Warnung vor AKW Biblis B Gabriel heizt den Atom-Wahlkampf an
Berlin - Der Umweltminister redete sich so richtig in Fahrt. Eine "schillernde Debatte" sei das, die CDU und CSU da führten, die Kanzlerin, Roland Koch, Günther Oettinger, Peter Ramsauer, der Wirtschaftsminister, über Laufzeitverlängerungen für alte Kernkraftwerke, mancher sogar über den Neubau von Reaktoren.
Sigmar Gabriels Stimme wurde immer lauter. Die Union sei "der parlamentarische Arm der deutschen Atomwirtschaft", polterte er, sie gefährde den politischen und gesellschaftlichen Konsens über den Atomausstieg und obendrein noch Zehntausende Arbeitsplätze, die durch den Ausbau erneuerbarer Energien entstünden.

Kernkraftwerk Biblis: "Wir reden über einen erheblichen Störfall"
Foto: JOHANNES EISELE/ REUTERS"Das mag man Wahlkampf nennen", bewertete der SPD-Politiker seine Worte auch gleich noch selbst, aber davon gebe es sicher schlimmere Formen, als nur über unterschiedliche Positionen der Parteien zu reden. "So viel dazu", schloss Gabriel seinen Vortrag.
Zu diesem Zeitpunkt war schon eine gute halbe Stunde um, seit der Umweltminister in der Bundespressekonferenz gemeinsam mit dem Chef des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), Wolfram König, Platz genommen hatte, um dessen Jahresbericht vorzustellen. Dabei hatte man doch insgesamt nur 45 Minuten Zeit für die Präsentation, wie man zuvor ankündigte. Aber Gabriel hatte den Journalisten auch ohne deren Fragen einiges zu sagen - nicht unbedingt konkret zum Strahlenschutzbericht, wohl aber zur Zukunft der Atomkraft im Allgemeinen.
Seit der Reaktor Krümmel nahe Hamburg nach einem Trafo-Kurzschluss vor zehn Tagen abgeschaltet werden musste - nachdem er kurz zuvor nach zweijährigen Reparaturarbeiten gerade erst wieder hochgefahren war -, glauben die Sozialdemokraten, endlich ein echtes, emotional aufgeladenes Wahlkampfthema gefunden zu haben.
Doch so recht will der vermeintliche Hit nicht einschlagen. Zwar ist laut einer Forsa-Umfrage die Hälfte der Deutschen für den Atomausstieg bis 2021, so wie ihn Rot-Grün einst beschlossen hat. Und Emnid fand vor einigen Tagen heraus, dass 72 Prozent gar dafür seien, ältere Atomkraftwerke sofort abzuschalten.
Doch abgesehen davon, dass letzteres auch in der Union Fürsprecher findet, scheint die Zukunft der Atomkraft die Gemüter der Deutschen nicht mehr recht zu erhitzen - zumindest, wenn es darum geht, bei wem sie am 27. September ihr Kreuz machen. Für rund zwei Drittel der Menschen hat die Atomkraft auf diese Entscheidung wenig Einfluss, sagen die Forsa-Forscher. Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen auch die Kollegen von Emnid.
Gabriel aber gibt nicht auf. War die erste Empörung über die neuerliche Krümmel-Panne zum Anfang der Woche schon wieder etwas abgeflaut, versuchte Gabriel das Anti-Atom-Wahlkampf-Feuer am Mittwoch wieder anzufachen. So hatte das BfS pünktlich zur Vorstellung des Strahlenschutzberichtes neue radioaktive Schweinereien aus dem Atommülllager Asse II zu berichten. Bei einem Kontrollgang fanden die Betreiber in 900 Metern Tiefe erneut verstrahlte Lauge. Gabriel nannte das für schwach- und mittelaktiven Atommüll vorgesehene frühere Salzbergwerk "eines der schlimmsten Beispiele für verantwortungslosen Umgang mit dem Thema Atommüllendlagerung".
