Aus für Rot-Grün in NRW Das bisschen Haushalt
Im ersten Stock des Landtags, direkt vor dem Eingang zum Plenarsaal, steht an diesem Mittwochmittag ein Tisch, hinter dem zwei Frauen und ein Mann hocken. Auf dem Plastikbanner daneben ist der Schriftzug "Informationsstand Versorgungswerk" zu lesen, weshalb der Herr im dunklen Anzug auch gerne etwas ausführlicher erläutert, dass "hier und heute" die Parlamentarier in Sachen Altersversorgung beraten würden. Auf die Nachfrage, ob das an diesem Tag nicht merkwürdig wirken könne, räumt er ein: "Wenn wir nicht gekommen wären, hätte es doof ausgesehen. Und so sieht es auch doof aus."
Denn wenige Meter entfernt, hinter den schweren metallbeschlagenen Türen gehen gerade nicht nur einige Abgeordnetenkarrieren ihrem Ende entgegen. Es verflüchtigt sich auch ein politisches Projekt, das vor 20 Monaten, am Muttertag 2010, zur Überraschung vieler begonnen hatte.
Die erste Minderheitsregierung in einem westdeutschen Flächenland, angeführt von Hannelore Kraft (SPD) und Sylvia Löhrmann (Grüne), scheitert gänzlich unerwartet an einer juristisch-technischen Frage und an dem parteitaktischen Pokerspiel der Oppositionsparteien. Vor allem FDP und Linke hatten sich in den vergangenen Wochen, ohne es zu bemerken, in eine Sackgasse manövriert, aus der sie schließlich nicht mehr hinausfanden.
Schuld ist ein Brief

Nordrhein-Westfalen: Das politische Spitzenpersonal in Düsseldorf
Eigentlich setzten die Liberalen, die ebenso wie die Linkspartei in der jüngsten Umfrage unter der Fünfprozentmarke bleiben, nämlich darauf, Rot-Grün in den Haushaltsberatungen noch Spar-Zugeständnisse abringen zu können. Dann hätte die FDP den Etatentwurf möglicherweise am Ende passieren lassen und bis dahin noch die zu allem entschlossene Oppositionsfraktion gegeben. Allerdings ging der Plan nicht auf, weil es zur angestrebten gütlichen rot-grün-gelben Einigung nicht mehr kommen konnte.
Schuld daran war ein Brief.
Am Dienstagabend um Viertel vor sechs erreichte die Fraktionen des Düsseldorfer Landtags ein dreiseitiges Schreiben der Verwaltung. Darin erläuterte ein Referatsleiter des Hauses den verblüfften Politikern, dass die von CDU, FDP und Linken beabsichtigte Ablehnung der Einzelpositionen des Haushalts am Mittwoch schwerwiegende Folgen hätte. In diesem Fall nämlich wäre der Etat auch in Gänze gescheitert, schrieb der Jurist. Die Abgeordneten waren baff - und für die geplante Annäherung nach der demonstrativen Ablehnung blieb keine Zeit mehr.
Die spannende Frage, die sich daher die ebenfalls ziemlich verdutzten Journalisten am Mittwochmorgen stellten, lautete: Findet die FDP noch einen Ausweg aus dem Dilemma? Auf der einen Seite muss sie doch aufgrund ihrer schlechten Umfragewerte derzeit Neuwahlen vermeiden. Auf der anderen Seite kann sie nicht, gleichsam über Nacht, umfallen und von Fundamentalopposition auf Kooperation umschalten - zumindest nicht, ohne ihr Gesicht zu verlieren.
Alle werden mit Nein votieren
Die entsprechende Antwort gibt dann am Vormittag der FDP-Fraktionsvorsitzende Gerhard Papke. Auf dem Weg in den Plenarsaal sagt er den Reportern: "Alle 13 Abgeordneten werden mit Nein votieren und den Haushaltsentwurf geschlossen zurückweisen." Es ist in diesem Moment sehr still auf dem Landtagsflur, die Überraschung selbst altgedienter Korrespondenten ist mit Händen zu greifen, als der Liberale ohne ein weiteres Wort von dannen zieht.
