Werbetaktik von Salafisten Traum von der Männlichkeit - Panik vor der Hölle

IS-Terroristen im Irak (Juni 2014)
Foto: AP/dpaDie Religion allein ist es nicht. Wenn Jugendliche plötzlich zu Islamisten werden, dann liegt es sicher nicht daran, dass Religion an sich für sie so attraktiv ist. "Diese Jugendlichen haben keine Ahnung von der Religion und tieferer Ideologie", sagt Thomas Mücke.
Der 58-jährige Geschäftsführer des "Violence Prevention Network" weiß das aus der Praxis, aus seinen zahllosen Gesprächen, die er mit Jugendlichen geführt hat: mit jungen Menschen, die sich einem vermeintlichen Islam so sehr verschrieben haben, dass sie sogar bereit waren oder wären, in seinem Namen in den Kampf zu ziehen.
Mückes Netzwerk mit Sitz in Berlin berät mehr als 150 radikalisierte, überwiegend männliche Jugendliche. Viele von ihnen standen kurz vor der Ausreise nach Syrien. Manche sind von dort bereits zurückgekehrt, mittlerweile als junge Erwachsene. Mücke und seine Leute wollen ihnen einen Ausweg anbieten aus der Spirale von Ideologie und Gewalt.
Wut und Frust ventilieren
Die meisten der radikalisierten Jugendlichen, mit denen Mücke zu tun hat, sind religiöse Laien. Der Islam, so hat es der französische Politikwissenschaftler Olivier Roy beschrieben, werde solchen Jugendlichen falsch erklärt. Sie entdecken nämlich weder den kulturellen noch den traditionellen Islam für sich.
Stattdessen schließen sie sich der Gewalt predigenden, dschihadistischen Fraktion der Salafisten an. Das sei eine bewusste Entscheidung, so Roy. Die Jugendlichen suchten sich jene Strömung aus, in welcher sie ihre Wut und ihren Frust ventilieren können. Vor allem aber suchten sie nach einem Umfeld, in dem sie ihre Vorstellung von heldenhafter Männlichkeit ausleben können, für die die westliche Gesellschaft aus ihrer Sicht so wenig Raum lässt.

Thomas Mücke
Foto: VPN/ KlagesBesonders gefährdet sind demnach Jugendliche aus schwierigen, familiären Verhältnissen. Mindestens zwei Drittel der von Mücke betreuten jungen Männer wuchsen ohne Vaterfigur auf. Daraus resultiert oft ein übersteigertes Bedürfnis nach männlicher Identifikation. Und genau das nutzen Salafisten aus: Werber und Prediger übernehmen als charismatische Autorität eine neue Vaterrolle für den Jugendlichen.
Die religiöse Dogmatik der Vaterfigur spielt dabei kaum eine Rolle, vielmehr seine "imposante, ramboartige Erscheinung", die durch Muskeln und provokante Sprüche imponiere, so beschreibt es die Extremismusexpertin Daniela Pisoiu vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg - "je krasser, desto besser".
Persönlicher Kontakt ist dabei so wichtig wie das Internet. Beides spielt bei der Ansprache eine zentrale Rolle. Salafistische Prediger wie Pierre Vogel (mehr als 157.000 Follower auf Facebook!) und Sven Lau oder IS-Extremist Denis Cuspert alias "Deso Dogg", der mittlerweile zum Führungskader und zur Propagandaabteilung der Terrormiliz gehört, spielen laut Mücke mit ihren Rekrutierungsvideos für die Anwerbung jener Jugendlichen eine wichtige Rolle.

Pierre Vogel
Foto: Christian Augustin/ Getty ImagesSie verkörpern dabei unterschiedliche Formen von Männlichkeit, die den drei dschihadistischen Stereotypen entsprechen, welche Wissenschaftler des Research Institut Frankfurt identifiziert haben:
- Der dschihadistische Krieger (Denis Cuspert),
- der Pflichtbewusste (Pierre Vogel),
- der verspielte Junge (Sven Lau).
Diese Stereotype wiederum finden sich bei den von Mücke betreuten Jugendlichen wieder: "Die Salafisten bieten passgenaue Antworten auf ihre Bedürfnisse", sagt Mücke - womöglich ein Grund, weshalb sich die Jugendlichen gerade für die salafistische Szene begeistern.

Denis Cuspert
Foto: SITE Intelligence Group/ dpaHinzu kommt, dass sich die Szene nicht vollständig von der säkularen Jugendkultur abkoppelt. Wenn der IS-Krieger im Propagandavideo mit Marken-Sonnenbrille auf dem amerikanischen SUV posiert, werden heroische Männlichkeit und westliche Statussymbole miteinander verbunden - eine Mischung, die eine besondere Anziehungskraft auf manche Jugendliche ausübt, weil sie so vertraut wirke, wie Extremismusforscherin Pisoiu erklärt.
Dem Helden stellt der IS den Versager gegenüber. Er spricht jenen Muslimen die Männlichkeit ab, die zu Hause bleiben, während ihre Brüder und Schwestern in Syrien sterben. Er droht ihnen mit der ultimativen Bestrafung: Wenn er sie für ihre Feigheit im Diesseits nicht zu fassen kriegt, sind sie spätestens vor dem Jüngsten Gericht dran.
Davor graue es laut Mücke vor allem den Syrien-Rückkehrern, die bereits in deutschen Gefängnissen sitzen. Hier spielten die Religion und der Glaube an eine Hölle dann doch wieder eine gewisse Rolle. Die Rückkehrer haben demnach einen langen Prozess autoritärer Indoktrinierung hinter sich, der in ihnen eine irrationale, teils panische Angst vor der Hölle geweckt hat. Irrational deswegen, weil sich kaum einer der Betroffenen je bei muslimischen Theologen, gemäßigten Imamen oder in kommentierten Koranfassungen Rat geholt hat.
Direkte Ansprache als beste Prävention
Die radikale Zuckerbrot-und-Peitsche-Strategie der Dschihadisten zeigt Wirkung: Die salafistische Szene in Deutschland ist von 2011 bis 2015 von 3800 auf 8650 Mitglieder angewachsen - Tendenz steigend. Die Zahl der Personen mit islamistischem Hintergrund lag laut Verfassungsschutz in Deutschland im Jahr 2014 bei 43.890. Auch hier zeigt die Kurve nach oben.
Dennoch betont Mücke, dass in den letzten zwei Jahren viel passiert sei in Deutschland - viel Positives. Die Präventionsarbeit werde endlich ernst genommen. So hat sich etwa das hauptsächlich staatlich bereitgestellte Budget des "Violence Prevention Network" von 840.000 Euro im Jahr 2010 bis ins Jahr 2014 auf 1,9 Millionen Euro mehr als verdoppelt. Vor allem die Zuschüsse aus den Bundesländern sind gewachsen.
Das Herzstück der Prävention ist die Arbeit auf der Straße. Broschüren und Internetwerbung seien schön und gut, sagt Mücke. Die Jugendlichen und ihre Familien bräuchten aber unmittelbare Ansprechpartner, die Alternativen aufzeigen zu den Salafisten. Das sei das wirksamste Mittel. Mücke: "Bisher haben wir alle Jugendlichen, die wir rechtzeitig beraten konnten, davon abhalten können, nach Syrien auszureisen."