Windkraft Sturmlauf gegen den Ökostrom

Die Windindustrie boomt wie keine andere Branche, doch nun formiert sich ein bizarrer Widerstand aus Kohle- und Atomwirtschaft, Politik und Naturschützern. So will der BUND und der Naturschutzbund gegen den geplanten Offshore-Windpark vor Sylt klagen. Ein SPIEGEL-ONLINE-Report über den Angriff auf eine Wachstumsbranche.
Von Gerd Rosenkranz

Berlin - Es war schon fast ein Ritual. Ein- oder zweimal im Jahr trat Peter Ahmels, der Präsident des Bundesverbandes Windenergie, vor die Presse und verkündete neue Rekordzahlen: immer mehr, immer größer, immer besser. Mitten in der deutschen Depression blüht das Geschäft mit den Dreiflüglern.

Binnen weniger Jahre entwickelte sich eine neue Hightech-Industrie, die 46.000 Menschen beschäftigt - mehr als Kohle- oder Atomwirtschaft, die jährlich über 3,5 Milliarden Euro umsetzt - mehr als Bio- und Gentechnologie zusammen; die die installierte Leistung ihrer Windräder seit 1998 von 2875 auf derzeit rund 13.000 Megawatt fast verfünffachte und die der Atmosphäre inzwischen rund 20 Millionen Tonnen des Treibhausgases Kohlendioxid pro Jahr erspart - und damit fast zehn Prozent der Reduktionsverpflichtung, die Deutschland international eingegangen ist.

Als Umweltminister Jürgen Trittin Anfang August die lang erwartete Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) vorlegte, ging ein Aufatmen durch die junge Boombranche. Denn das schlanke Regelwerk mit nur zwölf Paragraphen verpflichtet die eingesessenen Elektrizitätsversorger, Ökostrom aus Wind, Sonne, kleinen Wasserkraftwerken oder Biomasse zu einem mittleren Preis von 8,8 Cent pro Kilowattstunde (Ct/kWh) in ihre Netze zu speisen. Das Gesetz bildet das Fundament für eine neue Spitzentechnologie, die sonst gegenüber alten Kohle-, Gas- und Atomkraftwerken noch nicht wettbewerbsfähig wäre.

Zwar enthält Trittins Entwurf für die Branche auch Zumutungen. So soll die Förderung von Windkraft-Anlagen an weniger günstigen Standorten im Binnenland erheblich schrumpfen. Doch gleichzeitig erleichtert der Umweltminister den technisch wie finanziell riskanten Sprung aufs offene Meer.

Widerstand gegen die Propellerbranche

Doch Peter Ahmels ist besorgt. Mit wachsender Unruhe beobachtet er, wie sich seine Gegner zu einer zwar zufälligen, aber machtvollen Phalanx formieren. An diesem Mittwoch tritt der Windlobbyist vor die Presse in Berlin. Sorgenvoller Titel der Veranstaltung: "Spitzentechnologie, Arbeitsplätze und Klimaziel in Gefahr".

Erstmals in ihrer kurzen Geschichte bläst der im Volk beliebten Propeller-Branche (Zustimmungsrate: über 90 Prozent) der Wind kräftig ins Gesicht. Bislang gab es an den Rotoren-Standorten bestenfalls Proteste so genannter "Landschaftsschützer".

Jetzt aber wackeln Teile der Umweltszene, die die Öko-Energien aus Sonne, Wind, Wasser und Biomasse bisher euphorisch begrüßt hatte. Der Grund: die geplanten gewaltigen Windkraftparks weit vor den Küsten von Nord- und Ostsee ("Offshore").

Die Umweltschützer fürchten um Vögel, Fische, Robben und Wale. Sie prophezeien verheerende Tankerunfälle und verbünden sich mit der Tourismusbranche, die durch die Riesenräder Umsatzeinbrüche fürchten. Nach Erfahrungen mit Offshore-Windparks in Dänemark und Schweden sind solche Horrorszenarien allerdings allesamt eher unwahrscheinlich.

Vögel umfliegen die rotierenden Riesenflügel, Fische könnten die Windparks sogar als "Ruhezonen" nutzen, weil dort keine Fischerei betrieben werden kann. Tankerunfälle werden kaum messbar wahrscheinlicher. Und die meisten Feriengäste fühlen sich kaum gestört.

