Wahlrechtsinitiative Mehr Macht für Mütter und Väter

Wahlrecht von Geburt an: 46 Parlamentarier wollen in ihrem fraktionsübergreifenden Antrag die "letzte Wahlungleichheit" beenden, dass Kinder politisch nicht zählen. Das Kreuz auf dem Stimmzettel sollen dann die Eltern machen - und das schafft neue Probleme.

Hamburg - "Gebt den Kindern das Kommando", forderte Herbert Grönemeyer vor mehr als 20 Jahren. "Kinder an die Macht", hieß sein Hit damals. Abgesehen von einer Menge verkaufter CDs hatte sein Appell bis heute keine Folgen, und das will eine Gruppe von Parlamentariern jetzt ändern: "Der Zukunft eine Stimme geben - Für ein Wahlrecht von Geburt an", heißt der etwas sperriger als Grönemeyers Zeilen klingende Antrag mit der Drucksachenummer 16/9868, der SPIEGEL ONLINE vorliegt. Nach der Sommerpause wird der Bundestag darüber debattieren.

46 Abgeordnete aus SPD, Union und FDP verlangen die Absenkung des Wahlalters auf null Jahre. Was zunächst ziemlich verrückt klingt, wird von so prominenten Mandatsträgern wie Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD), FDP-Generalsekretär Dirk Niebel und der ehemaligen Bundesfamilienministerin Renate Schmidt gefordert.

Wie sang schon Grönemeyer über Kinder: "Sie sind die wahren Anarchisten und lieben das Chaos, räumen ab"

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Foto: AFP

In dem Antrag kritisieren die Abgeordneten, dass 14 Millionen deutsche Staatsbürger vom Wahlrecht ausgeschlossen seien - allein aufgrund ihres Alters. Das halten sie für verfassungswidrig. Renate Schmidt nannte den Umstand einmal in der "Süddeutschen Zeitung" die "letzte Wahlungleichheit in Deutschland". Bislang muss man in Deutschland 18 Jahre alt sein, um bei Bundes- oder Landtagswahlen abstimmen zu dürfen. Das steht so im Grundgesetzartikel 38 Abs. 2. Die Politiker sehen darin jedoch einen Widerspruch zu Grundgesetzartikel 20 Abs. 2. "Hiernach geht alle Staatsgewalt vom Volke aus", heißt es in dem Antrag weiter. "Gemeint ist das deutsche Staatsvolk. Und hierzu gehören alle Deutschen von Geburt."

In Ermangelung von Denk- und Motorikfähigkeiten sollen den Initiatoren zufolge in den ersten Lebensjahren die Eltern für ihre Kinder die Stimme abgeben - ein Ehepaar mit zwei Kindern hätte dann also vier Stimmen statt bisher zwei. Eine alleinerziehende Mutter mit einem Kind hätte zwei Stimmen. "Sobald die Kinder es vermögen", heißt es in dem Antrag weiter, "sollen sie selbst ihr Wahlrecht ausüben." Ein konkretes Alter ist nicht genannt.

Hintergrund der Initiative ist laut Renate Schmidt der demografische Wandel in Deutschland. In SPIEGEL ONLINE erklärt die Ex-Familienministerin: "In einer Gesellschaft, in der die Altersgruppe der über 60-Jährigen zunehmend dominiert, müssen die Interessen der Kinder und Jugendlichen auch gewichtige Stimmen haben. In der Demokratie ist das das Wahlrecht."

Für und Wider quer durch die Parteien

Neu ist die Idee nicht. Schon 2003 debattierte der Bundestag erstmals über ein Wahlrecht für Kinder. Damals war es ebenfalls eine fraktionsübergreifende Gruppe von Parlamentariern, die einen entsprechenden Antrag einbrachte. Obwohl selbst namhafte Verfassungsrechtler wie Paul Kirchhof sich dafür stark machten, bekam der Antrag keine Mehrheit. Der Riss Für und Wider ging quer durch alle Parteien. So nannte etwa CDU-Mann Norbert Röttgen "populistisch motivierten Unsinn", was Ex-Bundespräsident Roman Herzog (CDU) für richtig hielt.

Auch diesmal rechnet niemand ernsthaft damit, dass dem Antrag eine Gesetzesänderung folgen könnte - obwohl die Juristin Lore-Maria Peschel-Gutzeit, ehemalige Justizsenatorin von Hamburg und Berlin, das Werk überarbeitet hat. Und dennoch stecken die Initiatoren viel Engagement hinein. So viel Mühe für nichts? Es gehe vor allem darum, eine öffentliche Debatte herzustellen, sagt der CSU-Abgeordnete und bayerische JU-Vorsitzende Stefan Müller. "Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass der Anteil Älterer zunehmen wird. So sind vermehrt politische Entscheidungen zugunsten der Älteren zu erwarten und dagegen muss man etwas tun", sagt er zu SPIEGEL ONLINE. "Es geht darum, ein Bewusstsein zu schaffen."

Deshalb sind auch Fragen, die Kritiker in Rage treiben, in dem Antrag völlig ungeklärt.

  • Wer macht das Kreuzchen bei Uneinigkeit der Eltern - Mama oder Papa? Jeder ein halbes?
  • Was, wenn der achtjährige Paul die Wahlwerbung der Yogischen Flieger toll findet, seine Eltern aber doch lieber konservativ wählen wollen?
  • Ab wann erlischt das Stellvertreterwahlrecht?
  • Welche Konsequenzen hat es für die Gesellschaft, wenn ein Teil des Volkes (Eltern) mehr Stimmgewicht hat als ein anderer (Kinderlose)?

Da halten es die Antragsteller ganz lässig. Die Entscheidung wird vertagt: "Für den Fall, dass die Eltern sich in der Ausübung ihrer Stellvertreterposition in Bezug auf das Kindeswahlrecht nicht einigen können, wird die Bundesregierung aufgefordert, eine einfache, beide Eltern möglichst gleichberechtigende Regelung zu schaffen."

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