Wulff-Affäre Der Präsident verschanzt sich hinter Brandmauern

Bundespräsident Wulff: "Bisher keine Vorwürfe gegen mich"
Foto: FABRIZIO BENSCH/ REUTERSBerlin - Die Wulff-Affäre beschädigt viele Beteiligte - nicht nur den Bundespräsidenten selbst. Gegen ehemalige Weggefährten, Freunde und Vertraute wird ermittelt. Seine frühere Landesregentschaft von Niedersachsen soll ein Fall für Verfassungsrichter werden. Und ein Untersuchungsausschuss könnte bald die Umstände seines Privatkredits zerpflücken.
Trotzdem scheint Wulff in Woche sieben seiner Skandalschleife unangreifbar. Mögen einzelne Rücktrittsforderungen auch nicht verstummen: Rein rechtlich betrachtet kann ihm die Fülle von Ungereimtheiten im Moment nichts anhaben.
Wohl auch nicht die jüngste Zugabe in der Causa Wulff, die geplante Klage vor dem niedersächsischen Staatsgerichtshof, angestoßen von der SPD-Fraktion in Hannover. Die Klage, die in den kommenden Wochen eingereicht werden soll, richtet sich nicht gegen Wulff persönlich, sondern gegen die Landesregierung von 2010 als Ganzes. Ihr wirft die SPD vor, gegen ihre Auskunftspflicht verstoßen zu haben, als sie vom Parlament nach ihrer Rolle beim Nord-Süd-Dialog, einer Lobbyveranstaltung für Wirtschaftsvertreter, befragt wurde.
Das Landesverfassungsgericht ist nicht mit einem Straf- oder Zivilgericht vergleichbar. Die Richter können am Ende nur ein Ergebnis feststellen, aber keine Strafe oder Sanktion verhängen. Natürlich wäre ein Urteil, das einen Verstoß feststellt, politisch brisant. Doch Wulff hat in der Vergangenheit bereits seine Aussitzerqualitäten bewiesen.
Die Affäre der anderen
Ein schnelles Resultat ist ohnehin nicht zu erwarten: Dem ehemalige Präsidenten des Gerichts Manfred-Carl Schinkel zufolge würde das Verfahren rund sechs Monate dauern. Wulff könne man nur dann einen Vorwurf machen, "wenn tatsächlich Zahlungen aus der Landeskasse geflossen sind, und er das wusste oder in Kauf in genommen hat", erklärte Schinkel.
Die edle PR-Sause war offiziell als Privatveranstaltung deklariert. Doch zuletzt tauchten Hinweise auf, nach denen sich das Land Niedersachsen finanziell beteiligte. Gut 3400 Euro soll das Agrarministerium aus dem Marketingetat für Geschenkkochbücher beigesteuert haben, Dutzende Studierende eines Landesbetriebs halfen an der Garderobe aus. Die Opposition in Hannover bezweifelt, dass Wulff davon nichts mitbekam. Doch selbst wenn das so sein sollte: Ein Nachweis dürfte schwer zu erbringen sein.
Im Zusammenhang mit dem Nord-Süd-Dialog stehen die Ermittlungen gegen ehemalige Vertraute und Geschäftsfreunde wie Wulffs früheren Mitarbeiter Olaf Glaeseker und den Eventmanager Manfred Schmidt, der den Nord-Süd-Dialog organisierte. Beide sind oder waren mit Wulff befreundet, beide kämpfen mit einem Ermittlungsverfahren.
Die Staatsanwaltschaft verdächtigt Glaeseker, die Partyreihe von Schmidt gefördert zu haben - und von diesem dafür mit seiner Frau zu kostenlosen Urlauben eingeladen worden zu sein. Nach SPIEGEL-Informationen hatte Glaeseker, anders als zuvor behauptet, Sponsorengelder eingeworben. Laut "Bild am Sonntag" erhielt Glaeseker zudem von Schmidt neben Gratisurlauben auch Gratisflüge.
Die Ermittlungen heizen zwar Spekulationen über das Beziehungsgeflecht zwischen Schmidt und Glaeseker an, bringen einmal mehr den Sumpf der berüchtigten "Hannover-Connection" in Verruf. Bewiesen ist bislang nichts. Auch dafür, dass Wulff über die mutmaßlichen Absprachen zwischen Schmidt und seinem Ex-Sprecher Kenntnis hatte, gibt es keine Hinweise. Solange sich daran nichts ändert, dürften die Probleme seiner Freunde für ihn nicht zum Fallstrick werden.
