Zwischenbilanz im Wulff-Prozess In welcher Welt leben diese Staatsanwälte?

Das Landgericht in Hannover will den Prozess gegen den Ex-Bundespräsidenten Christian Wulff abkürzen. Das ist gut. Es schlägt dazu jedoch eine Variante vor, die Zweifel an der Souveränität der Richter und am Verhalten der Staatsanwaltschaft aufkommen lässt.
Ex-Bundespräsident Wulff: Keine Beweise für Vorteilsannahme

Ex-Bundespräsident Wulff: Keine Beweise für Vorteilsannahme

Foto: Julian Stratenschulte/ dpa

Es war eine gute und eine weniger gute Nachricht zugleich, die der Vorsitzende Richter dem ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff und dessen Freund, dem Filmmanager David Groenewold, in seiner Zwischenbilanz verkündete. Einerseits sagte Frank Rosenow, die Landgerichtskammer in Hannover sehe die Vorwürfe der Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung als nicht bewiesen an. Das heißt: Ein Freispruch ist zum Greifen nahe.

Andererseits aber regte das Gericht ein Absehen von Strafverfolgung wegen Geringfügigkeit - schließlich geht es um 750 Euro, mit denen sich Wulff angeblich sein Wohlwollen von Groenewold abkaufen ließ - oder eine Einstellung des Verfahrens gegen Auflagen ein. Wie das? Sind Wulff und Groenewold nun schuldig oder nicht? Vorwürfe, die nicht zu beweisen sind, sind auch nicht zu bestrafen. Denkt der Bürger.

Aus Richter Rosenows Ausführungen war herauszuhören - so empfanden es jedenfalls die Angeklagten -, dass er im Falle eines Freispruchs einen Revisionsantrag der Staatsanwaltschaft kommen sieht. Wulff und Groenewold stünde dann möglicherweise eine lange Zeit der Ungewissheit bevor, ehe die leidige Sache endlich vom Tisch wäre. Oder will das Gericht mit seiner Anregung der Staatsanwaltschaft eine goldene Brücke bauen, um einem Gesichtsverlust zu entgehen?

Justiz muss sich verständlich machen

Fragen über Fragen: Warum ist überhaupt angeklagt worden, wenn die Beweise so dürftig sind, dass das Gericht nach acht Verhandlungstagen noch immer nichts Beweisbares in den Händen hat? Warum hat die Kammer eine solche Anklage zugelassen? Weil sowohl Staatsanwaltschaft als auch Gericht den öffentlichen Vorwurf fürchten, sogenannte Promis besser zu behandeln als die Herren Hinz und Kunz? Dann stünde es schlecht um die Souveränität der Justiz.

Denn das Schielen auf Beifall und die Angst vor dem Aufschrei des Boulevards geht vor allem zu Lasten der Angeklagten. Deren Ansehen wird allein durch den Umstand, vor Gericht ihr Privat- und Intimleben ausbreiten zu müssen, beschädigt. Dazu kommt die psychische Belastung, die jeder Strafprozess für einen Angeklagten bedeutet.

Justiz soll verständlich sein. Sie muss sich dazu auch verständlich machen. Wenn eine Staatsanwaltschaft angesichts einer Situation, wie sie im Prozess gegen Wulff und Groenewold nun besteht, weiter auf "ausreichende Hinweise" hofft, dass Wulff sich "wissentlich" von seinem Freund habe einladen lassen, dann wird das Verständnis arg strapaziert. Außerdem: Wulff hat mit Frau und Kind nicht gratis im Hotel gewohnt, sondern dafür bezahlt. Dass ihm nicht gleich auffiel, dass die Kosten für das Kindermädchen nicht auf der Rechnung standen - welch eine Straftat! In welcher Welt leben diese Staatsanwälte eigentlich?

Für die Verteidigung kommt eine Einstellung des Verfahrens gegen Auflagen nicht in Frage. Warum auch.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten