, betonte das Mitglied des FDP-Bundesvorstandes. Wer etwas gegen die Kriminalität tun wolle, müsse die Ursachen bekämpfen. "Wir brauchen faire Chancen für alle jungen Menschen durch bessere Integration und Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt", forderte Vogel.
hen/AFP/dpa/ddp/AP