Umweltschützer feiern Trittin-Novelle als zukunftsweisend

Im Prinzip sind alle wesentlichen Organisationen von Greenpeace bis zum Naturschutzbund (Nabu) für die Nutzung der windreichen See. Nur so kann die klimaschonende Technik bis 2030 ein Viertel des deutschen Strombedarfs decken, wie es Trittin vorschwebt. Die Novelle des Umweltministers feiern die organisierten Umweltschützer unisono als "zukunftsweisend".

Doch nun klagen der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) und der Naturschutzbund gegen einen der ersten genehmigten Offshore-Windparks vor Sylt, weil dort ein Meeresschutzgebiet tangiert wäre. Greenpeace dagegen befürwortet dieses Vorhaben.

Bedrohlicher als die zerstrittene Umweltszene sind für die junge Branche aber die Angriffe aus Politik und Wirtschaft. Erst meldeten sich CDU-Landespolitiker wie Baden-Württembergs Ministerpräsident Erwin Teufel ("Mit Windkraft machen Anleger das große Geld, vom Staat subventioniert") oder Nordrhein-Westfalens Oppositionsführer Jürgen Rüttgers ("Subventionen für die Windenergie drastisch zurückführen") mit Kritik zu Wort. Dann beklagte sich ausgerechnet die CDU-Vorsitzende und frühere Umweltministerin Angela Merkel ("Die Windenergie ist völlig überfördert"). Auch Potsdams Umweltminister Wolfgang Birthler (SPD) wütet gegen die Windräder: "Sie verschandeln die Landschaft, fressen Milliarden Subventionen, Arbeitplätze entstehen kaum, der Strom wird teurer."

Ende vergangener Woche wetterte mit Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) erstmals ein Spitzenpolitiker der Regierung gegen die Windkraft. Investoren wirft er "Abzocke" vor. Bei den Windmüllern habe sich eine "Subventionsmentalität" breit gemacht, schimpfte der Kohlefreund: "Wir sind in den Subventionen, in den Finanzhilfen schon jetzt so weit wie in der Steinkohle." Demnächst würden die Belastungen der Windenergie die der Steinkohlehilfen überflügeln.

Attacken von der Konkurrenz

Als Stichwortgeber für das plötzliche Trommelfeuer vermuten die Wind-Protagonisten die Konkurrenz: Kohle- und Atomkraftwerksbetreiber, die mehr als 80 Prozent des Stroms produzieren. Seit 1990 schnellte der Anteil der erneuerbaren Energien am nationalen Stromverbrauch von gut drei auf fast neun Prozent hoch, der der Windrotoren von 0,01 auf derzeit geschätzte vier Prozent. In Schleswig-Holstein wird schon mehr als jede vierte Kilowattstunde in Windrotoren erzeugt, in Mecklenburg-Vorpommern 21, in Sachsen-Anhalt 19 Prozent. Verschiebungen ähnlicher Größenordnung im deutschen Strommix gab es zuletzt, als in den siebziger Jahren Atomkraftwerke ans Netz gingen.

Lesen Sie im zweiten Teil, wie die Stromkonzerne Trittins Gesetz zu Fall bringen wollten, warum Windenergie auf Dauer immer preiswerter wird und wann sie gegenüber den fossilen Energieträgern konkurrenzfähig sein wird.

Bis 2010 sollen 12,5 Prozent des deutschen Stromverbrauchs aus regenerativen Quellen stammen, bis 2020 sogar 20 Prozent, so will es Trittin. Dann könnte die alte Energiebranche die Newcomer nicht länger in der Öko-Nische und auf Distanz halten. Sie müssten von einem kaum noch wachsenden Stromkuchen abgeben.

Es geht um einen Markt mit einem Gesamtumsatz von über 50 Milliarden Euro. Entsprechend rustikal wird gegen die Konkurrenz zur Sache gegangen. Besonders empört sind die Windfreunde darüber, dass die Vergütung aus dem EEG von den Politikern umstandslos als Subvention eingestuft wird. Über Jahre hatten die Stromkonzerne sämtliche verfügbaren Gerichte angerufen, um das EEG zu Fall zu bringen - und waren überall abgeblitzt: beim Bundesverfassungsgericht, beim Bundesgerichtshof und beim Europäischen Gerichtshof. Ausdrücklich stuften die Luxemburger Richter die Vergütungsregelung vor zwei Jahren nicht als "unzulässige Beihilfe", also Subvention, ein.

