Ypsilanti-Debakel "Das ist eine menschliche Katastrophe"
Berlin - Das Debakel in Hessen versetzt die SPD in Aufruhr. Das Verhalten der hessischen SPD-Abweichler, die der Landesvorsitzenden Andrea Ypsilanti die Unterstützung versagt haben, ist innerparteilich auf scharfe Kritik gestoßen.
Die Nachricht platzte mitten in eine Sitzung der SPD-Spitze in Berlin. Das Entsetzen war dort nach Angaben von Teilnehmern groß. "Das ist moralisch verwerflich", sagte die nordrhein-westfälische Partei- und Fraktionschefin Hannelore Kraft am Montag dem Fernsehsender Phoenix. "So was gehört sich nicht, so was macht man nicht", fügte sie hinzu. "Das ist unsolidarisch." Sie halte das Verhalten der vier Abgeordneten für eine "menschliche Katastrophe".
Ypsilanti hatte geplant, sich am Dienstag mit den Stimmen von SPD, Grünen und Linken zur Chefin einer rot-grünen Minderheitsregierung wählen zu lassen. Nun haben aber vier SPD-Abgeordnete am Montag ihren Austritt aus der SPD-Fraktion erklärt. Dabei handelt es sich um die Abgeordneten Jürgen Walter, Dagmar Metzger, Silke Tesch und Carmen Everts.
Kraft nahm von ihrer Kritik ausdrücklich die hessische Abgeordnete Dagmar Metzger aus, die bereits vor Wochen angekündigt hatte, die Wahl Ypsilantis zur Ministerpräsidentin mit Hilfe der Linken nicht mittragen zu wollen. Dagegen gingen die Abgeordneten Jürgen Walter, Silke Tesch und Carmen Everts den Medienberichten zufolge erst jetzt auf Distanz zu Ypsilanti.
Auch Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) äußerte sich empört über die Abweichler. "Das hat mit Politik gar nicht mehr viel zu tun", sagte er nach der Präsidiumssitzung. "Das ist schon eine Schande", sagte der schleswig-holsteinische SPD-Partei- und Fraktionschef Ralf Stegner ebenfalls nach der Sitzung des Präsidiums. Ein solches Verhalten könne in keiner Partei geduldet werden. "Das ist ein völlig inakzeptables Verfahren."
"Unvorhersehbare Schäden für die SPD"
Heftige Kritik kam auch aus Schleswig-Holstein. Die ehemalige Ministerpräsidentin Heide Simonis hat den angekündigten Austritt von vier SPD-Fraktionsmitgliedern einen Tag vor der Ministerpräsidentenwahl im hessischen Landtag scharf kritisiert. "Konsequent wäre es gewesen, das Mandat zurückzugeben", sagte Simonis am Montag. "Nachdem alle Gremien gelaufen sind, auf einmal zu sagen: 'Ich hab keine Lust', ist ein bisschen schwer zu vermitteln."
Simonis befürchtet durch die Vorgänge in Hessen "unvorhersehbare Schäden für die SPD". "Es landet langsam in einem Chaos, das nicht mehr zu überschauen ist", sagte Simonis. Die Ex-Regierungschefin geht davon aus, dass das Vorgehen der vier hessischen Abgeordneten von langer Hand geplant war. "Ein paar Leute sind nicht ganz ehrlich zu Hessens SPD-Chefin Andrea Ypsilanti gewesen", sagte Simonis.
Simonis war am 17. März 2005 bei der Wiederwahl zur schleswig-holsteinischen Ministerpräsidentin in vier Wahlgängen gescheitert.
