
Eliten-Diskurs Warum die Linke den Kampf gegen rechts verliert


Teilnehmerinnen des Women's March (in Berlin)
Foto: Adam Berry/ Getty ImagesAls der Immobilienhändler Donald Trump im November 2016 überraschend zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde, gab es unter links engagierten Menschen einen Moment der Verunsicherung. Es war vor allem eine Zahl, die zu denken gab.
Nicht nur weiße, verbitterte Männer hatten Trump gewählt, das war zu erwarten gewesen, sondern auch eine hohe Zahl von Frauen. Bei der Gruppe der weißen Frauen hatte Trump 53 Prozent der Stimmen geholt, weit mehr als seine Konkurrentin Hillary Clinton. Unter den weißen Frauen ohne Collegeabschluss lag der Anteil der Trump-Wählerinnen sogar bei 62 Prozent.
Was ist schiefgelaufen, fragten sich viele, die fest mit einem Wahlsieg Clintons gerechnet hatten. Kann es sein, dass wir es mit der Fixierung auf Minderheiten und Minderheitenthemen übertrieben haben? Sind unsere Botschaften, die von Mittelschichtsmenschen mit Mittelschichtsproblemen erdacht wurden, vielleicht zu speziell, um damit die Mehrheit zu überzeugen?
Der Schreckmoment ist vorbei. Wenn es auf der Linken so etwas wie einen Trump-Schock gegeben hat, dann hat er nicht lange vorgehalten. Identitätspolitik, also die Fixierung auf das Trennende anstelle des Verbindenden, steht wieder hoch im Kurs.
Am Dienstag machte die Nachricht die Runde, dass an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin ein Gedicht des Lyrikers Eugen Gomringer übermalt werden muss, weil der Satz "Alleen und Blumen und Frauen und ein Bewunderer" unangenehm an die sexuelle Belästigung erinnere, der Frauen alltäglich ausgesetzt seien. Man kann darin, wenn man will, das Kuriosum eines überhitzten Hochschulbetriebs sehen. Ich halte es für ein Zeichen, wie sehr man auf der Linken den Kompass verloren hat. Denn natürlich handeln die Studenten im Einklang mit dem Zeitgeist.
Es gibt wieder eine Zahl, die zu denken geben sollte. Diese Zahl lautet: ein Prozent.
Ein Prozent der Deutschen hat auf dem ersten Höhepunkt der #MeToo-Debatte im November gefunden, dass Sexismus ein wichtiges Thema sei. So konnte man es im Trendbarometer des Meinungsforschungsinstituts Forsa nachlesen, das im Auftrag von RTL und n-tv wöchentlich die Stimmungslage der Bürger erkundet. Sogar die Debatte über Tierschutz rangierte mit zwei Prozent noch weiter vorn.
Verengung auf Themen, die außerhalb von Konferenzräumen kaum jemand versteht
Das heißt nicht, dass die Enthüllungen über berühmte Männer die Leute kalt lassen. Aber es bleibt auf der Ebene des Voyeurismus. Wenn Dieter Wedel der allgemeinen Verachtung anheimfällt, dann nimmt man das mit dem lächelnden Interesse zur Kenntnis, mit dem man auch den Fall eines unseligen Sprosses eines berühmten Adelsgeschlechts quittiert.
Jakob Augstein hat am Montag die AfD zur neuen Volkspartei in spe erklärt. Er könnte recht behalten, allerdings aus anderen Gründen als denen, die er anführt. Nicht die behauptete Wende zum Neoliberalismus ist es, was der Linken das Genick bricht, sondern die Verengung auf Themen und Vorstellungen, die außerhalb von Konferenzräumen kaum jemand versteht.
Man muss nur ein wenig den Parteitag der SPD verfolgt haben, dann weiß man, wie weit sich zum Beispiel die Sozialdemokratie von der Normalität entfernt hat. Zu den Punkten, die in den Koalitionsgesprächen mit der Union unbedingt nachverhandelt werden sollen, gehört der Familiennachzug für Flüchtlinge. Umgekehrt ist Parteichef Schulz besonders stolz, mehr Geld für Brüssel herausgeschlagen zu haben. Fragt sich niemand im Parteivorstand, warum ausgerechnet das Errungenschaften sein sollen, die Menschen in Gelsenkirchen oder Wilhelmsburg dazu veranlassen, wieder ihr Herz für die SPD zu entdecken?
Das Problem der Linken ist nicht, dass sie zu wenig Sympathie genießt. Die Redaktionsstuben sind voll mit Leuten, die dem linken Projekt alle Daumen drücken. Das Problem ist, dass die Anführer Politik für Menschen machen, die zur Bestätigung ihrer Meinungen vorzugsweise "Zeit" oder "Süddeutsche" konsultieren. Es ist einige Zeit her, dass man sich links der Mitte als Anwalt der einfachen Leute verstand. Heute sind einem dort diese Leute eigentlich nur noch peinlich, jedenfalls dann, wenn sie nicht so gebildet, vorurteilslos und weltgewandt sind, wie man das von den Deutschen erwartet.
Mit der Identitätspolitik ist kein Aufstiegsversprechen mehr verbunden
Identitätspolitik ist Politik für Menschen, die man um elf Uhr im Café trifft, wo sie darüber reden, welche Projekte sie als nächste angehen werden. Klar, auch in diesem Milieu gibt es prekäre Beschäftigung. Aber es macht eben einen gewaltigen Unterschied, ob man sich mit zwei Minijobs über Wasser hält oder Papa einem unter die Arme greift, wenn man gerade mal wieder klamm ist. Im Zweifel winkt eine Erbschaft, auf die man ein paar Raten zieht.
Mit der Identitätspolitik ist kein Aufstiegsversprechen mehr verbunden, auch deshalb ist man links der Mitte mit seinem Latein ziemlich am Ende. Dem Schicksal, Frau zu sein oder schwul oder Migrant, entkommt man nicht durch Bildung oder vermehrte Leistung. Damit läuft auch der Sozialstaat mit seinen finanziellen Interventionen ins Leere.
Klassengegensätze lassen sich über Umverteilung entschärfen. Aber wie will man das Schicksal einer lesbischen Türkin lindern, die sich diskriminiert fühlt, obwohl sie an einer der besten Hochschulen des Landes studiert und damit über Privilegien verfügt, von denen man am unteren Rand der Gesellschaft nur träumen kann?
Das Einzige, was die Identitätspolitik in Aussicht stellen kann, ist eine Gesellschaft, die über Unterschiede hinwegsieht. Sie zum Verschwinden zu bringen, das vermag auch sie nicht. Eine Politik, die ständig ihr Scheitern eingestehen muss, ist allerdings nicht sonderlich attraktiv. Wenn sie auf eine erfolgreiche Konkurrenz trifft, kann es schnell vorbei sein.