Volkszählung Statistiker verheimlichten schlechte Datenqualität

Zensusopfer Köln: Stichproben waren offenbar zu klein gewählt

Zensusopfer Köln: Stichproben waren offenbar zu klein gewählt

Foto: Oliver Berg/ picture alliance / dpa

Bislang galt die Qualität der Volkszählung gerade in deutschen Großstädten als vorbildlich. Nun belegen Fehlerdaten der Stadtbezirke das Gegenteil. Brisant: Das Statistische Bundesamt hielt diese Daten zurück.

Die Stichprobenfehler gelten als wichtiges Qualitätskriterium der Volkszählung 2011. Sie besagen, mit welcher Wahrscheinlichkeit das Ergebnis der Stichproben ermöglicht, die tatsächliche Einwohnerzahl zu benennen. Frühere Recherchen von SPIEGEL ONLINE hatten gezeigt, dass die Fehler in den Gemeinden den gesetzlichen Grenzwert  von 0,5 in der Mehrheit der Fälle überschreiten.

Immer mehr Kommunen ziehen inzwischen gegen den Zensus vor Gericht, weil sie seiner Methode misstrauen und sich durch zu niedrige Einwohnerzahlen benachteiligt fühlen. Für solche Gemeinden sind die Fehlerwerte ihrer Stichprobe und damit die Zuverlässigkeit der Volkszählung klagerelevant.

In den größten deutschen Städten, wie etwa in Berlin oder Hamburg, schien die Qualität der Stichprobe bisher hervorragend zu sein, obwohl es dort massive Abweichungen des Zensus von der alten amtlichen Einwohnerzahl gab: In jeder der 15 größten Metropolen blieb der Stichprobenfehler für das gesamte Stadtgebiet unter der Marke von 0,5.

Jetzt ergibt sich ein ganz anderes Bild - die einzelnen Abweichungen sehen Sie hier:

Bislang verschwiegen: Fehlerdaten per Stadtbezirk

Die Großstädte ziehen auch die Gesamtnote für Deutschland in den roten Bereich: Auf Basis der bisherigen Werte für die kompletten Stadtgebiete hatte die amtliche Statistik stets behaupten können, der bundesweite Mittelwert der Stichprobenfehler sei im gesetzlichen Rahmen. Nun aber liegt auch dieser über der Grenze - und insgesamt haben 63 Prozent aller Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohnern eine Stichprobe, die schlechter ist als die gesetzliche Vorgabe.

Das Statistische Bundesamt will nichts Schlimmes daran finden, die Stichprobenfehler der Stadtbezirke für sich behalten zu haben. Sie seien für die öffentliche Debatte nicht relevant gewesen und auch zu kompliziert, schreibt das Amt in einer schriftlichen Stellungnahme . Den Gemeinden enthielt es damit aber wichtige Informationen vor, mit denen sie ihre Klagen gegen den Zensus begründen könnten.

Stichprobenfehler in Städten und Stadtteilen

Foto: Björn Schwentker

Auch auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE reagierte das Statistische Bundesamt erst nicht. Das änderte sich erst, als wir einen Antrag mit Hilfe des Informationsfreiheitsgesetzes  stellten, mit dem Bürger ihr Auskunftsrecht gegenüber Bundesbehörden durchsetzen können.

Die Daten erreichten uns als zwei unhandliche PDF-Tabellen, die gegen Weiterverarbeitung und Kopieren geschützt waren. Man wisse ja nie, wer mitlese, und habe die Daten schützen wollen, begründet das Amt sein Vorgehen. Das Bundesamt gibt damit dem Vorwurf der Gemeinden neue Nahrung, die amtliche Statistik sei intransparent und behindere willentlich die Aufklärung des Zensus-Verfahrens. SPIEGEL ONLINE stellt die Fehlerdaten nun offen zum Download zur Verfügung .

Melderegister der Kommunen sollen schuld sein

Die hohen Stichprobenfehler sind für die statistischen Ämter unangenehm. Jeder Fehlerwert über 0,5 bedeutet: Hier hätten mehr Menschen befragt werden müssen, um den gesetzlichen Qualitätsanspruch zu erfüllen. Insbesondere in den großen Städten wurde ein viel kleinerer Bevölkerungsanteil von Zählern besucht als die bundesdurchschnittlichen zehn Prozent. Die Stichproben, so scheint es, waren mehrheitlich zu klein gewählt.

Dem widerspricht man im Statistischen Bundesamt nicht. Allerdings könne man nichts dafür . Wo die Stichprobenfehler hoch sind, liege das an den zu schlechten Melderegistern der Kommunen. Allerdings hatten die Statistischen Ämter bereits 2001 ausführliche Tests  gemacht, um die Güte der Melderegister einzuschätzen.

Damit lag man wohl gründlich daneben, wie eine amtliche Zensus-Studie  am Beispiel Wiesbadens zeigt: Vor der Zählung war man für die Stadt von einer exzellenten Stichprobe ausgegangen mit einem Mini-Fehler von 0,13 - obwohl man nur drei Prozent der Bevölkerung befragen wollte. Tatsächlich ergab der Zensus den fünffachen Fehlerwert, nämlich 0,69, klar jenseits der gesetzlichen Grenze.

Wären mehr Deutsche befragt worden, wäre der Zensus besser gewesen. Auf Anraten des Statistischen Bundesamtes hatte sich die Politik aber schon vor Jahren entschieden, nur wenige Interviewer loszuschicken. Eine größere Stichprobe wäre teurer gewesen. Ein Plus an Qualität, das man sich offenbar nicht leisten wollte.

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