Unklar ist, ob die Einsetzung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses in Niedersachsen Wulff gefährlich werden könnte. Das Gremium würde prüfen, ob Wulff gegen das Ministergesetz verstoßen hat, als er 2008 ein Darlehen bei der Unternehmergattin Edith Geerkens aufnahm. Doch ein entsprechender Antrag der Linken kann nur mit Unterstützung von SPD und Grünen umgesetzt werden.
Die SPD scheut jedoch den U-Ausschuss, sieht ihn als allerletztes Druckmittel - auch aus eigenem Interesse. Sie fürchtet offenbar, dass die Regierungsparteien CDU und FDP in Sachen Wulff frühere sozialdemokratische Regierungschefs als Zeugen laden könnten. Frei nach dem Motto: Schauen wir doch mal, welche schönen Freundschaften die Genossen einst so zur Industrie pflegten. Das könnte peinlich werden für die SPD. Und selbst wenn der Ausschuss käme, würde er vor der Sommerpause kaum konkrete Ergebnisse liefern.
Wulffs Kritiker könnte sich nicht einmal am Blitzlichtgewitter einer Vorladung des Bundespräsidenten ergötzen: Laut Juristen im niedersächsischen Landtag kann Wulff nicht nach Hannover zitiert werden. Das Staatsoberhaupt darf allenfalls im Schloss Bellevue befragt werden, unter Ausschluss der Öffentlichkeit.
Wulff kann auch auf seine politischen Weggefährten in Niedersachsen zählen. Die sind zwar genervt von der nicht enden wollenden Affäre, die in Staatskanzlei und Ministerien enorme Arbeitskraft bindet. Die schwarz-gelbe Regierung unter Ministerpräsident David McAllister (CDU) befürchtet, das Dauerfeuer um Bellevue könnte ihr den anstehenden Wahlkampf vermasseln.
Nur Verlierer, außer Wulff selbst
Nach außen hin demonstriert die Landesregierung Loyalität und Handlungseifer. Bis Dienstagnacht müssen alle Ministerien schriftlich erklären, ob sie "in irgendeiner Art und Weise" am Nord-Süd-Dialog beteiligt waren. McAllisters Finanzminister Hartmut Möllring (CDU), schon unter Wulff in diesem Amt, sieht die drohende Klage indes gelassen: "Wir sind verpflichtet, Nachforschungen über die Umstände der Veranstaltung anzustellen", sagte Möllring SPIEGEL ONLINE. Für die Verfassungsrichter werde man "wahrheitsgemäß angeben, dass die Landesregierung im April 2010 nach bestem Wissen und Gewissen vor dem Parlament Auskunft gegeben hat".
Während Möllring mit Olaf Glaeseker bereits öffentlich einen Schuldigen für die Misere ausrief, bezeichnete Wulff die Vorwürfe gegen seine frühere niedersächsische Landesregierung als "ernsten Vorgang". Er signalisierte am Sonntag, sich bei Regierung und Staatsanwaltschaft in Hannover äußern zu wollen - und fügte hinzu: "Es gibt bisher keine Vorwürfe gegen mich."
Zumindest für einige Sponsoren dürfte der Schaden allerdings angerichtet sein. Konzerne wie VW und Porsche, RWE, AWD, TUI und Talanx hatten sich mit jeweils Zehntausenden Euro an den Glamour-Partys von Schmidt beteiligt. Es sei "sehr unglücklich", dass man im Zusammenhang mit der Wulff-Affäre nun ungewollt in die Schlagzeilen gerate, hieß es aus mehreren der Unternehmen.
Und auch in der kampfeslustigen Opposition gibt es einen Verlierer: Der Linken-Fraktionschef im niedersächsischen Landtag, Hans-Henning Adler, hat demnächst wohl eine Verleumdungsklage am Hals. Er hatte Finanzminister Möllring im Plenum vorgehalten, dieser habe über Glaesekers mutmaßliche Rolle in der Partyreihe "doch schon lange" Bescheid gewusst. Die Sitzung eskalierte, musste unterbrochen werden. Möllring, so sagte er SPIEGEL ONLINE, wird Strafanzeige gegen Adler erstatten.