Zweifel am Krieg In der SPD regt sich Widerstand
Berlin - Vor allem auf dem linken Flügel der SPD-Bundestagsfraktion rumort es. So berichtete in der Dienstagsausgabe der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" der Abgeordnete Detlev von Larcher: "Mindestens drei Viertel der Fraktion stehen den US-Einsätzen äußerst skeptisch gegenüber." Allerdings wolle niemand in der SPD-Fraktion der Regierung in den Rücken fallen, schränkte er ein.
Larchers Grundauffassung widersprach Bundeskanzler Schröder am heutigen Dienstag mit knappen Worten: "Ich teile diese Ansicht nicht". Er erwarte ein "möglichst geschlossenes" Bild der Fraktion, "von der ein oder anderen Ausnahme abgesehen".
Jusos halten Schröderlinie für "grundfalsch"
Die Jungssozialisten in der SPD gingen unmittelbar nach Schröders Pressekonferenz am Dienstag auf Distanz zu dessen Erklärungen. Der Juso-Vorsitzende Niels Annen mahnte die SPD-Fraktion "keinem Vorratsbeschluss" zuzustimmen und sich so die "eigene Entscheidungskompetenz aus der Hand nehmen zu lassen".
Schröders Kurs halte er jetzt für "grundfalsch". Uneingeschränkte Solidarität müsse nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit erfolgen, dieses Maß habe Schröder aber "überschritten". Das Parlament und die deutsche Öffentlichkeit hätten durch dessen "mangelnde Informationen keine Entscheidungsgrundlage", erklärte Annen gegenüber SPIEGEL ONLINE.
Wer genauer hinhört, vernimmt auch in den Reihen der SPD-Bundestagsfraktion eine immer deutlichere Verunsicherung und Kriegskritik.
Demoaufruf im Internet
Drei Beispiele: Gudrun Roos kam erst 1999 als Nachrückerin für Oskar Lafontaine in den Bundestag. Und vielleicht liegt es daran, dass sie ein bisschen deutlicher als andere Bundestagsabgeordnete aus der SPD ihren Mund aufmacht. Zumindest auf ihrer Homepage. Dort ruft sie sogar zur Teilnahme an einer regelmäßigen Montags-Demonstration in Neunkirchen gegen den Krieg in Afghanistan auf. Ein Land zu bombardieren wie dies derzeit in Afghanistan geschehe, sei "der falsche Weg". Das Bombardement einzustellen, sei "jetzt notwendig", damit noch vor Einbruch des Winters Lebensmittel, Kleidung und Hilfsgüter zum Überleben der Bevölkerung in das Land gebracht werden können.
Ergänzend wird auf der Website aus einem Interview der SPD-Parlamentarierin mit der "Saarbrücker Zeitung" zitiert: "Es ist geradezu menschenverachtend, wenn Colin Powell ankündigt, die militärischen Aktionen wegen des bevorstehenden Winters zu verstärken." Zumindest an der Basis gefallen solche klaren Worte. "Die Delegierten begleiteten die Ausführungen mit mehrfachem Applaus und wählten im Anschluss Gudrun Roos einstimmig als Kandidatin für die nächsten Bundestagswahlen", heißt es stolz in der eigenen Pressenotiz der 56-jährigen Bundestagsabgeordneten vom 29. Oktober.
"Die Basis fordert zu solchen Debatten auf"
Ihr Gießener Parteigenosse Rüdiger Veit hat die gleiche Erfahrung gemacht. Auch ihn hat bei seiner Nominierungsversammlung am Wochenende die "sehr heftige positive Resonanz an der Basis überrascht", offen über die Widersprüche des Afghanistan-Einsatzes zu debattieren. Das Taliban-Regime "muss sich ändern oder weg" ist auch seine Überzeugung, allerdings nicht, indem "ohne nachvollziehbare militärische Ziele weitergebombt wird". Nun sei es "unerlässlich, so früh wie möglich, den Flüchtlingen zu helfen. Dass dafür der Einsatz von Bomben und Raketen noch die Mittel der Stunde sind - diesen Eindruck habe ich nicht", meint Veit.
