Nikolaus Blome

Reaktion auf Russland Mehr Kalten Krieg wagen!

Nikolaus Blome
Eine Kolumne von Nikolaus Blome
Eine neue Bundesregierung, die in alter Ohnmacht verharrt, braucht niemand. Wer Putin stoppen will, muss ihn vor sich hertreiben.
Russischer Präsident Wladimir Putin

Russischer Präsident Wladimir Putin

Foto: Adam Berry / Getty Images

Ich wär' so gern ein Putinversteher, der Wladimir Putin versteht. Doch es gelingt mir nicht, es ist einfach nicht zu begreifen, warum er tut, was er tut. Der Kremlchef hat keine Gründe, er hat nur eine Armee. Sie ist an der Grenze zur Ukraine aufmarschiert und lässt die Motoren laufen. Das ist doch Irrsinn.

Auch Jakob Augstein hat versucht, mir das zu erklären. Putins Pferd, nackte Oberkörper und eine »Grizzly-Unterhose« kamen in den ersten Sätzen vor, dann fing er an zu lachen und verlor den Faden (hier  zu sehen). Vielleicht stammen Putins plastische Chirurgen ja aus der Ukraine, und er ist sauer auf sie. Das könnte ich verstehen.

Im Ernst: Waldimir Putin fühle sich vom Westen, von der Nato und von der Ukraine »bedroht«, damit müsse man umgehen, Russland wolle nur Sicherheitsgarantien, heißt es aus Reihen der Linkspartei und der AfD. Ähnlich klingt es hier und da auch bei der SPD. Es bedürfe beiderseitiger Deeskalation, erläuterte Fraktionschef Mützenich. Mit Blick auf die mehr als 100.000 russischen Soldaten an der ukrainischen Grenze würde mir indes eine einseitige Deeskalation durchaus reichen, da doch klar ist, wer der Angreifer wäre, wenn es einen Angriff gäbe. Die Bundeswehr marschiert ja auch nicht mir-nichts-dir-nichts mit 100.000 Mann vor irgendeine Grenze, warum die russische? Statt küchenpsychologischer Traumatherapie braucht es in der deutschen Russland-Politik ein bisschen mehr Kalten Krieg, scheint mir.

Tatsächlich nennt die neue Bundesregierung den Kremlseitig beauftragten Mord im Berliner Tiergarten »Staatsterrorismus«, den militärischen Aufmarsch im Osten will man »sehr ernst nehmen«, und man warnt den Kreml vor »schwerwiegenden Sanktionen«. Allein: Die alte Regierung hat es all die Jahre ganz genauso gehalten, es bleiben, seien wir ehrlich, dicke Worte mit nichts dahinter. Dass es aber irgendwann auch einmal genug ist, das wissen selbst die globuli-grünen Eltern von Thorben-Finn, wenn er nicht aufhört, den restlichen Sandkastens zu terrorisieren. Enough is enough.

Der Spieß wird umgedreht, aus politischer Ohnmachts-Defensive wird kontrollierte Offensive.

Anfang 2016 durfte ich ein Interview mit Wladimir Putin in Sotschi (mit-)führen. Schon damals sagte er und hält sich seither daran: »Für mich sind nicht Grenzen und Staatsterritorien wichtig, sondern das Schicksal der Menschen.« Der Dolmetscher war ziemlich blass um die Nase aus Angst, dass er nicht präzise genug übersetzt, Putin sprach besser Deutsch als er. Aber auch Europa sollte es mit der Angst bekommen: Wenn staatliche Grenzen nicht mehr heilig sind, kann es fürchterlich weit zurück in die Vergangenheit gehen. Für einen Kontinent, der 500 Jahre Krieg um Grenzen geführt hat, wird es also langsam Zeit, andere Saiten aufzuziehen. Und für ein Land, das auf sich hält, – und sei das auch ein eher konservativer Anspruch – ebenso.

It’s the Haltung, stupid: Wer Putin stoppen will, muss ihn vor sich hertreiben. Und nein, das meint ausdrücklich nicht, die Ukraine morgen in die Nato aufzunehmen. Was es aber ausdrücklich meint, ist dies: Der Spieß wird umgedreht, aus politischer Ohnmachts-Defensive wird kontrollierte Offensive. Von jetzt an werden nicht länger die geopolitischen Mondforderungen aus dem Kreml verhandelt oder mehr schlecht als recht eingehegt. Putin wird nicht immerfort vor der nächsten Grenzüberschreitung gewarnt, die man klamm und bang erwartet (und dann doch nicht hart genug bestraft). Nein, andersherum. Von jetzt an setzen Washington, Brüssel und Berlin den Takt, sie fordern, was international nur recht und billig ist, und das neue Spiel der neuen Bundesregierung könnte so gehen: Nachweislicher Russen-Rückzug von der ukrainischen Grenze binnen 14 Tagen – oder die Gaspipeline Northstream2 wird endgültig aus dem Geschäft genommen. Warum, bitte, sollen Pipeline und Gas ein Faustpfand für Wladimir Putin sein, derweil in Deutschland Gerhard »Gazprom« Schröder, Angela Merkel und ihr Nachfolger Olaf Scholz behaupten, Pipeline und Militäraufmarsch hätten nichts miteinander zu tun. Nebbich. Beides zu trennen, ist weltfremd und schwächt die Position Deutschlands. Auf welche Verfassung haben die drei ihren Eid geschworen?

Und wenn dieses fürsorgliche Ultimatum nicht fruchtet: Nach 14 weiteren Tagen fliegt Russland mit Ansage aus dem internationalen Zahlungssystem Swift. Sollen die Kreml-Oligarchen die Schweizer Fränkli Taschengeld für ihre Söhne und Töchter doch im Keller selber drucken.

Gegen diesen Ansatz lassen sich vielerlei diplomatische Bedenken und Regeln anführen, ach ja, gewiss. Aber auch Wladimir Putin schert sich kein Stück um diese Regeln: Er lässt vor aller Westen Augen einen Kritiker vergiften, als obszöne show of force, und wenn der sich trotzdem in sein Land zurücktraut, wandert er für Jahre ins Gulag, wie es Stalin nicht härter hingekriegt hätte.

Trotzdem kann der Westen selbstverständlich weiter die Regeln seiner diplomatischen Ohnmacht einhalten. Aber er muss es nicht. Man stelle sich einfach vor, es käme ein Marsmännchen auf die Erde und würde sich das Ganze eine Weile lang anschauen. So sind die Regeln in den internationalen Beziehungen, wenn man sie einhält, tja, da kann man nichts machen, würde es in Berlin zu hören bekommen. Aber das Marsmännchen würde antworten: Dann ändert doch die Regeln. Und ich verstehe nicht, warum sich niemand auch nur den Versuch traut. Und ein bisschen mehr Kalten Krieg wagt.

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