Wahlprogramm Piraten fordern Internet-Superministerium

Piraten-Präsenz auf der "Freiheit statt Angst"-Demonstration in Berlin: "Manche sehen uns noch als Spaßpartei"
Foto: THOMAS PETER/ REUTERSHamburg/Berlin - Sie können mit einem Party-Truck auf einer Demonstration feiern, wie vor zwei Wochen in Berlin, das haben sie bewiesen. Jetzt wollen sie mit politischen Inhalten zeigen, dass sie es ernst meinen: Die hat kurz vor der ihr Konzept eines "Zukunftsministeriums" vorgestellt. Deutschland verschlafe den Wandel zur Informationsgesellschaft, fürchtet die Partei der Bürgerrechts- und Netz-Aktivisten, ein neues Superministerium mit weitreichenden Zuständigkeiten soll es richten. Außerdem präsentierten die Piraten erste Ansätze eines neuen Politikmodells. "Liquid Democracy" soll mehr Beteiligung und Transparenz ermöglichen.
Eine Woche vor der Wahl soll die kühne Vision Aufmerksamkeit und Wähler beschaffen. Denn bisher spielen die Piraten in den Sonntagsumfragen keine Rolle und verfehlen demnach den Sprung in den Bundestag. Immerhin: Bei rund 125.000 Unter-18-Jährigen, die am Freitag ihre eigene Bundestagswahl simulierten, bekommt die Piratenpartei mit 8,7 Prozent der Wählerstimmen mehr Zuspruch als die FDP (7,6 Prozent).
Das nun vorgeschlagene Ministerium für die Wissen- und Informationsgesellschaft soll sich unter anderem mit Datenschutz und Informationsfreiheit befassen, außerdem mit Netz-Infrastrukturen, E-Government, Informationswirtschaft, digitaler Teilhabe und Internet-Sicherheit. Insgesamt 15 Abteilungen könnten sich darum kümmern, dass Deutschland im Informationszeitalter an- und vorankommt.
"Momentan sind es 13 Bundesministerien, die sich mit diesen Themen beschäftigen", sagt Nicole Hornung, einzige Frau im Bundesvorstand der Piratenpartei. "Da kocht jedes Ministerium sein eigenes Süppchen, vieles von dem, was sie tun, ist aber redundant." Mit dem Konzept wolle man zeigen, "dass wir eine ernstzunehmende Partei sind", sagt Hornung. "Manche sehen uns noch als Spaßpartei." Man sei aber in der Lage, den Ist-Zustand zu analysieren und ein entsprechendes Konzept vorzulegen.
Großumbau der Ministeriumslandschaft
Prinzipiell findet die Forderung der noch jungen Piratenpartei Zuspruch: "Das geht absolut in die richtige Richtung", sagt Miriam Meckel, Direktorin des Instituts für Medien- und Kommunikationsmanagement der Universität St. Gallen. Die Idee eines neuen Ministeriums unterstützt sie trotzdem nicht: "Ich glaube nicht an die Bündelung unserer digitalen Zukunft in einem Ministerium."
Wo die Piraten einen ganzen Apparat installieren wollen, fordert sie einen Sonderbeauftragten: einen "Chief Information Officer", Mitglied im Kabinett der Bundesregierung, der überall mit am Tisch säße. Das Internet und seine Auswirkungen auf Kommunikationsformen, Lebensweisen, Bürgerbeteiligung, Innovationskraft und Geschäftsmodelle müssen ressortübergreifend den Platz bekommen, den es längst verdient habe, sagt Meckel. "Das spricht gegen ein solches Zukunftministerium."
Auf ihrer Website überlegen die Piraten bereits, welche Aufgaben das Ministerium bearbeiten soll . Der Großumbau der deutschen Ministeriumslandschaft soll sogar noch weitergehen: 15 Bundesbehörden sollen dem Ministerium untergeordnet werden, darunter das Bundeskartellamt, die Bundeszentrale für politische Bildung, die Physikalisch Technische Bundesanstalt.