In kaum einem Parteigremium sei das Thema derzeit zu umgehen, berichtet der hessische Abgeordnete. Auch in der Bundestagsfraktion werde es "mit Sicherheit" nach Gerhard Schröders Rückkehr zu einer neuerlichen Aussprache kommen. Dessen Forderung in Pakistan, das Bombardement ohne Feuerpause fortzusetzen, bewertet der 52-jährige Jurist lieber nicht: "Ich möchte das Verhalten anderer nicht kommentieren". Ihm gehe es um seine eigenen Gedanken, und dazu fühle er sich "durch die Basis sogar aufgefordert".
Zivilcourage aus Rostock
Nur wenige seiner 297 SPD-Fraktionskollegen- und Kolleginnen zeigen ähnlich offen Courage. So ist die Rostocker SPD-Bundestagsabgeordnete Christine Lucyga einem Bürgerbündnis beigetreten, das am vergangenen Freitag eine "Rostocker Erklärung" verkündet hat. "Das Wort von der uneingeschränkten Solidarität verliert mit Blick auf die militärischen Aktionen der USA gegen Afghanistan seinen Sinn und findet nicht unsere Zustimmung", heißt es in dem Appell.
In dem Aufruf, der an mehreren Stellen in Rostock zur Unterschrift ausliegt, wird ausdrücklich die Solidarität mit den Terroropfern und dem amerikanischen Volk betont. Dies könne aber nicht ein "Ja" zu Bombardements gegen Unschuldige und zur Zerstörung eines ganzen Landes bedeuten, heißt es weiter.
Die 57-jährige Literaturwissenschaftlerin hatte bereits am Dienstag letzter Woche allen Mut zusammen genommen und als erste SPD-Parlamentarierin den so genannten Berliner Aufruf mitunterzeichnet, in dem auch Wissenschaftler und Literaten wie Christa Wolf und Martin Walser appellieren, "internationalen Terrorismus mit zivilen Mitteln zu bekämpfen".
In der Erklärung werden Bundestag und Bundesregierung zu einem "starken Engagement für die politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen zur Terrorbekämpfung" aufgefordert und "jede Beteiligung an militärischen Einsätzen mit Logistik, Finanzmitteln oder Streitkräften" von der Einhaltung "zivilisatorischer Prinzipien" abhängig gemacht. Bündnistreue und historische Verantwortung könnten nicht bedeuten, "eine Vorgehensweise zu unterstützen, die allen Beteiligten schadet". Neben PDS-Parlamentariern haben auch vier Bundestagsabgeordnete der Grünen den Aufruf unterschrieben, darunter die Vizepräsidentin des Bundestags, Antje Vollmer.
Wie viel Meinungsstreit duldet der Kanzler?
Den Kanzler dürften solche Töne aus der Koalition verärgern, zu deutlich hatte er sie sich während seiner Asienreise seitens der Gewerkschaften verbeten. Auch SPD-Generalsekretär Müntefering hatte letzte Woche in Güstrow betont: "Wir haben die Vorgehensweise der USA nicht zu kritisieren."
Daran mag es liegen, dass sich viele Abgeordnete immer noch nicht aus ihrer Deckung trauen. "Zehn bis zwölf Tage" möchte etwa der Sprecher für Menschenrechte und humanitäre Hilfe der SPD-Fraktion, Rudolf Bindig, noch ins Land gehen lassen, um dann präzisere Schlüsse zu ziehen. Nur der Einsatz von Streubomben wird jetzt schon scharf kritisiert, das scheint der kleinste gemeinsame Nenner für die Kriegsskeptiker in der SPD zu sein.
Teil 2: Bündnistreue in Form von Schröder-Treue
Andere SPD-Abgeordnete zeigen sich so verängstigt, dass sie ungerne zitiert werden möchten. Offensichtlich wirken die markigen Worte noch nach, mit denen SPD-Generalsekretär Franz Müntefering 19 Abweichler ermahnte, nicht mehr gegen die Partei- und Fraktionsdisziplin zu verstoßen, nachdem sie im August den Einsatz von Bundeswehrsoldaten in Mazedonien abgelehnt hatten. Einigen wurde in der Folge deutlich gemacht, dass auch ihr Listenplatz durch solches Querulantentum nach hinten rutschen könnte. Seitdem herrscht nach außen Bündnistreue in Form von Schröder-Treue vor.
