
Demokratieverachtung Wie Deutschland seine politische Mitte verliert

Pegida-Demo (Archivbild): Demokratieverachtung wächst, die Sitten verrohen
Foto: ROBERT MICHAEL/ AFPAn diesem Wochenende soll vor dem Kanzleramt in Berlin wieder demonstriert werden. Es geht gegen den deutschen Kriegseinsatz in Syrien, gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und gegen irgendwas mit Amerika. Interessant ist, welch breites Bündnis von ganz rot bis sehr braun zur Teilnahme aufruft. Selbsternannte Abendland-Patrioten schreiten Seit an Seit mit Putin-Fans, Neonazis mit Anhängern der Linkspartei, Israel-Gegner mit Islam-Hassern.
"manche meinen lechts und rinks kann man nicht velwechsern", dichtete vor 50 Jahren Ernst Jandl: "werch ein illtum!" Das war schon damals nicht als Witz gemeint. Jandl hatte nicht vergessen, wie leicht es den Nazis wenige Jahre zuvor gefallen war, nationalistische und sozialistische Kräfte zu vereinen.
Nun ist es zum Glück noch nicht so weit wie in der Spätphase der Weimarer Republik. Doch es ist bedrohlich, wie schnell die Bewegung an Unterstützung gewinnt, wie sich große Teile der bürgerlichen Mitte radikalisieren, wie die Demokratieverachtung wächst und die Sitten verrohen. Bei einer Anti-Flüchtlingsdemo mit etwa 10.000 Teilnehmern in Dresden wurde für Angela Merkel ein Holzgalgen herumgetragen, bei einer Anti-TTIP-Demo mit etwa 200.000 Leuten in Berlin war es eine Papp-Guillotine. In beiden Fällen schien sich vor Ort niemand darüber aufzuregen.
Wutbürger aus allen Teilen der Gesellschaft
Deutschland ist dabei, seine politische Mitte zu verlieren. Die neuen Wutbürger kommen aus allen Teilen der Gesellschaft. Es sind wertkonservative Intellektuelle darunter, fromme Christen, linke Globalisierungsgegner und radikale Pazifisten. Es ist ein Aufstand der Verängstigten, denn sie alle eint die Sorge vor dem Fremden und das Misstrauen gegenüber den Eliten.
Die Otto-Brenner-Stiftung der Gewerkschaft IG Metall hat vor einigen Wochen eine Studie über den neuen Populismus in Deutschland veröffentlicht. "Die Grenzen zwischen traditionell linken und rechten Haltungen verwischen", heißt es in der Studie. "Politisch verorten sich die Akteure überwiegend jenseits klassischer Rechts-links-Schemata." Der Autor Wolfgang Storz spricht von einer Querfront, ein Begriff, der auf die Weimarer Republik zurückgeht.
Jürgen Elsässer, der bei der Demo an diesem Wochenende vor dem Kanzleramt als Redner eingeplant ist, drückt so aus: "Antifa, Pegida, Mahnwache, Linke, Rechte, marschiert zusammen. Ihr braucht euch nicht zu lieben, ihr habt jetzt nur eine Bürgerpflicht: denen da oben eine Grenze aufzuzeigen." Elsässer selbst war früher beim Kommunistischen Bund und schrieb für linke Blätter wie "Junge Welt" oder den "Freitag". Jetzt ist er Chefredakteur von "Compact", Auflage angeblich 70.000, einem Magazin, in dem Monat für Monat gegen Flüchtlinge gehetzt wird.
Der Aufschrei bleibt aus
Und dem verbalen Hass folgen Taten. Laut Bundesinnenministerium hat es in diesem Jahr bereits 817 Straftaten gegen Asylunterkünfte gegeben, darunter 68 Brandanschläge. In 2014 waren es rund 200 Straftaten und nur sechs Brandanschläge. Viele Täter kommen aus der Mittelschicht, so wie Kim. M., Finanzbeamter aus Escheburg, der einen Kanister Pinselreiniger in ein leerstehendes Gebäude kippte, um den Zuzug von Flüchtlingen zu verhindern.
Die Gewalt gegen Flüchtlinge ist entsetzlich, eine Schande für das Land. Doch anders als früher gibt es deswegen weder große Proteste noch Lichterketten. Der Aufschrei fällt weitgehend aus. Ein wachsender Teil der Gesellschaft scheint, seltsam ungerührt zu sein oder versteigt sich in absurde Theorien. "Ich will das auf keinen Fall herunterspielen", so der AfD-Politiker und frühere ARD-Fernsehreporter Armin Paul Hampel im neuen SPIEGEL, "aber es ist doch klar, dass ein Gutteil dieser angeblichen Brandanschläge von den Flüchtlingen selbst kommt, meist aus Unkenntnis der Technik. Mal ehrlich, viele von ihnen dürften es gewohnt sein, in ihren Heimatländern daheim Feuer zu machen."
Wenn in den vergangenen Jahren von Extremisten die Rede war, handelte es sich oft um glatzköpfige Schlägertypen mit Bomberjacke, die zu doof waren, sich "Blood & Honour" ohne Rechtschreibfehler auf den Arm tätowieren zu lassen. Die Typen gibt es noch immer, aber sie sind längst nicht mehr die größte Bedrohung. Das nun wieder diskutierte Verbot der NDP wird deshalb auch das Problem nicht lösen.
Wenn die neuen Populisten auf unsere Milieus zielen, kommt es jetzt darauf an, sie dort zu stellen. Die Anständigen müssen den Verängstigten entgegentreten, am Arbeitsplatz, im Sportverein, im Freundeskreis. Sie sollten es den anderen nicht durchgehen lassen, wenn Facebook-Freunde Hetzartikel aus "Compact" oder ähnlichen Blättern empfehlen, wenn Bekannte Brandanschläge verharmlosen, wenn auf öffentlichen Veranstaltungen über Flüchtlinge gelogen wird.
Frankreichs Marine Le Pen hat den Aufstieg ihres rechtspopulistischen Front National damit erklärt, dass es ihr gelungen sei, ihre Truppe als Biedermänner darzustellen und in der Mitte der Gesellschaft zu verankern. Sie spricht freimütig von "Entteufelung ihrer Partei".
Sage keiner, man hätte uns nicht gewarnt.