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YouTube-Erfolg SPD-Mann bot NPD-Hetzern Paroli

Patrick Dahlemann ist 25 Jahre alt, Kommunalpolitiker der SPD. Bei einer NPD-Kundgebung gegen Asylbewerber in Mecklenburg-Vorpommern ergriff er das Wort - und stahl den rechtsextremen Funktionären die Show. Der Auftritt sorgt nun bei YouTube für Aufsehen.
Von Robert Ackermann und Christina Hebel

Hamburg/Torgelow - Torgelow, ein 8700-Einwohner-Städtchen in Mecklenburg-Vorpommern. Knapp ein Dutzend NPD-Anhänger hat sich vor einer Wohnblock-Siedlung aufgestellt, hinter ihnen ein Lastwagen mit dem Logo der Rechtsextremen und der Aufschrift: "Asylflut stoppen". Der NPD-Landeschef Stefan Köster versucht, gegen ein geplantes Asylbewerberheim in einem der leerstehenden Häuser Stimmung zu machen. Auch Gegendemonstranten haben sich versammelt, darunter SPD-Kommunalpolitiker Patrick Dahlemann.

Köster will ihn wohl herausfordern, ruft ihn beim Namen und bietet ihm das Mikrofon an. Dahlemann nimmt an, stellt sich an das Pult der Rechtsextremen. Knapp fünf Minuten Redezeit bekommt der Sozialdemokrat - er weiß sie zu nutzen. Der 25-Jährige wehrt sich gegen die Parolen der rechtsextremen Partei gegen Asylbewerber, appelliert an die Menschlichkeit der Bewohner in Torgelow. Ein Auszug aus seiner Gegenrede:

"Ich verstehe, dass Sie vor allem Angst haben, aber bitte fallen Sie darauf nicht rein, was Ihnen die aus dem gesamten Land eingeflogenen Neonazis zu sagen haben", rief Dahlemann (Minute 1:57).

Oder: "Bitte vergessen Sie nicht, das sind Menschen, die freiwillig bereit sind, ihre Heimat zu verlassen, weil sie Angst um ihr Leben haben, weil sie Angst haben, ihre politische Meinung zu vertreten oder weil sie aufgrund einer anderen Hautfarbe und ihrer Religion verfolgt werden." (Minute 1:30)

Oder: "Einfache, platte Phrasen wie diese hier (Dahlemann zeigt dabei auf den NPD-Lkw) lösen unsere Probleme nicht." (Minute 2:30)

Es ist ein mutiger Auftritt des Sozialdemokraten , der sich Ende Juli vergangenen Jahres ereignete und nun auch bei YouTube  für Aufsehen sorgt. Dahlemann, der im Torgelower Stadtrat und im Kreistag Vorpommern-Greifswald sitzt, spricht trotz der ununterbrochenen Buh-Rufe, Pöbeleien und Beleidigungen der anwesenden Rechtsextremen frei und souverän.

"Wir dürfen uns nicht von den Neonazis einschüchtern lassen"

Der couragierte Auftritt imponiert vielen im Netz: "Respekt" und "Hut ab" schreiben User, andere loben die "sehr gute Aktion". Mehr als 106.500 Mal wurde das Video mit Dahlemanns Rede bereits angeklickt, über 2300 Usern gefällt der fast 15-minütige Beitrag. Der Sozialdemokrat hatte ihn in der vergangenen Woche auch auf Facebook  gepostet.

Dahlemann sagt, er habe die Bundestagswahl und Weihnachten zunächst abwarten wollen, "es geht ja um die Sache". Jetzt sei die richtige Zeit, um über Asylpolitik zu sprechen, zumal die CSU "eine menschenverachtende Neid-Debatte", so Dahlemann, angezettelt habe. Die Christsozialen sprechen sich mit dem Slogan "Wer betrügt, der fliegt" gegen sogenannte Armutsmigration besonders aus Bulgarien und Rumänien aus. "Das geht gar nicht", sagt der Mitarbeiter einer SPD-Landtagsabgeordneten, der bereits mit 16 Jahren in die Partei eintrat und sich seit Jahren gegen Rechtsextremismus engagiert.

"Wir dürfen uns nicht von den Neonazis einschüchtern lassen", sagt Dahlemann. "Meine Rede kam frei aus dem Herzen heraus." Ihm sei schon mulmig dabei gewesen, zumal Gegendemonstranten und Polizei weit entfernt von der NPD standen. "Aber in Torgelow drohten die Nazis die Deutungshoheit zu gewinnen."

Die will der Sozialdemokrat auch in seinem Video der NPD nicht überlassen. Zwar sind darin Auszüge der Rede des Landeschefs Köster zu sehen. Köster und andere NPD-Funktionäre waren im Sommer auf einer ihrer sogenannten Anti-Asyltouren unterwegs, um vor der Bundestagswahl Stimmung zu machen.

Dahlemann lässt Kösters Äußerungen in dem Film aber nicht unkommentiert. So behauptet der NPD-Mann unter anderem in seiner Rede (Minute 9:08), dass nach Eröffnung einer neuen Asylbewerberunterkunft in Wolgast die Polizei von wachsender Drogenkriminalität, Wohnungseinbrüchen, Diebstählen auf der Straße und Gewalt spreche. Dem hat der SPD-Politiker eine Stellungnahme des zuständigen Polizeidirektors Gunnar Mächler gegengeschnitten (Minute 9:42): "Eine Kriminalitätsentwicklung mit der Unterkunft in Wolgast in Verbindung bringen zu wollen, ist die völlig falsche Aussage."

Anonyme Drohungen

Die NPD hat ihren Videobeitrag zur Kundgebung in Torgelow inzwischen wieder gelöscht, wie Dahlemann sagt. Das Mikrofon werden die Rechtsextremen ihm wohl nicht wieder anbieten. Der SPD-Mann hat mittlerweile Drohungen bekommen, es sind meist anonym verfasste Kommentare wie "Halt die Fresse du Vaterlandsverräter!" oder "Du Heuchler, wir werden Dich finden."

Dahlemann sagt, er nehme das gelassen: "Der übliche Blödsinn." In Torgelow sind seit Anfang Dezember 130 Asylbewerber in einem ehemaligen Wohnblock untergebracht. Es laufe bisher gut und insgesamt friedlich, so der Sozialdemokrat. Regelmäßig gebe es Bürgergespräche. Die NPD habe sich bisher nicht wieder blicken lassen.

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