WikiLeaks-Enthüllung Steinmeier lud Frust bei US-Botschafter ab

Steinmeiers Frust, Nahles' Lästereien, Becks Kanzlerpläne: Über ein dichtes Netz von Gesprächspartnern waren die US-Diplomaten auch über das Innenleben der SPD bestens im Bilde. Die WikiLeaks-Dokumente zeigen, wie freizügig sich mancher Genosse mit den Amerikanern austauschte.
SPD-Politiker Steinmeier, Schröder, Gabriel: "Sehr guter Kontakt"

SPD-Politiker Steinmeier, Schröder, Gabriel: "Sehr guter Kontakt"

Foto: dapd

Frank-Walter Steinmeier

SPD

Berlin - Es ist Anfang September 2009, die Bundestagswahl ist nur noch wenige Tage entfernt, und für läuft es nicht gut. Die liegt in Umfragen klar hinter der Union, mit jeder Stunde schwinden Steinmeiers Chancen auf die Kanzlerschaft ein bisschen mehr. Nur zugeben darf er das natürlich nicht.

Öffentlich ruft er in diesen Tagen: "Die SPD ist zurück. Die SPD will siegen - und die SPD kann siegen!"

Philip Murphy

Doch in Wahrheit brodelt es in Steinmeier. Und so entschließt er sich dazu, einem Mann sein Herz auszuschütten: Dem neuen US-Botschafter . Es ist das erste Gespräch der beiden, Steinmeier selbst hat darum gebeten. Es geht um Opel, das deutsch-amerikanische Verhältnis, Afghanistan - und Steinmeiers eigene unbefriedigende Situation, wie Murphy später nach Washington kabelt.

Ungeschminkt berichtet Steinmeier dem Top-Diplomaten am Telefon über seine Schwierigkeiten im Wahlkampf. Er sei schlicht außerstande, sich von der Kanzlerin abzusetzen, klagt der Herausforderer. Und dass dann auch noch US-Präsident Barack Obama Angela Merkel vor laufenden Kameras versichere, sie habe die Wahl doch schon so gut wie gewonnen, sei auch nicht wirklich hilfreich, zeigt sich der SPD-Spitzenkandidat verärgert.

"Steinmeier betonte seinen Frust", so das Resümee des US-Gesandten.

jener von WikiLeaks veröffentlichten Datenflut, die die weltweite Diplomatie seit vergangenem Wochenende in Atem hält.

So offenherzig wie an jenem Septembertag sprach Steinmeier damals wohl nur in seinem engsten Umfeld. Nun wird klar, dass er die Wahl schon frühzeitig so gut wie verloren gab. Das als "vertraulich" eingestufte Gesprächsprotokoll ist Teil Die Depesche zeigt, wie freizügig neben deutschen Unionspolitikern und Liberalen sich offenbar auch Sozialdemokraten mit den Amerikanern austauschten. Die Papiere mit SPD-Bezug geben einen Blick frei auf manch interne Vorgänge in der Partei, die die Führungsriege in der Vergangenheit offiziell gerne verschwieg oder beschönigte.

Wollte Beck Kanzlerkandidat werden?

Ob die rot-rot-grünen Verirrungen der hessischen SPD im Jahr 2008, Rivalitäten in der Parteispitze, die Frage der Kanzlerkandidatur oder kleinteilige sozialpolitische Konflikte - über so ziemlich alle wesentlichen Fragen sozialdemokratischer Politik der vergangenen Jahre waren die Amerikaner bestens informiert. In den WikiLeaks-Dokumenten finden sich Dutzende Memos, Protokolle oder Skizzen von US-Top-Diplomaten, gestützt auf etliche mehr oder weniger prominente Gesprächspartner in der SPD.

Kurt Beck

Mit Interesse dürften die Sozialdemokraten lesen, was die Amerikaner im Februar 2007 über die Suche der SPD nach einem geeigneten Kanzlerkandidaten zu berichten haben. In einer Depesche widmet sich das US-Konsulat Frankfurt dem damaligen Parteichef . "Ein Beck-Intimus erzählte uns vertraulich, dass bereits ein Spezial-Komitee in der rheinland-pfälzischen Staatskanzlei gebildet worden sei, um eine potentielle Kandidatur vorzubereiten", berichtet der US-Diplomat schriftlich seinen Kollegen. Beck und sein Gefolge hatten diese Frage nach außen stets offen gehalten.

