US-Spionage in Deutschland "Ungeheuerlich, unerträglich, völlig inakzeptabel"

Bundeskanzleramt, gespiegelt: Wer hatte hier noch den Durchblick?
Foto: Paul Zinken/ picture alliance / dpaBislang verfolgte die SPD in der Affäre um die Zusammenarbeit des Bundesnachrichtendienstes (BND) mit dem US-Geheimdienst NSA eine klare Linie: Harte Kritik ja, aber bitte vor allem am Bundeskanzleramt und dem Innenministerium - beide Behörden werden von CDU-Ministern geführt.
Diese Linie hat der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) jetzt verlassen. Gegenüber Bild.de machte er in deutlichen Worten die Bundesregierung insgesamt für die Aufklärung der Affäre verantwortlich - und nahm damit auch die SPD-Minister in die Pflicht. Weil bezeichnete den bisherigen Umgang mit der Affäre als "Stück aus dem Tollhaus" und forderte: "Der gegenwärtige Zustand ist unerträglich, die Bundesregierung muss aufhören zu mauern."
Vor gut einer Woche waren Vorwürfe ans Licht gekommen, wonach der BND der NSA über Jahre geholfen haben soll, europäische Unternehmen und Politiker auszuforschen. Lesen Sie die ganze Geschichte hier im neuen SPIEGEL.
Den Verdacht bezeichnete Weil als "ungeheuerlich". "Was wir täglich hören, verschlägt einem den Atem", sagte er. "Entweder es ist falsch, dann muss das gesagt werden. Oder es ist richtig, dann haben wir einen handfesten Skandal."
Die Tatsache, dass die Sachverhalte geheim seien, dürfe dabei nicht als Vorwand dienen, um die Aufklärung zu verhindern: "Dieses Verhalten ist völlig inakzeptabel. Es müsse im ureigensten Interesse der Bundesregierung sein, für Aufklärung zu sorgen, "ansonsten wird das Vertrauen in die Bundesregierung und in den Bundesnachrichtendienst deutlichen Schaden nehmen." Die Regierung müsse jetzt alle erforderlichen Unterlagen offenlegen. "Danach werden sich möglicherweise auch Fragen nach personellen Konsequenzen stellen."
Grüne wollen Aktuelle Stunde zum BND-Skandal
Die Grünen wollen die neuen Spionagevorwürfe gegen den BND und den US-Geheimdienst NSA im Bundestag auf die Tagesordnung setzen. Die Grünen-Fraktion will dazu für die kommende Woche eine Aktuelle Stunde im Parlament beantragen. "Die immer neuen Enthüllungen über die Spähaktionen des BND und der NSA müssen über den Untersuchungsausschuss hinaus das ganze Parlament beschäftigen", sagte Grünen-Fraktionsgeschäftsführerin Britta Haßelmann. "Angela Merkel und ihr Kanzleramtsminister Peter Altmaier dürfen nicht länger schweigen."
BND-Chef soll vor den Untersuchungsausschuss
BND-Präsident Gerhard Schindler muss möglicherweise schon an diesem Donnerstag wegen der Spionageaffäre vor dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags erscheinen. Das Gremium erwäge, Schindler als "präsenten Zeugen" zu laden, sagte die Linke-Obfrau im NSA-Untersuchungsausschuss Martina Renner. Das heißt, der BND-Chef müsste sich bereithalten und bei Bedarf kurzfristig vor dem Ausschuss erscheinen.
Das Gremium will bei seiner Sitzung zunächst zwei BND-Mitarbeiter aus der Abteilung "Technische Aufklärung" befragen. Sollte es im Laufe ihrer Vernehmung Bedarf für Nachfragen an Schindler geben, könnte der Geheimdienstchef kurzfristig in das Gremium bestellt werden. Über das genaue Prozedere entscheiden die Obleute der Fraktionen im NSA-Ausschuss.
Die Antwort war ein Wort: "Löschen"
Bei der Untersuchung der am Horchposten in Bad Aibling eingespeisten NSA-Suchbegriffe stieß der Bundesnachrichtendienst (BND) im August 2013 in großem Umfang auf sogenannte Selektoren, also Suchmerkmale. Mit diesen forschten die USA Diplomaten und Mitarbeiter von Regierungen in Europa aus.
Auf Anhieb landete ein BND-Mitarbeiter einen Volltreffer: Es fanden sich insgesamt 12.000 solcher Merkmale in der Suchdatei, darunter etliche E-Mail-Adressen, die zu hochrangigen französischen Diplomaten führten. Auch E-Mail-Accounts von EU-Institutionen und von Mitarbeitern mehrerer europäischer Regierungen sollen sich darunter befunden haben.
Am 14. August 2013 teilte der BND-Sachbearbeiter seine Entdeckung dem BND-Verantwortlichen vor Ort mit dem Kürzel R. U. mit. "Was soll ich damit machen?", schrieb der Beamte. Die Antwort war ein Wort: "Löschen."
Der SPIEGEL hatte zuvor berichtet, dass die NSA mittels BND-Technik über Jahre europäische Unternehmen und Politiker ausforschte. Die NSA lieferte dem BND demnach für die Überwachung des Datenverkehrs von der Abhörstation Bad Aibling aus viele Selektoren - wie etwa Telefonnummern oder IP-Adressen von Computern - zu Zielen in Europa. Der BND informierte das Kanzleramt über unzulässige Spähversuche der Amerikaner bereits vor Jahren. Doch erst als der NSA-Untersuchungsausschuss nachhakte, stellte die Regierung intensivere Nachforschungen an und weiß seit März detaillierter Bescheid.