Zentralratspräsidentin Knobloch "Absolute Anti-Stimmung gegen Juden"
SPIEGEL ONLINE: Die deutsche Außenpolitik steht vor einer Zäsur. Bundeswehr-Soldaten werden zum ersten Mal im Nahen Osten eingesetzt, bei der Uno-Mission im Libanon. Halten Sie das für richtig?
Knobloch: Die Zäsur sehe ich eher beim Staat Israel, nicht bei der deutschen Politik. Ich war sehr überrascht von der Entscheidung der israelischen Regierung, Deutschland um diese militärische Beteiligung zu bitten. Und das war sicher keine Entscheidung per Schnellschuss. Deshalb ist die Zäsur in Israel viel größer als jene in Deutschland. Wir wissen ja, wie das in anderen Fällen ist: Die Aufführung der Musik von Richard Wagner etwa ist in Israel heute noch immer ein Problem.
SPIEGEL ONLINE: Selbst bei der auf Deutsch gehaltenen Knesset-Rede des damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau im Jahr 2000 verließen noch einige Abgeordnete das israelische Parlament. Umso bedeutender stellt sich der Einsatz der Bundeswehr an den Grenzen Israels dar. Der bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber und die FDP stehen einem solchen Einsatz eher skeptisch gegenüber. Können Sie das verstehen?
Knobloch: Ich komme noch aus einer Generation, die sich sehr stark negativ an Uniformen erinnert. Und das geht einigen in Israel sicher ähnlich. Allerdings geht es heute um den Frieden, das ist das Maßgebliche. Da muss ich über den eigenen Schatten springen und den deutschen Einsatz befürworten. Das ist aber besonders im Hinblick auf die Vergangenheit interessant, dass jetzt deutsche Soldaten Israel beschützen werden.
SPIEGEL ONLINE: Manche sprechen von Normalisierung deutscher Außenpolitik.
Knobloch: Nein, also eine Normalisierung sehe ich da auf keinen Fall. Die deutsche Regierung ist unter politischem und militärischem Zugzwang. Nachdem Israel an die deutsche Regierung herangetreten ist, ist natürlich Deutschland gefordert, über diese Bitte zu entscheiden. Ich sehe hier die Möglichkeit, dass die Bundesrepublik sehr intensiv dazu beitragen kann, Frieden in Nahost zu schaffen.
SPIEGEL ONLINE: Der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert steht in der Kritik, die Kriegsziele seien nicht erreicht, die Hisbollah nicht entscheidend geschwächt. Wie lautet Ihre Bilanz?
Knobloch: Nachdem Hisbollah-Chef Nasrallah jetzt angekündigt hat, über einen Gefangenenaustausch reden zu wollen, ist meine Bilanz positiver. Nasrallah selbst hält ja mittlerweile die Entführung der beiden israelischen Soldaten für einen Fehler. Ich weiß von einigen Israelis, die überrascht sind vom militärischen Vorgehen ihres Landes.
SPIEGEL ONLINE: Ein Gefangenenaustausch wäre vielleicht auch ohne den Krieg im Libanon möglich gewesen.
Knobloch: Es ist immer schwierig, etwas von außen zu kritisieren.
SPIEGEL ONLINE: Eine Ihrer Töchter lebt in Israel. Wie war der Kontakt in den letzten Monaten?
Knobloch: Wir haben täglich mehrmals telefoniert. Wenn die Katjuscha-Raketen in Richtung Tel Aviv weitergeflogen wären, hätte dies meine Tochter und meine Enkelkinder stark bedroht. Ich habe mir sehr große Sorgen gemacht. Meine Enkel sind im Reservedienst, wurden dann aber nicht eingezogen. Man kann froh sein, dass die Diplomatie jetzt diese Waffenruhe erreicht hat.
SPIEGEL ONLINE: Wird sie halten?
Knobloch: Die israelische Regierung hat es mit Partnern zu tun, die nicht immer das erfüllen, was sie zusagen. Ich blicke skeptisch, aber voller Hoffnungen in die Zukunft.
SPIEGEL ONLINE: Wie beurteilen Sie Irans Vorgehen in der Krisenregion? Ist der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad überhaupt noch von seinem Atomprogramm abzuhalten?
