Wulff-Affäre Der isolierte Präsident

Wulff-Affäre: Der isolierte Präsident
Foto: ? Fabian Bimmer / Reuters/ REUTERSBerlin - Wer irgendwie kann, taucht einfach ab. Ist ja noch Winterpause, Urlaubszeit, da muss man nicht erreichbar sein. Ein paar Koalitionäre allerdings haben einfach Pech, dass sie sich nicht verstecken können. Gerda Hasselfeldt zum Beispiel, die Chefin der CSU-Abgeordneten im Bundestag. Die Klausurtagung in Wildbad Kreuth steht bevor, da sind im Vorfeld einige Interviewtermine unvermeidlich - trotz Winterpause. Doch die Journalistin des Deutschlandfunks will natürlich nicht nur wissen, was in der CSU so los ist, sonder vor allem: Was, Frau Hasselfeldt, sagen Sie zum Bundespräsidenten?
Man kann über das Radio förmlich spüren, wie sich die CSU-Politikerin bei jeder Nachfrage schwerer mit den Antworten tut. Sie will Christian Wulff nicht in den Rücken fallen. Aber sie will auch nicht gutheißen, was das Staatsoberhaupt da gerade so treibt. Dass er nur scheibchenweise mit der Wahrheit über die Kreditaffäre rausrückt. Dass er wutentbrannt bei der "Bild"-Zeitung und beim Springer-Verlag angerufen hat, um die Berichterstattung darüber zu verhindern.
Also sagt sie, dass jeder Politiker eine Vorbildfunktion habe. Dass sich jeder selbst ein Urteil über "die Vorfälle" bilden könne. Dass nur Wulff selbst die Vorwürfe aufklären könne. Und dass er das sicher auch tun werde. "Ich will ihm da keine Frist setzen, das muss er selber wissen", sagt Hasselfeldt. Für die sonst eher zurückhaltende CSU-Landesgruppenchefin sind das ziemlich deutliche Aussagen. Es ist diplomatisch verpackte, aber dennoch scharfe Kritik am Krisenmanagment der Nummer eins im Staat. Und es ist eine klare Erwartungshaltung: Wulff muss sich schnellstmöglich erklären. Wieder einmal.
Dem schließt sich später auch der designierte FDP-Generalsekretär Patrick Döring an. Es liege am Bundespräsidenten, "die entstandenen Irritationen aus dem Weg zu räumen". Der Ton der Liberalen im Norden ist schärfer: Der schleswig-holsteinische FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki zeigte sich "erstaunt über das Maß an Unprofessionalität, mit der das Bundespräsidialamt auf die immer neuen Vorwürfe reagiert". Der Kieler Landeschef Heiner Garg nennt Wulffs Informationspolitik "unerträglich".
"Die Stimmung kippt"
Doch für die Gemütslage der Koalition in Berlin sind Hasselfeldts und Dörings Worte symptomatisch. Offen darüber reden will kaum einer, doch der Unmut und die Verunsicherung über das Verhalten des Präsidenten wachsen. "Die Stimmung kippt langsam", sagt einer aus der Unionsfraktion. Viele Abgeordnete seien "regelrecht verzweifelt". Die Drohanrufe bei der Springer-Presse seien der "bislang problematischste Aspekt" in der Gemengelage um die Kreditaffäre, sagt ein anderer. Persönlich bei Medien intervenieren, das sei nicht mit dem Amt zu vereinbaren - "zumindest nicht in diesem Ton", heißt es aus Kreisen der Unionsfraktion.
Aber ist das ein Grund für einen Rücktritt? Die Meinungen gehen auseinander. "Der verschanzt sich in seinem Schloss und sitzt das aus", glaubt einer und erinnert an Stehvermögen und Beharrlichkeit, die Wulff schon mehrfach in seiner politischen Karriere bewiesen habe. Es gibt in der Unionsfraktion jedoch auch Zweifel, dass diese Eigenschaften ausreichen, um die Affäre zu überstehen - auch angesichts des verheerenden Medienechos. Der Präsident habe keine guten Argumente mehr, er befinde sich in einem Dilemma, sagt einer - und aus dem gibt es bekanntlich keinen Ausweg, der zu einem glücklichen Ende führt.
Mit den Zweifeln am persönlichen Verhalten Wulffs wachsen in den schwarz-gelben Reihen die Sorgen, das Amt des Bundespräsidenten könnte dadurch dauerhaft Schaden nehmen. Wenn ein Staatsoberhaupt persönlich zum Hörer greife, um einem Chefredakteur auf die Mailbox zu sprechen, "dann ist das nicht die Größe, die ich von einem Bundespräsidenten erwarte", klagt FDP-Bundesvize Holger Zastrow. Dass Wulff offenbar schon bei früherer Gelegenheit ähnlich handelte und auf die Berichterstattung der "Welt am Sonntag" Einfluss zu nehmen versuchte, verstärkte das Kopfschütteln noch.
"Die Schonfrist geht zu Ende"
Selbst in Wulffs niedersächsischem CDU-Heimatverband bröckelt inzwischen der Rückhalt. Und so wird es immer einsamer um das Staatsoberhaupt, nirgends sind am Dienstag Solidaritätsbekundungen zu hören, nur ein etwas halbherzig anmutender Versuch aus der CDU-Zentrale, die Debatte einzudämmen. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe verweist darauf, dass Wulff sich doch bei "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann entschuldigt habe. "Das sollte nun auch von allen respektiert werden", sagt Gröhe der "Süddeutschen Zeitung".
Die Bundeskanzlerin schweigt indes. Man würde es Angela Merkel wohl auch negativ auslegen, sollte sie sich aus dem Urlaub heraus melden, um Wulff erneut das Vertrauen auszusprechen. Als Ausweis des besonderen Ernstes der Lage. Also sagt sie lieber nichts - und nimmt in Kauf, dass dies wiederum als dröhnendes Schweigen vernommen wird.
Die Opposition gibt derweil die Zurückhaltung auf, die man sich mit Verweis auf den Respekt vor dem Amt lange Zeit auferlegt hatte. Noch ist es nicht die vorderste Reihe, die den Präsidenten ins Visier nimmt. Doch der Ton jener Kritiker, die von den Spitzenkräften vorgeschickt werden, wird schärfer. "Die politische Schonfrist geht zu Ende", sagt SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Wulff könne sein Amt "nicht mehr unbefangen ausüben".
Grünen-Fraktionsvize Fritz Kuhn sieht im Deutschlandfunk die persönliche Glaubwürdigkeit, auf die sich das Präsidentenamt stütze, schwer beschädigt. Wulff müsse selbst entscheiden, "ob er dies der Bundesrepublik Deutschland weiter antun will". Und im RBB-Inforadio nennt Linken-Politiker Wolfgang Neskovic Wulff auf seinem Posten schlicht "fehl am Platze".
Im Präsidialamt lässt man den Sturm am Dienstag kommentarlos über sich hinwegziehen, eine Erklärung sei nicht geplant, heißt es. Mittags verschickt die Pressestelle eine E-Mail. Es sind die Termine für die nächsten Tage. Am Freitag begrüßt Wulff im Schloss Bellevue die Sternsinger, kommenden Dienstag gibt er ein Abendessen zum 75. Geburtstag von Ex-Außenminister Klaus Kinkel, am Mittwoch übergibt ihm der Finanzminister Wohlfahrtbriefsmarken, dazu noch diverse Neujahrsempfänge. Das war's. Business as usual also. Wulff, so scheint es, will vorerst weitermachen.