Das Bundesministerium für Justiz, schreiben die Piraten in ihrem inoffiziellen Internet-Entwurf, könnte auf seine Funktion als Verfassungsministerium reduziert werden, zugunsten der Fachministerien. Ganz auflösen wollen die Piraten demnach Heidemarie Wieczorek-Zeuls Entwicklungshilfeministerium, das sei schließlich "so klein, dass dessen Aufgaben problemlos von anderen Ministerien übernommen werden könnten".
Weil das Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz letztere Kompetenz an das neue Zukunftsministerium abgeben soll, wird überlegt, die übrigen Aufgaben an das Gesundheitsministerium zu delegieren. Auch könnten Arbeits- und Familienministerium zusammengefasst werden.
Mit "Liquid"-Basisdemokratie ins Parlament
Ein weiterer Punkt auf der Liste der Last-Minute-Themen der Piraten nennt sich "Liquid Democracy". Das Konzept, das älter ist als die Piratenpartei, soll "basisdemokratische Mitwirkung ermöglichen, um die zum Beispiel die Grünen viele Jahre gerungen haben", sagt Hornung. Mit Hilfe neuer Medien sollen Piraten-Mitglieder jederzeit über Themen diskutieren und bindende Entscheidungen an die Parteispitze durchreichen können. Noch steckt das Konzept allerdings in der Erprobung, aufgrund des starken Wachstums der Partei stoße man mit dem Ansatz an Grenzen, sagt Hornung.
Mit ihrem weitreichenden Plan sind sie visionärer als die im Parlament vertretenen Parteien, die sich dem Internet nur vorsichtig nähern. Man wolle das Ministerium allerdings nicht zwingend für sich beanspruchen, sagt Piraten-Vorstandsmitglied Hornung. "Jede Partei, die die Idee aufgreift, ist uns willkommen." Das Thema sei so wichtig, dass auch andere Parteien nicht daran vorbei könnten.
An Internet-Themen ohnehin nicht: Immerhin sind die Piraten nach eigenen Angaben rund 9000 Mitglieder stark und damit die siebtgrößte Partei, die zur Bundestagswahl antritt. Die Grünen, an sechster Stelle des Mitglieder-Rankings, haben allerdings noch fünfmal so viele Mitglieder. Bis zur Bundestagswahl könnten die Piraten weiter aufschließen, hundert neue Mitglieder zählt die Partei nach eigenen Angaben pro Tag.
Wahlerfolg unkalkulierbar bis ausgeschlossen
In Meinungsumfragen werden die Piraten bisher jedoch nicht ausgewiesen - bei vielen Anhängern Anlass zu wilden Spekulationen. "Alles unter fünf Prozent weisen wir nicht aus", sagt Manfred Güllner, Chef des Umfrageinstituts Forsa. In den Umfragen ist ihr Stimmenteil schlicht zu gering, zu groß die statistische Schwankung in den niedrigen und niedrigsten Prozentbereichen. Dass es am Wahlabend anders aussieht, schließt er aus. "Darauf deuten die Umfragen nicht hin." Überraschungen gebe es höchstens bei den rechtsextremen Parteien, deren Anhänger sich nur schwer abfragen ließen.
Vorstandsmitglied Hornung hält sich bedeckt in Sachen Wahlausgang: "Wir planen für den Erfolg, allerdings erscheinen uns die Ergebnisse der Piraten bei der Bundestagswahl im Augenblick unkalkulierbar. In den Umfragen liegen wir zwischen ein und elf Prozent, zudem werden viele unserer potentiellen Wähler in den Telefonumfragen gar nicht befragt." Es sei keine Schande, an der Fünfprozenthürde zu scheitern. Die Ziele der Partei werde man in jedem Fall weiterverfolgen.
Dafür ist die mediale Aufmerksamkeit für die junge Partei enorm. Gerade erst wurden die Computer-Nerds von "FAZ"-Herausgeber Frank Schirrmacher in einem ausführlichen Artikel gelobt. Die Piratenpartei nannte er den "Kern der ersten digital-sozialen Bewegung", die der Gesellschaft als Gesprächspartner von Nutzen sein könnten. Den Vorsitzenden der Piraten, Jens Seipenbusch, lobte Schirrmacher als einen "Intellektuellen von Format".