Jungpolitiker und das Kinderkriegen: Schluss mit frustig!
Familiendebatte in den Parteien
"Geld macht keine Babys"
Deutschland hat den Baby-Blues. Die Republik debattiert, weshalb junge Menschen trotz Milliarden-Hilfen nicht fürs Kinderkriegen zu begeistern sind. Zehn Jungpolitiker aus allen Parteien erklären, warum sie den Unsinn in der Familienpolitik satt haben.
Berlin - Ob und wann man Kinder bekommt, wie man Eltern beim Erziehen und Betreuen unterstützen kann - diese Fragen spalten die Nation und haben das Zeug zum ideologischen Glaubenskampf. Seit eine vernichtende Regierungsstudie, veröffentlicht im SPIEGEL, mit verplemperten Milliarden aus dem Familienministerium abrechnet, ist das Vertrauen in sinnvolle Rezepte gegen den Geburtenrückgang endgültig erschüttert.
Aber was wollen junge Eltern wirklich, worüber grübeln Mütter, Väter, junge Menschen mit Kinderwunsch? Gehören Ehegattensplitting und Betreuungsgeld auf den Müll, oder wird der Ausbau von Kita-Plätzen als Allheilmittel überschätzt? Ist Nachwuchsplanung eine Frage von Geld und Gesetzen - oder braucht es mehr als Zuschüsse und Steuervorteile?
SPIEGEL ONLINE hat junge Politiker, Politikerinnen und politisch Engagierte gefragt, was sie sich von einer modernen Familienpolitik erhoffen - und was sie an der aktuellen Debatte am meisten nervt.
1. Dorothee Bär, 34, CSU-Politikerin und dreifache Mutter: "Schluss damit!"
Stellvertretende CSU-Generalsekretärin Bär: "Da läuft was schief"
Foto: Andreas Gebert/ dpa
Es gilt als fortschrittlich, seine Karriere in trockenen Tüchern zu haben und erst dann über Kinder nachzudenken. Dass eine gesunde Schwangerschaft mit ansteigendem Alter immer unwahrscheinlicher wird, ist hingegen ein Tabuthema. Da wünsche ich mir mehr Ehrlichkeit aus dem Familienministerium. Das hat sich zuletzt lieber um künstliche Befruchtungen gekümmert.
Überspitzt gesagt werden diejenigen gefördert, die mit der Familienplanung lange - vielleicht zu lange - gewartet haben. Da läuft doch was schief. Der Fehler liegt aber nicht nur im Gesetzbuch, sondern auch in einem gesellschaftlichen Imageproblem für junge Eltern. Ich möchte keine Formulierungen mehr wie "nur-Hausfrau" oder "Rabenmutter" als Bezeichnung für arbeitende Mütter hören. Schluss damit!
2. Martin Delius, 28, Pirat und Vater: "Mein Kind ist dem Staat weniger wert"
Berliner Piraten-Abgeordneter Delius: "Ehe ist unzeitgemäß"
Foto: dapd
Gegen die Ehe an sich habe ich nichts, aber als unanfechtbare Institution ist sie nicht mehr zeitgemäß. Meine Freundin und ich sind junge Eltern und nicht verheiratet, wir haben auf viele Förderungen keinen Anspruch - aber genau dieselbe Verantwortung wie verheiratete Paare. Unsere Elternschaft ist dem Staat weniger wert, und zwar nur deshalb, weil ein Stück Papier fehlt.
Abgesehen davon raubt einem die Bürokratie den letzten Nerv. Sobald man in Deutschland ein Sonderfall ist - ich als Abgeordneter falle bei den Ämtern in eine eigene Kategorie -, wird's kompliziert. Ohne meinen Sachbearbeiter wüsste ich nicht, wo ich bei all den Formularen das richtige Kreuz machen müsste.
3. Teresa Bücker, 28, SPD-Referentin, verheiratet: "Geld macht keine Babys"
Berliner Autorin und Referentin bei der SPD-Bundestagsfraktion Bücker: "Zwänge und Zufall"
Foto: Teresa Bücker
Kinderkriegen in Deutschland ist eine Frage von Zwängen und Zufällen, nicht die einer bewussten Entscheidung. Wenn du als Frau nicht gerade mit jemandem zusammenlebst, der sich die Elternschaft gleichberechtigt teilt, dann hast du Pech gehabt - du verzichtest auf Kinder, Beruf oder trennst dich.
