
Umgang mit Russland Regime change!


Anti-Putin-Plakat (aufgenommen bei Protesten in Belgrad am 20. März): Den russischen regime change beim Namen zu nennen, könnte der Ukraine helfen
Foto: VLADIMIR ZIVOJINOVIC / AFPIn einer an Irrwitz nicht gerade armen Zeit gehört das hier zur absoluten Spitze: Wiewohl Deutschland mittelbar Kriegspartei in der Ukraine ist, bleibt das wahre, nämlich langfristige Ziel unserer Bemühungen frappierend unbenannt. Der »Lord Voldemort« der neuen deutschen Sicherheitspolitik heißt: regime change, Putin muss weg.
Was denn sonst?
Der Bundeskanzler persönlich erklärte Anfang März in einem Interview, »regime change ist keine gute Perspektive«. Im ersten Reflex mag das verständlich sein, gerade unter Linken ist der Begriff seit dem Beginn der Nullerjahre hinlänglich verbrannt, und Olaf Scholz ist in der SPD.
Doch bei genauerem Hinsehen ist die Haltung des Kanzlers leider lachhaft: Der Westen geht mit allem, was er hat und kann, daran, die russische Volkswirtschaft abzuwürgen und damit Zigmillionen Russen zu verarmen, hoffentlich zuvorderst die fat cats des Systems. Das soll mannigfaltig jenen Druck entfalten, der Putin baldmöglichst zum Innehalten bringt, ihn am Ende jedoch unbedingt aus dem Amt sprengen soll.
Es kann doch niemand im Ernst meinen, dass Putin in ein paar Jahren einen neuen internationalen Klimavertrag unterschreibt und sich hernach lächelnd zum Familienfoto zu den anderen Staats- und Regierungschefs gesellt. Oder dass der US-Präsident ein neues Nato-Russland-Verhältnis mit Putin formuliert oder die EU einen neuen Freihandelsvertrag. Noch einmal: Das ist lachhaft. Das wird nicht geschehen. Genug ist genug, und jeder weiß es. Für Wladimir Putin gibt es keine Reue und keine Läuterung, oder sollen die Sanktionen etwa aufgehoben werden, nur weil er eines Tages netterweise aufhört, Kinderkrankenhäuser zu bombardieren?
Wenn also sonnenklar ist, wie die Sache am Ende ausgeht und wenn dieses Ende zugleich so eindeutig intendiert ist – was anderes als ein »Ziel« soll es dann, bitteschön, sein und ist darum nicht auch so zu nennen? »Wir sollten alles, was wir tun können, tun, um Putins Macht zu reduzieren und am Ende auch zu zerstören«, sagte Robert Habeck vor dem Wochenende in der ARD.
Man lernt: Die neue deutsche Ehrlichkeit, das strategische stating the obvious, ist grün. Ich hätte nicht gedacht, dass ich so etwas einmal schreibe.
Gewiss, einen ersten Waffenstillstand wird man noch mit Wladimir Putin aushandeln müssen und dabei vermutlich fürchterliche Zugeständnisse machen. Es wird ein schmutziger Deal, den Präsident Wolodymyr Selenskyj ohne Pistole an der Schläfe selbstredend nie unterschreiben würde. Für die Ukraine geht es dabei um nennenswerte Teile ihres Territoriums, aber damit endet die Geschichte ja nicht. Für Putin geht nämlich es um Macht und persönliche Sicherheit, was bei Diktatoren ja ein und dasselbe ist.
Schon jetzt baut der Kremlchef sein persönliches Nahfeld um, weiß der Himmel, was ihm die praktische Macht dazu gibt. Schon jetzt kündigt er große Säuberungen an, eine, wie er sagt, »natürliche und notwendige Selbstreinigung der Gesellschaft« von all' jenen Elementen, die es verdient hätten, dass man sie ausspucke »wie eine Mücke, die einem zufällig in den Mund geflogen ist«. Wenn es nicht so gruselig wäre, müsste man lachen, aber klinisch betrachtet sind diese Konvulsionen vor allem eines: präfinal. So viele getreue Vorkoster, wie Wladimir Putin künftig brauchen wird, gibt es nicht in Russland.
Wenn das Ziel und der Weg mithin klar vor uns liegen, sollte man es aus taktischen Gründen dennoch unterlassen, regime change öffentlich beim Namen zu nennen? Weil es Putin weiter in die Ecke drängen oder die Wagenburg noch hermetischer machen könnte – und am Ende sogar der Einsatz von Atomwaffen in Rede steht?
Mein Eindruck ist, der Mann kann gar nicht tiefer in die Ecke gedrängt werden, und in seiner Wagenburg ist er schon ziemlich luftdicht allein. Dass der Westen ihn am Ende weghaben will , kann er sich seit dem ersten Tag seines Krieges selbst denken. Putins Paranoia kann der Westen nicht steigern, darum muss man sich auch nichts verkneifen.
Den russischen regime change beim Namen zu nennen, könnte indes der Ukraine helfen. Die Ukrainer scheinen bis ins Herz hinein zu wissen, wofür sie kämpfen, umso so mehr fühlen sie sich von all jenen im Stich gelassen, die, anders als sie, in der Sache nachdenklich zaudern.
Mehr noch: Vermutlich fühlen die Ukrainer sich sogar verhöhnt von den schamlosen deutschen Trittbrettfahrern, die ihre Anliegen schnell noch huckepack geben wollen: Weniger Fleisch zu essen, ist neuerdings gegen Putin . Mehr Windräder bauen ist gegen Putin und ein Tempolimit auch. In der veganen Kriegführung bestimmter Milieus sind mehr Männer und mehr Waffen dagegen nicht so relevant, heiliges Kanonenrohr, wie bigott.
Aber auch abseits dieses Narrensaums einer tödlich ernsten Sache ist das manifeste Dilemma schmerzhaft genug: Ja, wir lassen die Ukraine im Stich, wenn wir ihr militärisch nicht zur Seite treten, und dafür kann man sich schämen. Andererseits, und das ist genauso wahr, muss sich in Deutschland niemand schämen, der das Land aus einem direkten Krieg mit der Atommacht Russland heraushalten will, solange die Nato-Beistandspflicht dadurch nicht verletzt wird.
So sehr also die kurzfristige Wahl der Mitte zwischen Nato, EU und der Ukraine auseinanderklaffen, so identisch ist das Ziel auf Sicht: Putin muss weg. Und genau das hätte man Präsident Selenskyj vergangene Woche im Bundestag sagen können: Wir treten nicht in diesen Krieg ein, das kannst du mit allem Recht und aller Moral zwar von uns verlangen, aber wir werden es trotzdem nicht tun, denn über Krieg und Frieden für Deutschland entscheiden wir allein.
Doch wir versprechen zugleich: Es kann ein bisschen dauern, aber wenn wir mit Wladimir Putin fertig sind, ist er Geschichte.