Kritik hinter vorgehaltener Hand
Intern aber knirscht es. So findet es eine der damals gescholtenen Abgeordneten "inzwischen grauenhaft", was in Afghanistan passiert, das militärische Vorgehen dort verstehe "kein Mensch mehr", sagt sie mit der Bitte, anonym zu bleiben. Sie sei sich aber "ganz sicher", dass die 19 Gegner des Mazedonien-Beschlusses auch gegen einen Bundeswehreinsatz in Afghanistan votieren würden, eventuell sogar noch mehr Abgeordnete. Bis dahin halte sie aber ihre Meinung zurück. Dieser offene Streit steht der SPD jetzt möglicherweise bevor und könnte auch ihren bevorstehenden Parteitag prägen. Die interne Debatte sei bereits in vollem Gang, so die Abgeordnete, weil die Erkenntnis reife, "dass Solidarität kein blinder Gehorsam" sei.
Der Starnberger SPD-Abgeordnete Klaus Barthel formuliert es ähnlich. Er gehört ebenso zu der Gruppe der 19, die auf eine eigene Gewissensentscheidung pochten. Primat aller Überlegungen für Afghanistan müsse sein, wie Ziele erreicht werden können, ohne Gegenreaktionen hervorzurufen. Amerikanischer als die Amerikaner aufzutreten mache dabei aber keinen Sinn, das würde immer wieder an der Basis beklagt. Und hier zu Lande nur über militärische Lösungen zu reden, sei "eine Falle der Taliban". Damit stelle sich der Westen bloß.
"Mir ist nicht klar, was dort nun wirklich erreicht werden soll" kritisiert Barthel das unbeirrte militärische Vorgehen. Ein besonderes Beschwernis für die Volksvertreter sei dabei der geringe Informationsfluss ins Parlament. "Wir alle reden über etwas, von dem wir viel zu wenig wissen", meint der 45-jährige Gewerkschaftssekretär. Dies zu ändern, tue ganz besonders Not.
Rat- und Hilflosigkeit prägen die Fraktion
Genau diese Hilflosigkeit drückt auch der Hagener Bundestagsabgeordnete René Röspel auf seiner Homepage aus. Dort berichtet der Diplombiologe von einer "gewissen Ratlosigkeit" in der SPD-Fraktion, ob der Krieg in Afghanistan wirklich "der beste Weg ist". Das "Unbehagen" wachse nicht nur bei den Grünen, sondern "ebenso in der SPD", hier werde die Diskussion aber "nicht so öffentlich geführt".
Mittlerweile müsse man sich jedoch fragen, "wen man mit den Bomben trifft und ob das Ziel wirklich erreicht wird", sagte Röspel in der vergangenen Woche seiner Lokalzeitung, der "Westfalenpost". Indirekt kündigt er Widerstand gegen die Schröder-Linie an, sollte die Beteiligung deutscher Soldaten beschlossen werden. Für den Kanzlerkurs, auch Militäreinsätze zum Mittel der Außenpolitik zu machen, werde es "keine Blankovollmacht" geben.
Auch der "Vorwärts" denkt plötzlich weiter
"Ein bisschen Selbstkritik täte uns und der Welt ganz gut" ist ein Artikel in der SPD-Zeitung "Vorwärts" überschrieben, der dem Kanzler bei seiner Rückkehr aus Asien ebenfalls aufgestoßn sein dürfte. Darin nennt der Ex-MdB und Planungschef unter Kanzler Helmut Schmidt, Albrecht Müller, "einen weiteren so genannten Kollateralschaden", wenn der "Wille zu selbstkritischer Betrachtung des Westens weiter schrumpfen" sollte. Das alttestamentarische "Auge um Auge, Zahn um Zahn" sei "tödlich", wichtiger sei es, sich in andere Menschen und Völker hineinzuversetzen.
"Wenn wir heute beginnen würden, uns in die Lage der Palästinenser und anderer gebeutelter Völker zu versetzen", so schreibt SPD-Mann Müller, "dann würden die schrecklichen Ereignisse vom 11.9. eine positive Folge haben."