Es ist absurd zu glauben, dass ein junges Paar wegen ein paar Transferleistungen extra Nachwuchs in die Welt setzt. Geld allein macht keine Babys. Wir brauchen Arbeitszeiten und Arbeitsplätze, die ein stressfreieres Familienleben erlauben. Wenn eine Gesellschaft Kinder will, dürfen junge Frauen in Unternehmen nicht als Risikofaktor behandelt werden. Welche Frau in einer befristeten Anstellung wagt es schon, schwanger zu werden?
4. Michael Kretschmer, 37, CDU-Politiker, zweifacher Vater: "Wenig rosig"
Unionsfraktionsvize Kretschmer: "Junge Leute wollen arbeiten, Männer wie Frauen"
Foto: Z1018 Ralf Hirschberger/ dpa
Viele Paare bekommen ein Kind, vielleicht noch ein zweites, dann hört es meistens schon auf. Familienpolitik ist kein Unterfall der Sozialpolitik, sondern muss Eltern in ihren individuellen Lebenssituationen unterstützen. Junge Leute wollen heute arbeiten, Männer wie Frauen. Und sie wollen ihr Kind in guten Händen wissen, während sie ihren Lebensunterhalt verdienen. Die Erziehung kann einem der Staat nicht abnehmen, aber er kann für ein sicheres Drumherum sorgen.
Das Elterngeld ist ein guter Schritt, auch ein Familiensplitting ist überfällig. Allerdings ist selbst im Osten die Kita-Situation längst nicht überall so rosig, wie es immer beschrieben wird. Mein jüngstes Kind habe ich drei Monate mit in den Bundestag genommen - weil wir keinen Krippenplatz bekommen haben.
5. Björn Böhning, 34, SPD-Politiker und Vater: "Kinder werden nun mal krank"
Böhning, Chef der Berliner Staatskanzlei: "Man kann jeden Diensttermin verschieben"
Foto: A9999 DB/ dpa
Wir brauchen eine familienflexible Arbeitszeitpolitik und klare Rechte für Eltern. Kinder werden nun mal krank, und kein Diensttermin ist so wichtig, dass man ihn nicht verschieben kann. Auch reicht es nicht, nur die Anzahl der Kita-Plätze zu erhöhen. Hier in Berlin ist die Quote gut, aber zwischen Bewerbung und Zusage liegen Monate, manchmal ein halbes Jahr. Das bedeutet eine lange Zeit der Ungewissheit für junge Eltern, in der sie auch ihrem Arbeitgeber keine klare Ansage machen können, wie es weitergeht.
Was Eltern wollen, ist Sicherheit, dass man einen Betreuungsplatz bekommt und in seinen Job zurückkehren kann. Darum verändern wir in Berlin derzeit das Anmeldeverfahren. Auch kleine Dinge können schon viel verändern: Wichtige Meetings sollten vormittags statt abends stattfinden, damit Eltern nicht automatisch ausgeschlossen werden.
6. Agnes Krumwiede, 36, Grünen-Politikerin im Mutterschutz: "Nicht gerecht"
Grünen-Bundestagsabgeordnete Krumwiede: "Junge Familien dürfen keine Angst haben"
Foto: David Ebener/ picture-alliance/ dpa
Unsere Familienpolitik wird den vielen verschiedenen Lebensmodellen nicht gerecht. Wir brauchen genügend Kita-Plätze, eine bessere Bezahlung von Erzieherinnen und Erziehern, flexiblere Arbeitszeiten, Kindergärten in größeren Betrieben - und die Möglichkeit für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, manches von zu Hause aus erledigen zu können.
Auch für mich wird nach der Geburt meines Kindes die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eine Herausforderung sein. Ohne die Unterstützung durch meinen Partner und meine Eltern könnte ich mir das gar nicht vorstellen. Umso mehr wünsche ich mir eine Familienpolitik, die dafür sorgt, dass junge Familien keine Angst haben müssen, für ihr Kind einen Betreuungsplatz zu finden.
SPD-Bundestagsabgeordneter Schneider: "Das Betreuungsgeld gehört wieder abgeschafft"
Foto: dapd
Unsere fünfjährige Tochter geht gern in die Kita - für meine Frau und mich ist das eine Riesenerleichterung. Wir brauchen in Deutschland mehr qualitativ hochwertige Kitaplätze, um beiden Elternteilen eine gute Balance zwischen Familienleben und Berufsalltag zu ermöglichen. Doch die Regierung Merkel sorgt mit dem geplanten Betreuungsgeld dafür, dass mehr Eltern ihre Kinder zu Hause lassen.
