Prozess gegen Altbundespräsident Wulffs stiller Wunsch

Plädoyers im Wulff-Prozess: Die Verteidiger des Altbundespräsidenten erwarten einen Freispruch. Der Staatsanwalt fordert überraschend die Fortsetzung der Beweisaufnahme.
Ex-Bundespräsident Christian Wulff im Gericht: Er hofft auf Freispruch

Ex-Bundespräsident Christian Wulff im Gericht: Er hofft auf Freispruch

Foto: Christoph Schmidt/ dpa

Mit dem Florett wurde an diesem 13. Verhandlungstag im Prozess gegen Ex-Bundespräsident Christian Wulff und den Filmproduzenten David Groenewold nicht gefochten. Sondern mit Säbeln, bisweilen auch mit der Dachlatte.

Es war der Tag der Plädoyers, an dem Staatsanwaltschaft und Verteidigung für gewöhnlich bilanzieren, was sich aus ihrer Sicht in der zurückliegenden Hauptverhandlung an Beweisen für oder gegen die Anklage ergeben hat. Es wird noch einmal um Verständnis geworben für den Angeklagten oder das Opfer. Oder die Schrecklichkeiten der Tat werden heraufbeschworen. Und an das Gericht wird appelliert, ein faires, gerechtes Urteil zu sprechen.

Bei Wulff war alles anders. Die Staatsanwaltschaft, die als erste an der Reihe ist mit ihrer Bewertung der angeklagten Sache, wandte sich zunächst Wulff zu, den sie nach wie vor für einen angeblich korrupten Politiker hält. Oberstaatsanwalt Clemens Eimterbäumer sprach Wulff persönlich an. Und was im ersten Satz noch fast versöhnlich klang: "Sie, Herr Wulff, waren in den vergangenen zwei Jahren Opfer von bösen Verdächtigungen", wandelte sich im Nu in eine üble Beschimpfung. Eimterbäumer bezichtigte den Ex-Bundespräsidenten einer "verzerrten Wahrnehmung" und mit "gespielter Empörung" die Öffentlichkeit in die Irre geführt zu haben: "Es war für mich unvorstellbar, wie leicht Sie schon am ersten Verhandlungstag Unwahres verbreitet haben!"

Eimterbäumer spielte damit auf die Erklärung Wulffs zu Prozessbeginn an, in der von einem "Ermittlungsexzess" der Staatsanwaltschaft, von ihrem "Jagdeifer" und von der "Unverhältnismäßigkeit" der Anklage die Rede war. Doch nicht genug damit. Der Staatsanwalt nahm sich die Verteidigung vor, um auch sie der Unwahrheit zu zeihen. Zum Beispiel: "Sie haben uns vorgeworfen, in drei ausländischen Staaten um Rechtshilfe für unsere Ermittlungen nachgesucht zu haben. Dabei können Sie nicht einen einzigen nennen!" Tatsächlich aber war in Italien, in Großbritannien und in Österreich ermittelt worden, um zu beweisen, dass Wulff sich von dem Mitangeklagten Groenewold "Vorteile" hatte gewähren lassen, um sich im Gegenzug für dessen Filmprojekt "John Rabe" einzusetzen. Alles vergessen?

Attacken gegen die Verteidigung überraschen nicht

Es folgte das Eigenlob der Staatsanwaltschaft: "Mir war immer bewusst, dass Sie, Herr Wulff, wegen ihrer Stellung ein Sonderopfer bringen mussten. Deshalb habe ich zügig Akteneinsicht gewährt, ich hielt diese ungewöhnliche Offenheit für geboten. Ich war auch nicht gegen Ihren Willen in Ihrem Haus, Sie wissen das. Den Zeitpunkt haben Sie mitbestimmt, damit wir unbeobachtet durchsuchen konnten." Besonders würdigte Eimterbäumer sein eigenes "behutsames Vorgehen" dabei.

