Wahlschlappe im Ländle Wirtschaftsflügel der Union attackiert Merkel

CDU-Chefin Merkel: Profildebatte ist eröffnet
Foto: dapdBerlin - Viele in der Union haben bis zum Wochenende die Faust in der Tasche geballt - aus Rücksicht auf die Wahlkämpfer in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Nun ist der Machtwechsel im Südwesten amtlich und die ersten Kritiker geben ihre Zurückhaltung auf. Vom Wirtschaftsflügel von CDU und CSU kommen am Montagmorgen scharfe Attacken auf die Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzende. Tenor: Vor allem Angela Merkel sei für die schmerzhafte Schlappe im Stammland der Konservativen verantwortlich.
"Es gibt einen massiven Vertrauensverlust in die bürgerlichen Parteien", sagte der Präsident der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung von CDU/CSU (MIT), Josef Schlarmann SPIEGEL ONLINE. Schon lange sei der Regierungsstil der Kanzlerin nur noch pragmatisch-taktisch orientiert. "Die Menschen wissen nicht mehr, wofür diese Regierungskoalition steht", kritisierte Schlarmann, der auch im Bundesvorstand der CDU sitzt.
Der MIT-Chef beklagte, dass grundsätzliche Positionen über Nacht Stimmungen geopfert würden. Natürlich hätten die Ereignisse in Japan die Menschen hierzulande erregt. Zum politischen Thema sei die Katastrophe von Fukushima aber erst durch das Atom-Moratorium geworden. "Das hat Unsicherheit gesät", sagte Schlarmann. "Erst werden die Laufzeiten verlängert, dann wird diese Entscheidung wieder ausgesetzt. Die Menschen fragen sich: Wissen die eigentlich noch, was die da tun?"
"Berlin vergrault die Wähler"
Harsche Worte fand auch Schlarmanns Kollege von der CSU, Hans Michelbach. Der Chef der bayerischen Mittelstands-Union. "Was aus Berlin in den vergangenen Monaten kam, hat erst zur Irritation der eigenen Leute geführt und dann die Wähler vergrault", sagte Michelbach der Online-Ausgabe des "Handelsblatts". Dies gelte für die Steuer-, die Wirtschafts-, die Europa- und auch die Bündnispolitik. "Die Verunsicherung war im Wahlkampf in Baden-Württemberg mit Händen zu greifen", sagte Michelbach. Aus dem Tief werde die Union nur wieder herauskommen, wenn sie eine "klare und verlässliche Linie" fahre.
Schlarmann sieht nun die "letzte Chance" für die Koalition gekommen. "Gerade die Union muss sich am Riemen reißen und das Vertrauen der Wähler zurückgewinnen." Er forderte eine offene Debatte über den künftigen Kurs von CDU und CSU. "Das Schlimmste wäre, wenn sich die Führung einbunkert und gegen Kritik abschottet", sagte Schlarmann. Direkte Konsequenzen für die CDU-Vorsitzende Merkel schloss er aber aus. "Es wäre doch mörderisch, in dieser schweren See den Kapitän zu wechseln."
Die Unionsspitze versuchte am Montagmorgen, drohende Personaldebatten im Keim zu ersticken. Die CDU bleibe "selbstverständlich" aufgestellt wie bisher, sagte CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe in der ARD. "Die Union steht geschlossen zu Angela Merkel." Rückendeckung bekam Merkel auch von CSU-Chef Horst Seehofer. Das Ergebnis sei zwar bitter für die CDU, sagte Seehofer am Montag vor der Vorstandssitzung seiner Partei in München. Anlass für Personaldiskussionen gebe es jedoch "ganz sicher nicht".
Kritik aus CSU
Allerdings kamen aus der CSU auch kritische Stimmen. Innenminister Joachim Herrmann mahnte, der "abrupte Kurswechsel" in der Atompolitik habe sich im Südwesten letztlich nicht "in Glaubwürdigkeit niedergeschlagen". Die Politik der Bundesregierung in den letzten Wochen sei bei den eigenen Anhängern "nicht so hundertprozentig überzeugend rübergekommen". Das Beispiel Atom zeige: "Wenn man schlagartig die Position wechselt, das wird letztendlich von den Wählern natürlich auch nicht honoriert."
Noch deutlicher wurde Ex-CSU-Chef Erwin Huber: "Man hat durch ein chaotisches Krisenmanagement in den letzten 14 Tagen einen wesentlichen Beitrag geleistet, dass Baden-Württemberg - ein Stammland - verlorengegangen ist", sagte Ex-CSU-Chef Erwin Huber in München. "Ich glaube, dass überstürztes, wahltaktisch orientiertes Handeln in der Tat die eigenen Anhänger irritiert hat." Hier müsse man jetzt "in eine glaubwürdige Linie kommen". "Das muss zu ganz ernsthaften Konsequenzen führen in politischen Inhalten", verlangte Huber.
Als ausschlaggebend für die Wahlniederlage in Baden-Württemberg sieht die Führung der Union die Atom-Katastrophe von Japan an. Schon am Montagmorgen zeichnete sich ab, dass die Koalition die Wende in der Energiepolitik nun noch konsequenter fortsetzen will. Bundesumweltminister Norbert Röttgen forderte, den vor zwei Wochen eingeschlagenen neuen Kurs beizubehalten. Denn dieser neue Kurs werde von 80 Prozent der Bevölkerung getragen. "Jetzt geht es darum zu zeigen, dass man schnell aus der Atompolitik raus kann und dass die Energiewende machbar ist, und zwar zum Vorteil der Wirtschaft und der Verbraucher", sagte Röttgen. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende sprach von einer "Bewährungsprobe der Koalition und der CDU".
Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier erklärte vor der Präsidiumssitzung der CDU in Berlin, seine Partei müsse in der Energiepolitik nun zeigen, "dass wir es ernst meinen" und den eingeschlagenen Kurs deshalb konsequent fortsetzen. Ähnlich äußerte sich CDU-General Gröhe. Er erwartet, dass die meisten der nun für eine Sicherheitsüberprüfung abgeschalteten Atomkraftwerke nicht wieder hochgefahren werden. "Da bin ich sehr skeptisch", sagte Gröhe. "Ich halte es für die Mehrheit der Reaktoren für ganz unwahrscheinlich, dass sie wieder ans Netz gehen." CSU-Chef Seehofer sagte dem SPIEGEL: "Ich kann mir schwer vorstellen, dass es wirtschaftlich ist, sie noch einmal nachzurüsten."
Doch auch hier regt sich bereits Widerstand am Wirtschaftsflügel. "In der Atomfrage wurde überhitzt eine Entscheidung getroffen, die unsere Glaubwürdigkeit in Frage stellt", sagte der CDU-Energiepolitiker Thomas Bareiß dem SPIEGEL. Und Fraktionsvize Michael Fuchs, Chef des Parlamentskreises Mittelstand, platzierte am Montag auf seiner Homepage prominent seine Aussagen gegenüber der "Wirtschaftswoche". "Nachrüsten statt abschalten", fordert er dort für die alten AKW. Es sei nötig, in der Atomdiskussion "wieder zu mehr Sachlichkeit zurückzukehren", statt sich in "kollektiver Hysterie zu ergehen".