Alle Fakten sprechen gegen die Herdprämie. Besonders für gering qualifizierte Frauen wird der schnelle Wiedereinstieg in den Beruf unattraktiv. Aber gerade sie können nach einem längeren Ausstieg aus dem Beruf nur schwer wieder Fuß fassen und sind wegen geringerer Rentenansprüche langfristig von Altersarmut bedroht. Das Betreuungsgeld gehört wieder abgeschafft.
Oliver Luksic, 33, FDP-Politiker und Vater: "Staat soll sich raushalten"
Oliver Luksic, Chef der Saar-FDP und Bundestagsabgeordneter, warnt vor Maßnahmenflut
Foto: dapd
Wir sehen ja, dass die Flut an Zuschüssen und Instrumentarien unterm Strich wenig daran ändert, dass in Deutschland weniger Kinder geboren werden als anderswo. Dabei gibt kaum ein europäisches Land so viel Geld in der Familienpolitik aus wie wir. Mein Fazit? Wir können jungen Leuten immer wieder Mut machen, sich auf das Experiment Kinderkriegen einzulassen.
Ich warne aber davor, dass sich der Staat zu viel in die persönliche Lebensplanung einmischt. Wir müssen Abschied nehmen von der Illusion, dass immer neue Gesetze die Geburtenrate steuern können wie die Temperatur eines Heizkörpers. Stattdessen gehören die bestehenden Maßnahmen auf den Prüfstand.
9. Niema Movassat, 28, für die Linke im Bundestag: "Viel zu konservativ"
Auch wenn ich selbst noch keine Kinder habe, bekomme ich die Probleme hautnah mit: Mitarbeiter und Kollegen suchen intensiv nach einem Betreuungsplatz, dabei ist das Kind noch nicht einmal geboren. Ein befreundetes Paar in meiner Heimat Nordrhein-Westfalen hat dennoch keinen gefunden. Nun bleibt die Frau gezwungenermaßen zu Hause. Ohnehin herrscht in der Familienförderung die sehr konservative Vorstellung von "Mann + Frau + Trauschein + Kind" vor. Der Staat sollte aber alle Lebensformen fördern, in denen Kinder leben - auch gleichgeschlechtliche und unverheiratete.
FDP-Abgeordnete Skudelny (fünfte von rechts), Kinder bei Partei-Event: "Eine Frage des Wollens"
Foto: privat
Mein Wunsch wäre eine verlässliche Betreuung, und zwar vom ersten bis zum 14. Geburtstag. Bislang müssen die Kinder diese alle paar Jahre wechseln, und jedes Mal ist die Organisation eine neue Herausforderung, wenn es überhaupt klappt. Ohne die Großeltern vor Ort würde es bei mir nicht funktionieren, auch wenn die Kita-Situation in meiner Gemeinde Leinfelden-Echterdingen gut ist.
Das Wichtigste ist aber nicht, was die Politik für mich machen kann - sondern dass mein Mann zu gleichen Teilen mitmacht. Das ist eine Frage des Wollens, weniger des Könnens, von beiden Partnern. Wir Frauen müssen loslassen und die Väter etwa das kranke Kind pflegen lassen. Auch wenn sie dabei vermeintlich alles falsch - zumindest aber vieles anders machen.
10 BilderJungpolitiker und das Kinderkriegen: Schluss mit frustig!
1 / 10
Dorothee Bär, stellvertretende Generalsekretärin der CSU, gilt als Verfechterin des umstrittenen Betreuungsgeldes. Die 34-jährige Familienpolitikerin findet, dass die biologischen Risiken für Spätgebärende tabuisiert und schöngeredet werden - "Eine Aufklärungskampagne ist überfällig", so Bär, die junge Menschen ermutigen will, "sich früh mit einem Kinderwunsch auseinanderzusetzen".
Foto: Andreas Gebert/ dpa
2 / 10
Die 28-jährige Berliner Autorin Teresa Bücker arbeitet als Referentin für die SPD-Bundestagsfraktion, bloggt über Feminismus und Familienpolitik. "Ich habe das Glück, mit einem Mann verheiratet zu sein, der Kinder und eine moderne Partnerschaft will", sagt sie - doch für etliche andere Frauen sei die Babyfrage "bestimmt von Zwängen und Zufällen", meint sie. "Junge Frauen gelten in Unternehmen als Risikofaktor", kritisiert Bücker.