Dass die Staatsanwaltschaft von ihrer Überzeugung, bei den Angeklagten handele es sich um ausgewiesene Straftäter, nicht ablassen würde, war zu erwarten. Dass sie trotz einer dieser Überzeugung zuwiderlaufenden Hauptverhandlung weiterhin von einer "erdrückenden Beweislage" sprechen würde, ebenfalls. Auch die Attacken gegen die Verteidigung waren nicht überraschend. Und dass sich Eimterbäumer, selbst als er zum wiederholten Mal das Gericht harsch kritisierte, mehr dem Publikum zuwandte denn den Adressaten seiner Kritik, fiel zwar auf, erstaunte aber nicht wirklich. Doch dann geschah etwas, was in der bundesrepublikanischen Justizgeschichte Seltenheitswert hat.

Am Ende eine Plädoyers steht ein Antrag - in der Regel entweder den Angeklagten zu verurteilen oder ihn freizusprechen. Der Vorsitzende Frank Rosenow hatte vor Abschluss der Beweisaufnahme noch einmal nachgefragt, ob Staatsanwaltschaft oder Verteidigung weitere Anträge zu stellen beabsichtigten. Niemand reagierte. Also stieg die Spannung, zu welchem Strafmaß sich die Ankläger nun wohl entschlossen hätten.

Doch nichts davon: Eimterbäumer beantragte, den Prozess fortzusetzen. Die Staatsanwaltschaft trage eine Mitverantwortung für ein gerechtes Urteil, das erst "bei Entscheidungsreife" eines Strafverfahrens fallen dürfe. Die Staatsanwaltschaft sehe sich "gehindert, eine Antrag bezüglich der Schuldfrage" zu stellen, sondern müsse auf die Fortsetzung der Beweisaufnahme dringen.

Zur Erinnerung: Die Kammer hatte am letzten Verhandlungstag eine ganze Flut von Anträgen der Staatsanwaltschaft abgelehnt. Diesen Anträgen sei nachzugehen, verlangte die Staatsanwaltschaft.

Ein halbes Wiesn-Hendl und Mineralwasser

Die Verteidigung plädierte indes auf Freispruch. Welcher Vorteile wurde Wulff teilhaftig? Wo ist die Unrechtsvereinbarung, die für den Tatbestand der Bestechung/Bestechlichkeit notwendig wäre?

Wulff bekam die Kosten für den Aufenthalt an jenem Oktoberfest-Wochenende im Jahr 2008 von der CDU-Fraktion und vom Land Niedersachsen erstattet; er hätte auch mehr abrechnen können. Er war befugt, selbst zu entscheiden, wann er mit Frau und Kind reist. Er brauchte dafür keinen Groenewold, der 750 Euro spendierte für einen Teil der Hotelkosten Wulffs, für ein halbes Wiesn-Hendl und ein paar Flaschen Mineralwasser. "Jedem Polizeibeamten wird zugebilligt, dass er eher die Wahrheit sage vor Gericht als andere Personen", resümierte Wulff-Verteidiger Michael Nagel. "Warum wird der einst oberste Repräsentant des Staates hier anders behandelt?"

Und dann meldete sich noch Wulff persönlich zu Wort: Er nehme Eimterbäumer die Ermittlungen nicht persönlich übel, so der Altbundespräsident. Vielmehr sei dieser selbst Opfer seines Vorgesetzten, des Celler Generalstaatsanwalts Frank Lüttig.

"Ich bedaure", sagte Wulff, an Eimterbäumer gewandt, "dass Ihr Dienstvorgesetzter auf den falschen Baum geklettert ist, immer höher und höher hinauf, und jetzt fremder Hilfe bedarf, von dort wieder herunterzukommen." Er sei glücklich, in einem Rechtsstaat zu leben, und hoffe, die Wogen glätteten sich beim Urteil. Es wird für den 27. Februar erwartet.

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