
S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal Was Alexander Gauland uns sagen will


Alexander Gauland
Foto: Ralf Hirschberger/ dpaAlexander Gauland hat dem SPIEGEL ein Interview gegeben. Es ging, wie so oft bei ihm, um die Frage, wer zu Deutschland gehört und wer nicht. Oder, um gaulandsche Termini zu benutzen: Welche Menschen so "raum- und kulturfremd" sind, dass man sich ein gedeihliches Zusammenleben mit ihnen nur schwer vorstellen kann. Diesmal lief ein Aufnahmegerät, man kann sich also auf die Authentizität des Gesagten verlassen.
Dass er kein Rassist sei, ja dass er Rassismus grundsätzlich ablehne, steht am Anfang. Es ist eine Selbstbeschreibung, die nicht schon deshalb unwahr wird, weil man anderes vermutet. Gauland hat sofort in Abrede gestellt, sich beleidigend oder fremdenfeindlich geäußert zu haben, als er im Gespräch mit der "FAS" die nachbarschaftliche Akzeptanz des Fußballspielers Jérôme Boateng in Zweifel zog. Auch im SPIEGEL beharrt er darauf, es habe sich um ein Missverständnis gehandelt. Man habe ihm den Namen Boateng vor die Füße gelegt, und er sei darüber gestolpert.
Man muss bei Gauland genau hinhören. Er hat eine unnachahmliche Begabung, noch bei den größten Ungeheuerlichkeiten so zu wirken, als sei er darüber genauso bekümmert wie seine Kritiker. Um zu verstehen, was Gauland sagen will, empfiehlt sich ein Verfahren, das man aus der Literaturwissenschaft als Dekonstruktion kennt. Man muss seine Sätze nicht deuten, um einen geheimen Sinn zu entschlüsseln - man muss sie im Gegenteil wörtlich nehmen.
In einer ersten Erklärung hat der stellvertretende AfD-Vorsitzende vergangene Woche davon gesprochen, er habe seinen Satz über den Nationalspieler Boateng unmöglich als Beleidigung meinen können, da ihm dessen "gelungene Integration" aus Berichten bekannt sei. Gauland benutzt eine ähnliche Formulierung im Gespräch mit dem SPIEGEL, als er auf "die vielen klugen Fernsehjournalistinnen" mit einem "türkischen oder iranischen Namen" zu sprechen kommt, die seien, wie er sich ausdrückt, "in einer Weise integriert, dass wir darüber gar nicht reden müssen."
"Viele, kluge Fernsehjournalistinnen"
Integration ist hier das zentrale Wort. Es soll kalmierend wirken und alle Zweifel an der Lauterkeit des Sprechenden zerstreuen. Tatsächlich ist das Wort ein Begriff, der wie eine Falltür funktioniert. Was selbstverständlich klingt, eröffnet einen schwarzen Raum der Fragen, wenn man anfängt, darüber nachzudenken, was gemeint sein könnte.
Jérôme Boateng ist in Berlin geboren. Er hat immer die deutsche Staatsangehörigkeit besessen, Deutsch ist seine Muttersprache. Gleiches gilt für die ZDF-Moderatorin Dunja Hayali, auf die sich Gauland in seinem Satz über die "vielen, klugen Fernsehjournalistinnen" bezieht. Aber offenbar reicht das nicht, um als Deutscher durchzugehen. Folgt man dem AfD-Vorsitzenden in seinen Gedankengängen, wird dazu eine weitere Leistung erwartet, eine Integrationsleistung eben. Dass die Staatsangehörigkeit allein noch keinen echten Deutschen macht, sagt Gauland selber: "Indem ich einen deutschen Pass habe, bin ich noch kein Deutscher."
Wie könnte die Integration aussehen, die aus einem zufälligen einen echten Deutschen macht? Eine Möglichkeit wäre, dass man durch sein Handeln erkennen lässt, wie sehr man sich zur gemeinsamen Kultur bekennt, also zu den Werten und Tugenden, die man im weitesten Sinne mit dem Deutschsein verbindet. In der AfD ist viel von Kultur die Rede. Gauland verweist regelmäßig auf den europäischen Kulturraum, in dem er sich heimisch fühlt.
Den Lebensstil zum eigentlichen Definitionsmerkmal des Deutschen zu machen, ist allerdings eine zweischneidige Sache. Wenn die Anerkennung von Tugenden wie Fleiß, Pünktlichkeit und Ordnungsliebe das entscheidende Kriterium ist, um als Kerndeutscher zu gelten, dürften auch Teile der deutschen Unterschicht als nicht wirklich integriert gelten. Wer nicht einmal in der Lage ist, seinen Kindern zum Frühstück ein Butterbrot zu schmieren, von dem wird man kaum sagen können, dass er die hiesige Leitkultur verinnerlicht hat.
Denken in erbbiologischen Kategorien
Man darf bezweifeln, dass Gauland das meinte, als er im Zusammenhang mit Deutschen wie Boateng und Hayali von Integration sprach. Damit bleibt nur die Möglichkeit, dass er von ihnen eine Sonderleistung verlangt wird, weil sie andere ethnische Wurzeln haben. Wenn weder Staatsangehörigkeit noch kulturelle Identität die entscheidenden Kriterien sind, um die Zugehörigkeit zur Volksgemeinschaft zu begründen, landet man zwangsläufig bei der Abstammung. Dann ist es die Hautfarbe oder die biologische Herkunft, die darüber bestimmen, ob man automatisch dazu zählt oder erst beweisen muss, dass man wirklich ein Deutscher ist.
Volker Zastrow hat der AfD vor einem halben Jahr in einem Kommentar vorgehalten, im Kern eine völkische Bewegung zu sein. Das schien damals ein sehr hartes Urteil, das auch die Führungsspitze der AfD, inklusive Gauland, sehr erregt hat. Ich weiß das so genau, weil ich nur wenige Tage nach Erscheinen des Kommentars mit Gauland zusammensaß und er sich über das Wort "völkisch" empörte.
Gauland lebt lange genug in Deutschland, um zu wissen, dass nicht jeder Besitzer eines deutschen Passes Meier oder Schmidt heißt. Wer Menschen für nicht deutsch genug hält, weil der Name auf eine Abstammungslinie verweist, die über den europäischen Kulturraum hinausweist, denkt in erbbiologischen Kategorien. Nichts anderes ist mit dem Begriff völkisch gemeint.
Liebe Leser,
die Kolumnentage haben sich geändert. Es gilt künftig folgende Reihenfolge:
Montag: Jan Fleischhauer - Der Schwarze Kanal
Dienstag: Margarete Stokowski - Oben und unten
Mittwoch: Sascha Lobo - Die Mensch-Maschine
Donnerstag: Jakob Augstein - Im Zweifel links
Freitag: Thomas Fricke - Die Rechnung, bitte!
Samstag: Sibylle Berg - Fragen Sie Frau Sibylle
Sonntag: Georg Diez - Der Kritiker