Heiko Maas

Beck selbst wird regelmäßig bei den Amerikanern vorstellig, auch Steinmeier schaut öfter vorbei, oder SPD-Vize Olaf Scholz, der in den Dokumenten als "sehr guter Kontakt" des Hamburger US-Konsulats auftaucht. , Landeschef im Saarland wird ebenfalls als "guter Kontakt" beschrieben.

Maas: "Schröders Haltung zu Irak war inkonsequent"

So sind die Amerikaner auch über die teils harten Flügelkämpfe in der SPD bestens im Bilde. So mancher Genosse verhehlt im Gespräch mit den Amerikanern auch gar nicht seine Abneigung gegen den einen oder anderen Parteikollegen.

Saarlands SPD-Landeschef Maas etwa zeigte sich wohl in regelmäßigen Gesprächen mit dem US-Generalkonsulat in Frankfurt offen - zum Nachteil eines prominenten Parteifreundes: Gerhard Schröder. In einer Depesche vom Mai 2003 wird Maas' Einschätzung von Schröders Regierungspolitik wiedergegeben. Der junge SPD-Mann habe sich darüber beschwert, dass Schröder allzu oft seine Versprechen breche, kabelt der US-Diplomat nach Washington. In der Steuerpolitik zum Beispiel, aber auch auf einem Feld, das für die Amerikaner besonders interessant ist: dem Irak-Krieg, gegen den Schröder sich vehement stemmte. So wird Maas mit den Worten zitiert: "Schröders Haltung zu Irak war inkonsequent. Erst der US-Administration Unterstützung in der Irak-Politik zuzusichern, um dann diese Linie ohne Vorankündigung zu verändern, war ein Fehler." Ein bemerkenswerter Satz, schien nach außen doch die ganze SPD damals auf Kanzler-Linie zu sein.

Andrea Nahles

Auch zeigt sich demnach gegenüber ausländischen Diplomaten gesprächig. Just zu dem Zeitpunkt, als die Partei darüber diskutierte, wer für die SPD im Jahr 2009 als Kanzlerkandidat antreten solle, tauscht sie sich mit den Amerikanern aus. Sie sei unglücklich darüber, so hielt ihr Gesprächspartner schriftlich fest, "dass die USA mehr über Steinmeier wissen als ich" - wobei sie sich auf die Rolle Steinmeiers als Kanzleramtschef unter Gerhard Schröder bezog. "Nahles deutete an, dass der linke Flügel der SPD Steinmeier als in Geheimdienstbelangen zu nah an den USA kritisieren und damit seiner Kandidatur schaden könnte." Allerdings gab die damalige Frontfrau der SPD-Linken zu, dass die Partei mit Steinmeier bei der Wahl bessere Chancen haben könne. Der Außenminister habe "wenig Erfahrung in Sachen Parteiführung", fügte Nahles laut Depesche hinzu, "aber er ist ein schneller Lerner."

"Ein bisschen simpel"

Überhaupt widmen die Amerikaner der sozialdemokratischen Außenpolitik großes Augenmerk. Detailliert lassen sie sich über die innerparteilichen Debatten über Afghanistan, den Kosovo oder Iran Bericht erstatten und informieren anschließend ihre Kollegen in Übersee.

Manch ein Genosse nutzt den Austausch, um seinem Frust über den Kurs der Parteispitze freien Lauf zu lassen. So auch im Februar 2010, als die SPD über ihre Haltung zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr streitet. Der ehemalige Hamburger SPD-Chef Ingo Egloff soll sich laut der Depeschen beim dortigen Generalkonsul über die Unsicherheit in der Afghanistan-Strategie unter Führung von Parteichef Sigmar Gabriel beschwert haben. Wie orientierungslos die SPD-Spitze in der Afghanistan-Frage sei, zeige sich auch daran, dass Altkanzler Helmut Schmidt im Parteivorstand zum Thema sprechen musste, wird der Sozialdemokrat in der Depesche wiedergegeben.

Allzu viel scheint der US-Diplomat aber nicht auf die Einschätzung des Deutschen zu geben. Sie sei doch "ein bisschen simpel", kabelt er nach Washington.

Aber immerhin war es eine Einschätzung. Gut möglich, dass die Amerikaner künftig keine mehr bekommen. Die Auskunftsbereitschaft vieler Genossen dürfte sich nach der WikiLeaks-Enthüllung jedenfalls in engeren Grenzen halten.

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