Um Probleme wie in der Asse künftig zu vermeiden, veröffentlichte Gabriels Ministerium am Mittwoch neue Sicherheitskriterien für die Endlagerung von hochradioaktivem Atommüll. Diese seien bei der Suche nach einem geeigneten Endlager ab sofort bindend. Danach dürfen für die Dauer von einer Million Jahren allenfalls geringe, definierte Schadstoffmengen freigesetzt werden. Zudem müsse sichergestellt sein, dass der Atommüll vor dem endgültigen Verschluss des Lagers auch zurückgeholt werden kann.
Fehlerquelle im Kühlwassersystem
Nach der scharfen Vattenfall-Schelte der vergangenen Tage nahm Gabriel am Mittwoch auch einen weiteren Kraftwerksbetreiber ins Visier. Am Wochenende wollte der Energiekonzern RWE den hessischen Reaktor Biblis B nach einjähriger Revision eigentlich wieder anfahren. Doch Gabriel warnte: RWE habe bisher nicht den von seinem Haus für alle elf deutschen Druckwasserreaktoren geforderten Nachweis erbracht, dass man einen Störfall im Kühlwassersystem beherrschen könnte.
Dabei geht es um eine mögliche Fehlerquelle im Kühlwasserkreislauf. Im Falle eines Wasseraustritts könnte demnach Isoliermaterial das Kühlsystem verstopfen, was laut Gabriel deutlich gefährlicher wäre als der Trafo-Kurzschluss in Krümmel. "Wir reden über einen erheblichen Störfall", sagte er. Für Biblis B sei nicht nachgewiesen, dass das Risiko durch entsprechende Nachrüstungen "nach dem Stand von Wissenschaft und Technik" minimiert wurde.
"RWE sollte nicht den gleichen Fehler wie Vattenfall machen", warnte Gabriel. Biblis B steht seit Januar für die Wartung still und sollte eigentlich schon im Juni wieder zum Anfahren bereit sein. Der Schwesterreaktor Biblis A steht ebenfalls still. Beide Mitte der siebziger Jahre in Betrieb genommenen Blöcke gehören zu den sieben älteren Reaktoren, die Gabriel in der nächsten Wahlperiode abschalten will.
Eine Handhabe, Biblis B nun vom Netz zu halten, hat der Minister nicht, musste er einräumen. Das sei Sache der hessischen Atomaufsicht, auch wenn in diesem Fall im juristischen Sinne keine Extra-Genehmigung der Behörde erforderlich sei. Er habe dem Umweltministerium in Wiesbaden geraten, das Gespräch mit RWE zu suchen, sagte Gabriel.
Biblis B bleibt noch "einige Wochen" abgeschaltet
Zugleich behielt er sich vor, als Bundesaufsicht per Weisung einzuschreiten, sollte Biblis B trotz seiner Appelle am Wochenende ans Netz gehen. "Dann sehen wir uns wieder hier", versprach er den Journalisten und schob hinterher, er müsse doch die Gelegenheit nutzen, noch ein paar Mal vor die Bundespressekonferenz zu kommen. Das wird Gabriel durchaus ernst gemeint haben, schließlich hat er Gefallen gefunden am Anti-Atom-Wahlkampf.
Atomkraftwerke in Deutschland
Auf den nächsten Auftritt muss er nun aber doch noch etwas warten. Am Nachmittag teilte das hessische Umweltministerium mit, Biblis B werde erst wieder ans Netz gehen, wenn die geforderten Nachrüstungen erledigt seien. Das habe die Atomaufsicht mit RWE abgestimmt. Die Nachrüstung der sogenannten Sumpfsiebe sei ohnehin für die nächste Revision geplant gewesen, sie werde nun während des Stillstandes "zeitnah" erfolgen.
Der Reaktor werde deswegen noch "einige Wochen" abgeschaltet bleiben, sagte ein Sprecher von RWE. Er betonte jedoch, dass es keine sicherheitstechnischen Gründe gegeben habe, Biblis B nicht schon am Wochenende anzufahren. Das Unternehmen habe während der Revision in den vergangenen Monaten rund 100 Millionen Euro in die Modernisierung des Reaktors gesteckt. Dass man die Nachrüstung nun auf Druck der Atomaufsicht vornehme, davon wollte man beim Energiekonzern nichts wissen. Dies sei eine "freiwillige Maßnahme".