Koalitionsspekulationen Plötzlich Schwarz-Grün

Merkel, Trittin (im Juni 2011 im Bundestag): Kein Plan, aber auch kein echtes Problem
Foto: Michael Kappeler/ dpaBerlin - Die Zahlen der Meinungsforscher sind ziemlich eindeutig: Eine Mehrheit für Schwarz-Gelb ist derzeit nicht in Sicht. Aber auch Rot-Grün wäre keine Alternative. Klar, die Große Koalition ist immer eine Option. Aber es gibt noch ein Bündnis, in dem zwei Partner etwas miteinander anfangen könnten. Auf zusammen 53 Prozent kommen Union und Grüne in der neuesten Forsa-Erhebung. Das wären stabile Verhältnisse. Rein rechnerisch.
Neu ist die schwarz-grüne Umfragemehrheit nicht. Die Demoskopen haben diese sogar für weite Strecken dieser Wahlperiode feststellen können. Doch die Spekulationen über ein mögliches Bündnis zwischen Union und Öko-Partei haben eine neue Dynamik gewonnen, seit die auch für bürgerliche Wählerkreise attraktive Katrin Göring-Eckardt bei der Urwahl der Grünen triumphierte.
Zusätzlich befeuert wird die Debatte jetzt durch einen Vorstoß der CDU-Bundestagsabgeordneten Marcus Weinberg und Matthias Zimmer, die sich nach den zahlreichen Wahlpleiten in den Großstädten der Republik für eine Annäherung an die Grünen aussprechen. Der Hamburger Weinberg und der Frankfurter Zimmer haben dabei zwar vor allem die Metropolen im Blick. Doch sehen sie die Städte zugleich als "Laboratorien der Moderne, in denen auch die Reflexe der Union auf neue gesellschaftliche Entwicklungen erprobt werden".
Es sind Lockerungsübungen - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Mit Blick auf die Bundestagswahl 2013 sind die Lager zunächst einmal klar verteilt: Schwarz-Gelb gegen Rot-Grün heißt das Duell. Doch wenn es auch am Wahltag für keine der beiden traditionellen Kombinationen reicht, dann ist die schwarz-grüne Variante plötzlich wieder im Spiel - als mutige Alternative zur Großen Koalition. Mit anderen Worten: Schwarz-Grün wird nicht geplant. Schwarz-Grün würde einfach passieren.
Cohn-Bendit sieht Chance zum "historischen Schritt"
Und dafür sollte man gewappnet sein, findet Grünen-Spitzenmann Daniel Cohn-Bendit. "Ich finde es ehrlich, dass wir sagen, wir streben für 2013 ein rot-grünes Bündnis an", sagt der Fraktionschef der Grünen im Europaparlament. "Aber klar ist auch: Derzeit sieht es nicht so aus, als würde es für Rot-Grün reichen." Die Wähler könnten Fakten schaffen, die es erzwingen, "dass wir uns mit dieser Option oder anderen Optionen auseinandersetzen müssen. Und darauf sollten wir vorbereitet sein."
Dazu gehört aus Cohn-Bendits Sicht für den Fall des Falles auch ein "Verhandlungsangebot" an die Union. "Wenn die Union mit uns einen großen Entwurf für ein föderales Europa angeht und wenn sich die CDU vom populistischen Getöse der CSU emanzipiert, dann wäre das aus meiner Sicht ein historischer Schritt und entsprechend reizvoll", findet der grüne Europapolitiker.
So mögen auch andere prominente Grünen-Leute denken. Offen darüber sprechen wollen die wenigsten. Vor allem in der Grünen-Bundes- und Fraktionsspitze hört man solche Worte aus den eigenen Reihen nicht gerne. Für Fraktionschef Jürgen Trittin etwa lenken die schwarz-grünen Gedankenspiele nur unnötig vom großen Ziel ab, Kanzlerin Angela Merkel und ihr Bündnis mit der FDP abzulösen. Auch Göring-Eckardt, die designierte Spitzenkandidatin an seiner Seite, beeilte sich, nach ihrer Wahl klarzustellen, dass es um "Grün oder Merkel" gehe.
Merkels Gelassenheit
Auch führende Unionspolitiker schweigen sich lieber über die grüne Bündnisoption aus. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe teilt am Mittwoch lediglich mit, dass er sich schon bald mit den Autoren des Großstadtpapiers, das sich so ausführlich mit den Grünen befasst, treffen will. "Wir freuen uns über jeden, der sich Gedanken zum Kurs der CDU macht", sagt Gröhe. Kein Wort zu den Grünen, mit denen er in den neunziger Jahren in der sogenannten Pizza-Connection so freundschaftliche Kontakte pflegte.
Wie Gröhe sitzen auch viele andere Christdemokraten aus jener Gruppe heute auf einflussreichen Posten. Am Personal sollte eine Verbindung zu den alten Bekannten also nicht scheitern. Doch politisch ist die Distanz in den vergangenen Monaten wieder gewachsen - trotz Atomausstieg und fraktionsübergreifender Euro-Rettung. So rücken die Grünen bei allem bürgerlichen Anstrich inhaltlich mit ihren Forderungen nach einer Vermögensteuer und höheren Hartz-IV-Sätzen eher wieder nach links.
Dazu kommt, dass die schwarz-grünen Experimente auf Landesebene bisher kläglich gescheitert sind. Die Jamaika-Koalition im Saarland zerbrach im Januar dieses Jahres - wenngleich dort Personalquerelen in der FDP die Ursache waren. In Hamburg platzte die Koalition von CDU und Grünen Ende 2010 nach zweieinhalb Jahren. Unter diesen Voraussetzungen in ein schwarz-grünes Bündnis im Bund zu stolpern, ist riskant. Geht es auch hier schief, wäre die Option auf lange Zeit verbrannt. Die Grünen säßen zudem in der Glaubwürdigkeitsfalle. Wer im Wahlkampf immer wieder nach Rot-Grün ruft, dem könnte schnell als Machtversessenheit ausgelegt werden, wenn er dann Angela Merkel dazu verhilft, im Amt zu bleiben.
Die Kanzlerin beobachtet die neuerlichen Gedankenspiele gelassen. Sie hat die Hoffnung auf eine schwarz-gelbe Neuauflage längst noch nicht aufgegeben. Zugleich ist sie so pragmatisch, dass sie eine schwarz-grüne Koalition nicht kategorisch ausschließt. Würde sie 2013 mit Trittin und Co. ein Bündnis schmieden, hätte Merkel maximale Flexibilität bewiesen: SPD, FDP, Grüne - die CDU-Chefin kann mit allen, und die strategischen Machtoptionen für die Union würden sich auf einen Schlag enorm erweitern.
So weit ist es längst noch nicht. Und weder in der CDU-Zentrale noch im Kanzleramt steht man kurz davor, eine schwarz-grüne Task Force zu bilden. Dass sich allerdings SPD-Chef Sigmar Gabriel unmittelbar nach der Wahl Göring-Eckardts genötigt fühlte, den Grünen ein Bekenntnis zu Rot-Grün abzuverlangen, registrierte die Kanzlerin dem Vernehmen nach mit amüsierter Genugtuung. Wenn es für Nervosität bei der Konkurrenz sorgt, dann darf aus ihrer Sicht ruhig weiter über Schwarz-Grün spekuliert werden.