S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal Triumph des Gruppenzwangs

Die Piratenpartei gilt seit dem Erfolg im Saarland als große Hoffnung des Politikbetriebs, als irgendwie links, aber auch freiheitlich-liberal. Dabei eint die Anhänger der Glaube an die Weisheit des Kollektivs - und ein merkwürdiger Stolz auf die eigene Unbedarftheit.

Eine Folge des märchenhaften Aufstiegs der Piraten ist schon heute absehbar: Die Wahrscheinlichkeit, dass Angela Merkel über das Jahr 2013 hinaus das Land regiert, ist seit dem vergangenen Wochenende größer, nicht kleiner geworden. Ich weiß, so etwas will man in der allgemeinen Begeisterung über die neue Kraft, die gerade alle Regeln der Politik außer Kraft setzt, nicht hören. Aber das sind die Realitäten des Parlamentarismus, an denen sich so schnell nichts ändern wird, trotz des Aufbruchsignals aus dem Südwesten der Republik.

Sicher, es gibt auch Unionswähler, die aus Übermut (oder Verzweiflung) bei den Piraten anheuern, wie man nach Berlin jetzt im Saarland sehen konnte, aber alles in allem gehen die Erfolge doch zu Lasten des linken Lagers. Sollten die Piraten den Sprung in den Bundestag schaffen, wird es schwer, eine Mehrheit gegen die CDU zusammen zu bekommen, die dann in ein Regierungsbündnis mündet. Es sei denn, die SPD nimmt die Piraten mit an Bord. Aber das scheint doch etwas weit hergeholt, auch wenn die ersten Vertreter der Partei schon von der Regierungsbeteiligung träumen.

Glaubt man den Kommentaren, die sich derzeit einen Reim auf die Bewegung machen, dann ist die Piratenpartei politisch ein ganz neues Phänomen: ziemlich weit links, aber auch durch und durch liberal, also irgendwie dazwischen und damit wunderbar postmodern - eine "liberalsozialistische Partei" wie es der "Stern" in seinem aktuellen Bewunderungsstück gerade den Lesern nahezubringen versuchte.

Gravierendes Missverständnis

Man enttäuscht die Kollegen ja nur ungern, die sich offenbar eine zweite politische Heimat erträumen, aber hier liegt ein gravierendes Missverständnis vor. Die egalitäre Nutzerfreiheit der Piraten hat mit dem liberalen Freiheitsverständnis etwa so viel zu tun wie die Bonuskultur in den Bankentürmen mit Sozialismus. Nur weil jemand dafür eintritt, dass Menschen frei von allen materiellen Sorgen leben, egal wie viel sie leisten, ist er noch kein Freund des freiheitlichen Denkens. Für diese Freiheit, die vor allem auf das Wort umsonst hört, sind auch die Vertreter der Linkspartei.

Tatsächlich durchzieht das Programm der Piraten ein ausgesprochener Hang zum Egalitären, der nicht bei politischen Forderungen halt macht. Jede Form der Privilegierung, und sei es nur ein schönerer Blick aus dem Fenster, setzt einen dem Verdacht aus, die Gruppenmoral zu missachten, weshalb die Berliner Abgeordneten zwei Monate brauchten, um die Bürofrage zu klären, und auf Vorstandsklausuren nur noch in Vierbett-Zimmern genächtigt wird.

Persönliche Meinungen sind bei den Piraten irrelevant, wie ihr Bundesvorsitzender gesagt hat; sie gewinnen erst Bedeutung, wenn die Gruppe mehrheitlich zustimmt. Um den Willen der Basis zu erkunden, haben die Netzaktivisten unter dem Titel "liquid democracy" eine Reihe von Verfahren entwickelt, die sicherstellen sollen, dass sich keine informellen Hierarchien bilden. Man kann das für eine höhere Form der Demokratie halten, man kann darin aber auch, wie der FDP-Generalsekretär Patrick Döring, die "Tyrannei der Masse" sehen.

Verachtung für die politischen Eliten

Döring wurde entgegengehalten, er verstehe nichts von Demokratie. Nun machen 7,4 Prozent zwar auch in der digitalen Welt noch keine Mehrheit, aber das ist nicht der Punkt. Der Freidemokrat hatte noch einen Freiheitsbegriff hochgehalten, der sich nicht mit der Schwarmintelligenz verträgt, wie die Adoration des kollektivistischen Denkens in Piratenkreisen heißt - das brachte ihm den Hohn und Spott der sogenannten Netzgemeinde ein.

In dieser Welt scheint jedes Bewusstsein erloschen, dass die Macht der Mehrheit immer auch in Gefahr steht, in Unterdrückung umzuschlagen, ein Grund übrigens, warum entwickelte Demokratien so viele Vorschriften zum Schutz von Minderheiten haben. Wie nah die Plebejerherrschaft ist, wissen wir spätestens seit der französischen Revolution, bei der schon nach einem kurzen Frühling der Freiheit die "Sichel der Gleichheit" für eine strikte Anwendung des Basiswillens sorgte.

Wie alle revolutionären Bewegungen bezieht die Piratenpartei ihre Anziehungskraft aus dem Erneuerungswillen - nur dass sich dieser nicht aus Kenntnis des Systems speist, das zu verändern man angetreten ist, sondern aus demonstrativer Unkenntnis. Darin ähnelt der Netzprotest auf verblüffende Weise der Tea-Party-Bewegung in den USA. Wie bei dieser verbindet die Anhänger die Verachtung für die politischen Eliten, das dringende Gefühl, man müsse das Land gegen "die da oben" verteidigen, gegen Washington oder in diesem Fall Berlin, auch der Hang zur Verschwörungstheorie, wo schon ein abgeschlossener Raum ein Grund zum Argwohn ist. Einer der Gründe für die Acta-Demonstrationen war, wir erinnern uns, der Vorwurf, hier sei ein Gesetz hinter "verschlossenen Türen" verabschiedet worden.

Seltsamer Stolz auf die eigene Unkenntnis

Mit der Abwertung alles Etablierten korrespondiert ein seltsamer Stolz auf die eigene Unkenntnis. In allen Berufen wird erwartet, dass Leute ihr Handwerk verstehen; niemand käme auf die Idee, jemanden auch nur in die Nähe der Motorhaube seines Autos zu lassen, der eben noch Computer programmiert hat. Nur in der Politik scheint es ein Ausweis besonderer Glaubwürdigkeit zu sein, wenn jemand keine Ahnung hat, wovon er redet, nur hier macht einen Professionalität verdächtig.

Das demokratische Geschäft ist, soweit ich das sehe, der einzige Bereich des Lebens, in dem man mal eben durch die Tür schneien kann und allen erklärt, wie es besser geht, beziehungsweise man die Verhältnisse jetzt "aufmischen" wird. Solche Unbedarftheit gilt da nicht als unverfroren, sondern als unverbraucht.

Wenn man den Prognosen glauben darf, dann steht den Piraten eine große Zukunft bevor. Man wird sehen. Weil sich jeder angreifbar macht, der aus der Menge herausragt und damit mehr als ein "Basispirat" ist, hat die junge Partei schon in erstaunlich kurzer Zeit Führungspersonal verschlissen.

Die Weisheit des Kollektivs steht bekanntlich über der Weisheit des Einzelnen, aber nicht alle Menschen sind für diese Einsicht gemacht, wie sich zeigt. Gruppenzwang kann sehr anstrengend sein, wie jeder weiß, der mal eine Gruppentherapie gemacht hat.

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