"Nicht mit dieser Achterbahnfahrt der Gefühle gerechnet"
Der ursprünglich geplante Koalitionspartner ist von der Entwicklung überrumpelt: Die hessischen Grünen sind entsetzt. Der Frankfurter Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour ist über die Kehrtwende der Sozialdemokraten völlig überrascht. "Mit dieser Achterbahn der Gefühle hatten wir nicht gerechnet", sagte er der "Rheinischen Post". "Wir wussten, dass es schwierig wird. Aber die Stimmung auf dem Parteitag der Grünen in Hessen war vorsichtig optimistisch", wird der Grünen-Politiker zitiert. Seine Partei habe nun erst einmal Beratungsbedarf.
Bundesparteichefin Claudia Roth sagte am Montag in Berlin nach einer Vorstandssitzung ihrer Partei, die hessische SPD habe einen Regierungswechsel in Wiesbaden "dramatisch verunmöglicht".
Roth sprach von einem "desaströsen Versagen" der Landes-SPD, einem "Abgrund von Politikunfähigkeit" und einem "eklatanten Unvermögen", Debatten in der eigenen Partei einzuschätzen. Den Abweichlern in der Hessen-SPD warf Roth eine "politische Verkommenheit" vor, das zu Politikverdrossenheit führen werde. Damit verabschiede sich die hessische SPD für lange Zeit von aktiver politischer Gestaltung.
"Die Stahlhelmfraktion der CDU hat sich durchgesetzt"
Auch die Linkspartei ist baff. "Das ist ein schwarzer Tag für Hessen", sagte der Fraktionssprecher der hessischen Linken, Thomas Klein.
Der Chef der Linksfraktion im hessischen Landtag, Willi van Ooyen, ist ebenfalls von der Nachricht überrascht. "Ich habe das so nicht erwartet", sagte van Ooyen. Es habe in der Linkspartei zwar "einige Leute" gegeben, "die befürchtet haben, dass so etwas passieren könnte". Er selbst sei jedoch davon ausgegangen, dass am Dienstag "tatsächlich eine politische Mehrheit" im Landtag für einen "Politikwechsel in Hessen" möglich gewesen wäre.
Das Scheitern der Pläne von SPD-Chefin Andrea Ypsilanti, sich zur Ministerpräsidentin einer von der Linkspartei tolerierten rot-grünen Minderheitsregierung wählen zu lassen, nannte er "tragisch". "Die Stahlhelm-Fraktion der CDU hat sich jetzt noch mal durchgesetzt", urteilte van Ooyen. Dennoch habe er "keine Angst" vor einer Rückkehr des CDU-Ministerpräsidenten Roland Koch, der seit der Wahl im Januar nur noch geschäftsführend im Amt ist. "Angst ist keine politische Tugend", sagte van Ooyen.
Freude bei FDP und CSU
Freudig nahmen hingegen FDP und CSU das Scheitern der geplanten Minderheitsregierung in Hessen auf. Die Liberalen bezeichneten die Entwicklung als "Fiasko für die gesamte SPD". FDP-Generalsekretär Dirk Niebel sagte nach einer Präsidiumssitzung am Montag in Berlin, der neue SPD-Chef Franz Müntefering sei "in der Führung seiner Partei ausdrücklich gescheitert". Niebel sprach von dem "größten Scheitern in der Parteiengeschichte, nachdem Ypsilanti mit dem gleichen Kopf mehrfach an die gleiche Wand" gerannt sei. Die FDP hoffe, dass es nun in Hessen nachhaltige politische Veränderungen geben werde.
Die CSU begrüßt das Scheitern Ypsilantis ebenfalls. Parteichef Horst Seehofer sagte am Montag nach einer Sitzung des Parteivorstands in München, eine Koalition dürfe sich nicht auf dem "Bruch eines Wahlversprechens" gründen. Vier hessische SPD-Abgeordnete hatten zuvor mitgeteilt, dass sie Ypsilanti nicht zur Ministerpräsidentin wählen werden. Der neue CSU-Generalsekretär Karl-Theodor zu Guttenberg betonte, es bewahrheite sich offenbar der Spruch, dass "Lügen kurze Beine haben".
ffr/AFP/AP/ddp