Wahlpropaganda CDU kassiert Kochs Vorstoß für Kinderstrafen
Berlin - Die Stellungnahmen nach der Sitzung des CDU-Präsidiums waren deutlich. Der Vorschlag von Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU), auch bei Kindern unter 14 Jahren das Jugendstrafrecht anzuwenden, ist durchgefallen: "Es geht uns nicht um die Absenkung der Strafmündigkeit", sagte CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla kurz und knapp nach der Sitzung.
Koch will allerdings keine Niederlage darin sehen - sondern sagt, seine Äußerungen seien fehlinterpretiert worden. "Die Zuspitzung, die das Ganze erfahren hat, hat mich selbst überrascht", ließ der CDU-Politiker über die hessische Staatskanzlei verbreiten. "Es klingt, als wollten wir Kinder ins Gefängnis stecken. Dem ist selbstverständlich nicht so."
Wörtlich hatte Koch in der "Bild am Sonntag" gesagt: "Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es eine sehr aggressive Kriminalität einer sehr kleinen Gruppe von Menschen unter 14 Jahren gibt. Oft werden diese Jugendlichen auch noch von Erwachsenen benutzt, die genau auf die Strafunmündigkeit der Täter setzen." Darauf gebe es zwei Antworten. "Erstens: striktere Entziehung des Sorgerechts durch die Jugendbehörden. Zweitens: In Ausnahmefällen könnten Elemente des Jugendstrafrechts für diese Zielgruppe eingesetzt werden. Wenn man betrachtet, wie im entsprechenden Milieu solche kriminellen Karrieren entstehen, dann muss man über die Anwendung des Jugendstrafrechts diskutieren." Diese kleine Minderheit entziehe sich nämlich allen anderen Bemühungen.
Diese Äußerungen will Koch nun nicht so harsch verstanden wissen, wie sie klingen - allerdings beharrt er auf einem härteren Vorgehen gegen unter 14-Jährige: "Wir müssen uns etwas einfallen lassen, wie wir mit Jugendbanden umgehen", teilte die hessische Staatskanzlei mit. Noch vor der Sitzung des CDU-Präsidiums in Berlin hatte Koch vorgeschlagen, eine Zwangseinweisung in Erziehungsheime über das Erziehungsrecht zu regeln. Sein Vorstoß sei im Gegensatz zu den anderen Vorschlägen zur Verschärfung des Jugendstrafrechts langfristig angelegt und mit Fachleuten zu beraten. Dies könne man "nicht über Nacht diskutieren".
Breite Front gegen Koch
In der CDU war Kochs Kinder-Vorstoß vielen zu weit gegangen. Niedersachsens Regierungschef Christian Wulff, der am 27. Januar ebenfalls Landtagswahlen zu bestehen hat, distanzierte sich offen von dem hessischen Kollegen: "Kinder sind Kinder, und da stellt sich die Frage vor allem nach den Eltern." Unionsfraktionsvizechef Wolfgang Bosbach (CDU) sagte der "Neuen Osnabrücker Zeitung": "Wir sind bisher der Auffassung, dass die Strafmündigkeit bei 14 Jahren bleiben sollte." Wenn es um Problemfälle im Kindesalter gehe, sei in erster Linie Erziehungshilfe für die Eltern gefordert.
Heftiger Widerstand kam auch aus SPD und FDP. "Kinder in Gefängnisse - das ist nicht Politik der Koalition", sagte SPD-Chef Kurt Beck. Sein Generalsekretär Hubertus Heil warf Koch einen "charakterlosen Wahlkampf" vor. Ihm gehe es gar nicht um Sicherheit. Kochs Schuss gehe nach hinten los, er sei bereits "auf dem absteigenden Ast". FDP-Chef Guido Westerwelle nannte Haftstrafen für Kinder, wie sie Kochs Vorschlag möglich erscheinen lässt, "indiskutabel". "Man kann Zwölfjährige nicht wie Schwerkriminelle ins Gefängnis strecken."
Kriminologen, Strafverteidiger und Staatsanwälte lehnten eine Verschärfung des Jugendstrafrechts als unwirksam ab: Die Vorschläge "sind ein Höhepunkt der Ignoranz gegenüber dem bestehenden Fachwissen", sagte Natalie von Wistinghausen von der Vereinigung Berliner Strafverteidiger in Berlin. Oberstaatsanwalt Klaus Pförtner aus Frankfurt am Main warf Koch einen Angriff auf die Justiz als dritte Gewalt vor. Im Jugendstrafrecht müsse die Strafe auf dem Fuße folgen. Dies gewährleiste die Politik nicht. "Es muss Geld in die Hand genommen werden für die Jugendlichen."
Auch der Präsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers, stellte sich gegen Kochs Vorschläge. Er warne davor, "Kinder fürs ganze Leben zu stigmatisieren", sagte Hilgers den Dortmunder "Ruhr Nachrichten". Anstelle einer schärferen Bestrafung forderte Hilgers, weitere geschlossene Erziehungsheime zu schaffen. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, kritisierte den neuen Vorstoß Kochs ebenfalls scharf. "Wir brauchen doch keine Kinderknäste", sagte Freiberg der "Passauer Neuen Presse". "Der Vorschlag ist populistisch und unseriös. Die Strafmündigkeitsgrenze darf nicht herabgesetzt werden."
Der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, Christian Pfeiffer, kritisierte Koch: "Das macht keinen Sinn. Je jünger Menschen hinter Gitter kommen, umso höher ist ihre Rückfallquote", sagte er der "Passauer Neuen Presse". Für die Intensivtäter unter den Kindern hält Pfeiffer andere Maßnahmen für geeigneter als eine Anwendung des Jugendstrafrechts. "Gefährdete Kinder sollten viel häufiger in Pflegefamilien untergebracht werden", forderte er. Auch geschlossene Heime seien zur vorübergehenden Unterbringung nötig.
Allerdings gab es auch Zustimmung für Koch aus seiner Partei. Baden-Württembergs Ministerpräsident Günther Oettinger sagte, in wenigen Ausnahmefällen halte er eine Anwendung des Jugendstrafrechts bei unter 14-Jährigen für denkbar.
SPD-Chef Beck ruft Kanzlerin Merkel auf, in den Streit um die Jugendkriminalität mäßigend einzugreifen. Vor Beginn einer Präsidiumssitzung warf Beck Koch erneut eine Kampagne zu Lasten junger Ausländer vor. Zu den Zahlen des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, das Hessen den stärksten Zuwachs bei der Jugendkriminalität bescheinigt hatte, sagte Beck: "Wer selbst im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen." Koch warf er vor, aus Angst vor einer Wahlniederlage zu agieren.
flo/ffr/dpa/AFP/ddp/AP