Knobloch: Vielleicht kann Uno-Generalsekretär Kofi Annan bei seinem anstehenden Teheran-Besuch im direkten Gespräch mit Ahmadinedschad etwas bewirken. Aber momentan ist die Diplomatie, auf die man so viel gesetzt hatte, am Ende. Das überrascht mich nicht. Das war immer nur ein kleiner Hoffnungsschimmer. Insgesamt erinnert mich die heutige Situation an die gescheiterte Appeasement-Politik gegenüber Hitler. Die Geschichte wiederholt sich doch immer wieder. Und daraus sollte man lernen.
SPIEGEL ONLINE: Mitten in den Libanon-Krieg hinein platzte Nobelpreisträger Günter Grass mit dem Bekenntnis über seine Mitgliedschaft in der Waffen-SS. Hätten Sie das für möglich gehalten?
Knobloch: Ich war total überrascht. Andererseits: Günter Grass ist mir immer etwas unscharf vorgekommen. Aber in diese Richtung habe ich ihn zuvor nicht eingeordnet. Vielleicht ist es auch einfach nur gutes Marketing für sein Buch, der Zeitpunkt seines Bekennens setzt da durchaus Fragezeichen.
SPIEGEL ONLINE: Während Grass mit der SS-Panzerdivision "Frundsberg" den Führer verteidigt hat, wurden Sie von einer katholischen Bäuerin in Franken versteckt. Warum hat Ihnen diese Frau geholfen, während Millionen Deutsche gleichgültig oder fanatisiert waren wie Günter Grass?
Knobloch: Diese Frau entstammte einer sehr religiösen Bauernfamilie. Ihre beiden Brüder waren in Russland und Afrika an der Front. Wenn sie ein gutes Werk tut so hat sie sich gedacht dann kehren vielleicht die Brüder unversehrt aus dem Krieg heim. Das war der Grund, nur das. Später hat sie alle möglichen Ehrungen abgelehnt, weil sie sich durch die Rückkehr ihrer Brüder schon belohnt sah.
SPIEGEL ONLINE: Nach dem Krieg haben Sie überlegt, in die USA auszuwandern. Haben Sie es schon einmal bereut, dass Sie es nicht getan haben?
Knobloch: Nie. Das habe ich nie bereut. Im Gegenteil: Heute bin ich froh. Das Schicksal hat mich belohnt, dass mein Mann und ich nie gegangen sind. Das habe ich mir zuletzt bei meiner Wahl zur Präsidentin des Zentralrats gedacht.
SPIEGEL ONLINE: Bei Ihrem Amtsantritt haben Sie gesagt, ein Schwerpunkt Ihrer Arbeit werde der Kampf gegen Rechtsextremismus sein. Sind antisemitische Stimmungen in Deutschland durch den Nahost-Konflikt wieder angeheizt worden?
Knobloch: Ja, leider. Ich sehe eine absolute Anti-Stimmung gegen Juden und den Staat Israel. Bei Demonstrationen werden hier etwa Plakate durch die Straßen getragen, auf denen steht: "Israel Kindermörder". Die Polizei zieht diese Parolen nicht ein und jene Menschen, die sich mit dem Thema nur am Rande oder gar nicht befassen, die werden dann negativ beeinflusst. Das sind die Grundlagen dieser Anti-Stimmung. Die gibt es in allen Bereichen. Wir organisieren zum Beispiel gerade ein Benefizkonzert, und sogar da kommen ablehnende, antisemitische Briefe. Es wird alles in einen Topf geworfen. Wir als jüdische Bürger in Deutschland werden in den aktuellen Nahostkonflikt hundertprozentig hineingezogen. Und die Politiker, die sich mit wohlbedachten Worten dieser Anti-Stimmung anschließen, die haben natürlich Hochkonjunktur.
SPIEGEL ONLINE: Wen meinen Sie?
Knobloch: Oskar Lafontaine zum Beispiel. Die Linksfraktion ist nicht sonderlich sachlich in der Beurteilung der Katastrophe in Nahost. Auch die SPD-Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul zähle ich dazu. Diese Leute unterstützen noch die Anti-Stimmung gegen die Juden in Deutschland. Ich habe das noch nie in dieser Form erlebt. Das ist eine neue Qualität. Diese Anti-Stimmung ist jetzt stärker in der Öffentlichkeit wahrnehmbar als früher. Sie ist in alle Kreise und Schichten eingedrungen. Ich hoffe, dass alle demokratischen Kräfte gemeinsam diese Entwicklung zurückdrängen können. Alle positiven Gedanken, die ich in Bezug auf Deutschland habe, würden sonst in Frage gestellt. Ich habe meine Koffer hier ausgepackt. Und ich möchte sie nicht wieder einpacken.
Das Interview führten Sebastian Fischer und Claus Christian Malzahn