Im Parlament wirbt Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, deren Koalition dort keine Mehrheit hat, dann noch einmal um Verbündete aus den Reihen der Opposition. Die Regierung habe einen "guten Haushaltsentwurf" vorgelegt und stehe zur "Verpflichtung der Schuldenbremse". Es gehöre aber zu einer "verantwortungsvollen Politik, in die Zukunft zu investieren, in Kinder, Bildung die Handlungsfähigkeit der Kommunen". Sie halte hingegen nichts davon, "auf Zeit zu spielen". Wenn der Etat keine Mehrheit finde, müsse eben erneut gewählt werden.
Nach ihr tritt Gerhard Papke ans Mikrofon, er trägt einen dunklen Anzug, eine braune Krawatte und sieht alles andere als entspannt aus. Er hebt an: "Der Haushaltsentwurf führt NRW in den Schuldensumpf. Die FDP steht zu ihren Überzeugungen." Auf der Pressetribüne zücken die Reporter ihre Handys. Eigentlich muss es nun Neuwahlen geben, denn auf die Forderung der Linkspartei, noch eine zusätzliche Schulden-Milliarde aufzunehmen, wird sich Rot-Grün nicht einlassen.
Geschlossen gegen den "Einzelplan 03"
Wenig später stimmen tatsächlich die 91 Abgeordneten von CDU, FDP und Linkspartei geschlossen gegen den "Einzelplan 03", den Etat des Innenministeriums. Jetzt ist endgültig klar, dass an der Auflösung des Landtags kein Weg vorbeiführen wird. Die Sitzung wird unterbrochen, die Fraktionen tagen, und dort, wo gerade noch die Abgeordnetenversorgung beworben wurde, schalten die Spitzenpolitiker vor laufenden Kameras in den Wahlkampfmodus.
Norbert Röttgen, Bundesumweltminister und CDU-Landesvorsitzende, ist extra aus Berlin angereist. "Ich werde die Partei anführen in einen Wahlkampf, auf den wir uns freuen." Die Minderheitsregierung sei aus "Überheblichkeit" im Sommer 2010 an den Start gegangen und das Experiment krachend gescheitert, freut sich Röttgen. "Die ganze Zockerei ist am Ende", sagt Fraktionschef Karl-Josef Laumann.
Kraft sagt Danke
Die Regierungschefin Kraft tritt aus dem Plenarsaal, konzentriert und demonstrativ gelassen: Sie wolle Dank sagen für die "unglaubliche Disziplin", an die Fraktionen von SPD und Grünen und an ihr Kabinett. "Danke, dass wir in den knapp zwei Jahren etwas vorangebracht haben, woran zunächst niemand geglaubt hat", sagt sie auch ausdrücklich in Richtung Opposition. "Wir gehen mit Zuversicht in die politische Auseinandersetzung."
Auch der Vorsitzende der nordrhein-westfälischen FDP, der Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr, gibt sich optimistisch: "Den Mutigen gehört die Zukunft", verkündet er. Er sei stolz auf seine Landtagsfraktion, die bewiesen habe: "Überzeugung ist wichtiger als Mandatssicherung." Allen Umfragen zufolge dürften die Liberalen nach der Neuwahl nicht mehr im Landtag vertreten sein. SPD und Grüne könnten dagegen derzeit mit einer eigenen Mehrheit rechnen.
Am späten Nachmittag fällt dann die Entscheidung: In ungeahnter Eintracht votieren die Abgeordneten einstimmig für die Auflösung des Landtags und Neuwahlen binnen 60 Tagen. Als mögliche Termine für den Urnengang werden der 6. und 13. Mai gehandelt. Auf letzteren Sonntag fällt, wie schon im Mai 2010 bei der bislang jüngsten Landtagswahl in NRW, der Muttertag.
Einem Regierungsmitarbeiter schwebt daher auch schon ein passender Wahlkampfslogan vor: "Warum am Muttertag einen Landesvater wählen?"