Foto: Teresa Bücker
3 / 10
Martin Delius sitzt für die Piratenpartei im Berliner Abgeordnetenhaus und ist seit einem halben Jahr Vater eines Sohnes. "Mich ärgert es, dass man schräg angeschaut wird, wenn man wegen seiner Familie früher nach Hause geht", sagt der 28-Jährige. "Wer länger da ist, ist fleißiger, so die Devise. Dabei haben junge Eltern vielleicht nur gelernt, effizient zu arbeiten."
Foto: dapd
4 / 10
Der 37-jährige Unionsfraktionsvize Michael Kretschmer, selbst Vater zweier Kinder, geht auch mit seiner eigenen Partei ins Gericht: "Keine der Parteien - und da schließe ich meine mit ein - hatte bislang konsequent ein Ziel klar in den Mittelpunkt gestellt: Mehr Mut zu Kindern."
Foto: Z1018 Ralf Hirschberger/ dpa
5 / 10
Agnes Krumwiede wird in wenigen Wochen Mutter - und wird dann ihre Tätigkeit als kulturpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Bundestag mit ihrem neuen Leben als Mutter verbinden. "Ohne die Unterstützung durch meinen Partner und meine Eltern könnte ich mir das gar nicht vorstellen", sagt die 36-Jährige.
Foto: David Ebener/ picture-alliance/ dpa
6 / 10
Carsten Schneider gehört als haushaltspolitischer Sprecher zu den profiliertesten Abgeordneten der SPD-Bundestagsfraktion. Er wünscht sich mehr hochwertige Kitaplätze - aus eigener positiver Erfahrung. "Unsere fünfjährige Tochter geht gern in die Kita - für meine Frau und mich ist das eine Riesenerleichterung."
Foto: dapd
7 / 10
Die Liberalen-Abgeordnete Judith Skudelny ist Politikerin, zweifache Mutter, Anwältin - und brachte nach der Geburt ihres ersten Kindes ihr Baby einfach mit in den Plenarsaal. Die 37-Jährige nervt das Betreuungs-Wirrwarr in Deutschland, der ständige Wechsel von Krippe, Kita, Hort. "Mein Wunsch wäre eine verlässliche Betreuung - und zwar vom ersten bis zum 14. Geburtstag!"
Foto: FDP-Bundestagsfraktion
8 / 10
Björn Böhning leitet als Chef der Berliner Staatskanzlei die Geschäfte im Hause Klaus Wowereit. Als junger Vater macht sich der 34-Jährige viele Gedanken über die Vereinbarkeit von Job und Familie. Seiner Meinung nach hapert es an flexiblen Strukturen in Betrieben und Firmen, auch seien die Wartelisten für einen Kitaplatz viel zu lang. "Das zu ändern ist viel wichtiger als zum Beispiel das Ehegattensplitting."
Foto: A9999 DB/ dpa
9 / 10
Der 28-jährige Linken-Abgeordnete Niema Movassat hat selbst noch keinen Nachwuchs, bemängelt aber die noch immer weitverbreitete starre "Vorstellung von Mann plus Frau plus Trauschein plus Kind".
Foto: Niema Movassat
10 / 10
Oliver Luksic von der FDP kümmert sich im Bundestag eigentlich um Bauen und Verkehr - seit er selbst Vater ist, ist auch Familienpolitik ein Thema, das ihn persönlich betrifft. Er sieht die Fülle von immer neuen Maßnahmenbündeln und Zuschüssen kritisch. "Wir müssen Abschied nehmen von der Illusion, dass immer neue Gesetze die Geburtenrate steuern können wie die Temperatur eines Heizkörpers", sagt der 33-Jährige.
Foto: dapd
Dorothee Bär, stellvertretende Generalsekretärin der CSU, gilt als Verfechterin des umstrittenen Betreuungsgeldes. Die 34-jährige Familienpolitikerin findet, dass die biologischen Risiken für Spätgebärende tabuisiert und schöngeredet werden - "Eine Aufklärungskampagne ist überfällig", so Bär, die junge Menschen ermutigen will, "sich früh mit einem Kinderwunsch auseinanderzusetzen".
Foto: Andreas Gebert/ dpa
Stellvertretende CSU-Generalsekretärin Bär: "Da läuft was schief"
Foto: Andreas Gebert/ dpa
Oliver Luksic, Chef der Saar-FDP und Bundestagsabgeordneter, warnt vor Maßnahmenflut
Foto: dapd
FDP-Abgeordnete Skudelny (fünfte von rechts), Kinder bei Partei-Event: "Eine Frage des Wollens"