Zank um Wahlrechtsreform Blame Game

Plenum des Deutschen Bundestags.
Foto: John McDougall/ AFPAm nächsten Mittwoch wird im Innenausschuss des Bundestags eine kleine Entscheidung in Sachen Wahlrecht fallen: Linke, Grüne und FDP wollen dann ihre Reformvorhaben als sogenannte Beschlussempfehlung fürs Gesamtparlament durchsetzen. Heißt: Der Bundestag könnte am darauffolgenden Freitag, dem letzten Sitzungstag vor der Sommerpause, über den Plan der Opposition abstimmen. Die Regierungsfraktionen, so der Wunsch der dunkelrot-gelb-grünen Reformcombo, möge im Innenausschuss den Weg für diese Abstimmung im Bundestag freimachen.
Gewiss scheint aber schon jetzt: Mit einer Lösung des Wahlrechtsdramas wird vor der Sommerpause kaum zu rechnen sein. Mal wieder nicht.
Seit sieben Jahren streiten sich die Parteien nun über das Wahlrecht. Schon bei der nächsten Wahl 2021 droht ein XXL-Parlament - mit 800 und mehr Abgeordneten, einschließlich zusätzlicher Kosten und gefährdeter Arbeitsfähigkeit des Parlaments. Um das zu verhindern, bräuchte es dringend eine Reform. Doch die Parteien blockieren sich gegenseitig.
Der Grund für den Vergrößerungseffekt des Parlaments ist die Schwäche von Union und SPD. Die gewinnen zwar noch immer viele Direktmandate, verlieren jedoch bei der Zweitstimme. Überhang- und Ausgleichsmandate sind die Folge, damit alle direkt gewählten Abgeordneten im Parlament Platz finden und die Stärke der Fraktionen trotzdem zum Zweitstimmenergebnis passt.
Jeder gegen jeden
Die Oppositionsparteien wollen deshalb die Anzahl der Wahlkreise reduzieren, was weniger Überhang- und Ausgleichsmandate bedeuten würde. So sieht es ihr Gesetzentwurf vor. Das würde allerdings die SPD und insbesondere die Unionsparteien treffen. Die Regierungsfraktionen selbst haben bislang noch gar keinen gemeinsamen Reformentwurf vorgelegt.
Alle Parteien schieben sich inzwischen gegenseitig die Schuld zu.
Erster Schuldiger im Blame Game ist Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus. Die Parteichefs Annegret Kramp-Karrenbauer und Markus Söder haben nämlich das getan, was Politiker in unliebsamen Situationen gern tun, wenn wie in diesem Fall mit dem Vorsitzenden der gemeinsamen Fraktion jemand anderes da ist, der die Sache ausbaden kann: Sie haben sich in der Wahlrechtsdebatte so unsichtbar wie möglich gemacht und lassen Brinkhaus machen.
Unionsparteichefs machen sich schlanken Fuß
Brinkhaus wiederum scheint anfangs noch geglaubt zu haben, er könne die unterschiedlichen Interessen in der Union zusammenführen. Aber inzwischen muss der CDU-Politiker feststellen, dass er in der Zwickmühle steckt. Vertrackt wird die Lage dadurch, dass einerseits die CSU sich weder auf eine Reduzierung der Wahlkreisanzahl noch auf eine Nichtzuteilung gewonnener Direktmandate einlassen will und andererseits auch unter den Abgeordneten der CDU ganz unterschiedliche Sichtweisen herrschen.
Selbst die SPD ist inzwischen weiter. Ende Februar legte Fraktionsgeschäftsführer Carsten Schneider einen Vorschlag vor, den die Fraktion nach heftiger interner Debatte im März beschloss. Demnach will die SPD die Zahl der Abgeordneten einmalig bei der nächsten Wahl auf 690 begrenzen. Wahlkreise mit dem niedrigsten Erststimmenergebnis sollen einfach nicht ins Parlament ziehen, so der simple Vorschlag. Danach soll eine grundsätzlichere Reform angegangen werden.
Dagegen wehrt sich bisher vor allem die CSU. Zuletzt hatten nach SPIEGEL-Informationen aber auch die fünf ostdeutschen CDU-Landesgruppenchefs plus jener aus Berlin bei Brinkhaus schriftlich hinterlegt, dass sie ebenfalls dagegen sind. Sie könnten nämlich besonders von dem Vorschlag betroffen sein. Brinkhaus und einige andere Christdemokraten signalisierten hingegen intern vorsichtig ihre Zustimmung.
Unklar ist inzwischen, ob SPD und Union überhaupt noch miteinander über das Thema sprechen. Brinkhaus soll nach SPIEGEL-Informationen zuletzt ein Treffen der Partei- und Fraktionsvorsitzenden von CDU, CSU und SPD geplant haben, um den Knoten zu durchschlagen. Das soll jedoch an CSU-Chef Söder gescheitert sein. Eine Bestätigung für den geplanten Termin gibt es allerdings weder von Brinkhaus noch aus den Parteizentralen der Union, auch eine Absage Söders wird aus München bestritten. Stattdessen betont ein CSU-Sprecher, man sei selbstverständlich "weiter offen für Gespräche".
Mittlerweile unterstellen sich die Akteure gegenseitig, jeweils verfassungswidrige Vorschläge zu unterbreiten. Verfassungsminister Horst Seehofer verkündete seine Kritik am SPD-Modell sogar schriftlich mit Briefkopf seines Ministeriums, die Oppositionsparteien sprachen von einem parteipolitisch motivierten Täuschungsmanöver des Ministers.
Keiner ist unschuldig
FDP-Fraktionsgeschäftsführer Marco Buschmann verkündete am Mittwoch stolz, der Oppositionsvorschlag sei der einzige, der verfassungsrechtlich unbedenklich sei. Was die Opposition verschweigt: Auch ihr Modell ist natürlich angreifbar. Und auch wenn die Blockade hauptsächlich von der Regierung herrührt, hat sich die Opposition in den letzten sieben Jahren praktisch nicht bewegt.
Von reiner Unschuld beim Wahlrechtsdebakel kann deshalb wohl keine Partei sprechen. Die AfD hält sich übrigens inzwischen ganz aus der Diskussion heraus.
Immerhin: Der Bundestag hätte die Chance, über das Reformvorhaben der drei Oppositionsparteien in der kommenden Woche abzustimmen. Kommt es nicht dazu, wäre der Entwurf Geschichte, weil eine Wahlkreisreduzierung angesichts der Aufstellung in den Wahlkreisen zur nächsten Bundestagswahl nicht mehr umsetzbar wäre.
Wenn die Regierungsfraktionen die Beschlussempfehlung im Innenausschuss ablehnen, wollen die Oppositionsparteien das Thema anderweitig auf die Tagesordnung des Bundestags bringen. Dann können sich die Parteien noch einmal in der Öffentlichkeit im Bundestag streiten - so wie die letzten sieben Jahre.
Lösung? Unwahrscheinlich.