Tatsächlich fließt kein Cent der Einspeisevergütung für Ökostrom aus öffentlichen Haushalten. Ein Kappung oder Deckelung würde Hans Eichels Etat nicht entlasten. Weil diesen Umstand auch die härtesten Gegner der Branche nicht ignorieren können, geht es nun gegen die Investoren ("Ärzte, Anwälte etc."), die von steuerlichen Verlustzuweisungen profitieren. Dabei wird verschwiegen, dass der Erfolg der Branche sich auch positiv im Steueraufkommen des Staates niederschlägt und die öffentlichen Etats per Saldo entlastet.

Ökostrom-Förderung kostet monatlich einen Euro pro Haushalt

Für den klimaschonenden Strom zur Kasse gebeten werden direkt die Verbraucher, auf die die Betreiber der Stromnetze ihre Mehrkosten überwälzen. Dabei gilt das Verursacher-Prinzip: Wer mehr verbraucht muss mehr bezahlen. Zurzeit belastet die EEG-Umlage die Stromrechnung nach Angaben des Bundesumweltministeriums mit 0,29 Cent pro Kilowattstunde. Einem durchschnittlichen Haushalt, rechnet Trittin vor, kostet die Förderung der erneuerbaren Energien in diesem Jahr einen Euro pro Monat.

Die großen Energieversorger berechnen fast doppelt so hohe Kosten und beklagen lautstark die wachsende Belastung stromintensiver Wirtschaftssektoren wie der Aluminiumindustrie. Für sie verabschiedete der Bundestag im Juni eine Härtefall-Regelung, die die Stromfresser-Branchen von der Umlage weitgehend ausnehmen soll. Den Fehlbetrag tragen die privaten Haushalte.

Trittin fügte sich nur widerstrebend. Gestützt auf ein Gutachten argumentierte der Umweltminister, die Industriestrompreise in Deutschland seien seit 1995, insbesondere nach der Strommarktliberalisierung, um gut ein Drittel und damit viel stärker als irgendwo sonst in der EU oder in den USA eingebrochen. Von einem Wettbewerbsnachteil der stromintensiven Industrie könne deshalb keine Rede sein.

Massive Preissteigerungen beim konventionellen Strom

Den Kritikern kann derzeit keine Zahl zu hoch sein, um die Zusatzkosten der Windenergie zu geißeln. Politiker wie Jürgen Rüttgers verwechseln die gesamte Vergütungssumme schon mal mit den Mehrkosten - so als sei Öko-Strom gänzlich ohne Wert und würde nicht konventionellen Strom ersetzen, der auch nicht umsonst angeboten wird. Trotz solcher Übertreibungen: Die Summe der Stromvergütungen aus erneuerbaren Energien steigt, vor allem wegen des Windbooms, rasant. Im Jahr 2002 waren knapp 2,2 Milliarden Euro erreicht, davon rund 1,5 Milliarden für eingespeisten Windstrom. Diese Zahl wird sich in den kommenden Jahren voraussichtlich verdoppeln.

Aber, versichern die Windlobbyisten, in den Himmel wachsen würden die Zusatzkosten für die Verbraucher keinesfalls. Denn einerseits sei bei konventionell erzeugtem Strom in den kommenden Jahren mit massiven Preissteigerungen zu rechnen, weil neue Kraftwerke gebaut werden müssen. Außerdem sei zu befürchten, dass die "Folgekosten durch zunehmende Klimaschäden" weiter zunehmen. Und die seien den fossilen Energieträgern Kohle, Gas und Öl zuzurechnen. Andererseits werde Windstrom preiswerter, so wie in den vergangenen zwölf Jahren, als sich die Kosten für eine Kilowattstunde Windstrom um 55 Prozent reduzierten.

"Die Schere", resümiert Lackmann, "geht nicht auseinander, sondern zusammen. Mittelfristig laufen die Mehrkosten von Ökostrom gegen Null." Beim Wind werde Konkurrenzfähigkeit gegenüber den fossilen Energieträgern in rund zehn Jahren erreicht sein.

Das Feld, auf dem der Kampf um die deutsche Vorzeigebranche ausgetragen wird, ist Trittins EEG-Novelle. In ihr ist eine allmählich sinkende Vergütung pro Kilowattstunde vorgesehen. Doch gibt es zwischen der degressiven Wind-Vergütung und den - bis 2005 ebenfalls sinkenden - Steinkohle-Subventionen einen entscheidenden Unterscheid: Während immer mehr Windstrom immer weniger gefördert wird, nehmen die Kohlesubventionen ab, weil immer weniger heimische Kohle verstromt wird. Eine Chance, jemals gegenüber Strom aus Importkohle konkurrenzfähig zu werden, gibt es nicht.

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