MILITÄR / DEBRÉ-BESUCH Dichter Gegenverkehr
Aufgrund unserer Eigenarten und der gemeinsamen Gefahr ist die organische Zusammenarbeit unserer beiden Armeen für die Verbundenheit unserer Staaten unerläßlich.
Charles de Gaulle 1962 vor der Führungsakademie der Bundeswehr.
Für die »organische Zusammenarbeit« der Armeen von Paris und Bonn ist an der Seine ein Minister zuständig, den von seinem deutschen Amtskollogen Helmut Schmidt mannigfache Eigenarten unterscheiden: Erz-Gaullist Michel Debré.
Als der konservative Franzose am Freitag vergangener Woche auf der Hardthöhe mit seinem sozialdemokratischen Partner konferierte, gab es dennoch kaum Reibungspunkte. Im Gegenteil: Die »militärische Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und Frankreich ist enger denn je.
Beim Treffen Schmidt -- Debré. mochte es freilich scheinen, als gehe es dabei hauptsächlich um Rüstungsfragen. Die Minister hakten eine ganze Liste gemeinsamer Waffenprogramme ab und unterzeichneten ein Abkommen über den Kauf von 20 Raketen-Schnellbooten, bei denen es schwerfällt, sie deutsch oder französisch zu nennen: Frankreich liefert -- zum Zorn der renommierten Bremer S-Boot-Werft Lürssen -- Schiffe, die nach einer Lürssen-Lizenz auf den Heiligen der Amiot-Werft in Cherbourg gebaut werden. Grund: Die Franzosen boten trotz Lizenzgebühren erheblich wohlfeiler an als der deutsche Betrieb.
Mehr Bedeutung indes als das Geschäft mit militärischer Hartware hatte die hohe Politik. Debré, als Testamentsvollstrecker de Gaulles ein besonders »unerbittlicher Wahrer französischer Eigenständigkeit und Nato-Abstinenz, merkte interessiert auf, wann immer Helmut Schmidt etwa von der Präsenz amerikanischer Streitkräfte in Europa, den Gesprächen zwischen Moskau und Washington über die Begrenzung strategischer Waffensysteme oder einer gleichgewichtigen beiderseitigen Truppenverminderung in Europa sprach.
Offiziell lehnt Paris seit Jahren die Erörterung dieser Themen mit der gleichen Selbstverständlichkeit ab, wie Debré jetzt in Bonn vor Journalisten eine Beteiligung Frankreichs an Stationierungskosten für die USA verweigerte. In Wirklichkeit fahren die Franzosen Trittbrett: Ihre militärischen Pläne setzen die Nato und sogar die Anwesenheit der Amerikaner in Deutschland voraus.
Die Allianz ihrerseits behandelt das widerspenstige Frankreich auch weiterhin mit ausgesuchter Höflichkeit: Wo immer Franzosen sich kooperationswillig zeigen, öffnen ihnen Bündnis-Diplomaten und -Offiziere alle Türen.
Ganz im Gegensatz zu sonstiger Widerborstigkeit steht der Enthusiasmus, mit dem Frankreichs Militärs die bilateralen Bindungen zur Bundesrepublik pflegen. Als Konrad Adenauer und Charles de Gaulle im Januar 1963 den deutsch-französischen Vertrag unterzeichneten, legten sie regelmäßige Treffen der Wehrminister und Generalstabschefs fest, verordneten »französisch-deutsche Institute für operative Forschung« und dekretierten: »Der Personalaustausch zwischen den Streitkräften wird verstärkt.« Der Kasernenwechsel kann sich laut Vertragstext »auf die zeitweilige Abordnung ganzer Einheiten erstrecken«.
Spätestens seit dem Auszug Frankreichs aus der militärischen Organisation der Nato am 1. Juli 1966 betrachten die Armeeführer in Paris die Zusammenarbeit mit Bonn als zumindest teilweisen Ersatz für die Integration im Bündnis; denn, so meldete die »Welt": »Was die Sicherheit Westeuropas angeht ... stehen die Franzosen der Skepsis der Deutschen keineswegs nach.«
So ist kaum verwunderlich, daß die »deutsch-französische Studiengruppe für militärische Fragen der siebziger Jahre« sich seit einigen Monaten mit genau den Fragen beschäftigt, die derzeit auch im Mittelpunkt des Nato-Interesses stehen: Kanzler Brandt und Präsident Pompidou beauftragten ihre Stabsplaner im Juli, gemeinsam die Konsequenzen einer möglichen Verringerung konventioneller Streitkräfte in Europa zu prüfen, Michel Debré setzte sich in Bonn für regelmäßigere und noch umfassendere Arbeiten dieses Gremiums ein.
In der Bundeshauptstadt hatte man schon im Sommer laut »Stuttgarter Zeitung« mit »allerhöchster Aufmerksamkeit« die »Bemerkungen französischer Regierungsmitglieder über eine verstärkte militärische Zusammenarbeit« als Folge eines eventuellen US-Truppenabzugs registriert. Und die USA ermunterten Bonn zu engeren Kontakten mit Paris, von denen Washington sich eine weitere indirekte Bindung der Franzosen an die Nato verspricht.
So reibungslos wie die Kooperation der Generalstäbler klappt auch die deutsch-französische Zusammenarbeit in der Truppe. Kommentierte Presse-Oberstleutnant Peter Kommer von der Hardthöhe vor dem Debré-Besuch: »Das läuft besser als mit allen anderen.« Und Leutnant Wolfgang Miltner von der 1. Luftlande-Division in Bruchsal findet: »Wovon die Politiker heute noch vielfach träumen, ist bei uns im Kleinen Realität.
Tatsächlich tauschen getreu dem Vertrag jedes Jahr ganze Kompanien wochenlang ihre Unterkünfte, machen Dienst in Verbänden der anderen Seite und rücken meist zum Schluß ihrer Gastspiele mit. den Gastgebern zu gemeinsamen Manövern aus, bei denen dann -- wie in der Nato -- vor allem das Führen integrierter Verbände geübt wird.
Dichter Gegenverkehr herrscht zwischen den Kasernen diesseits und jenseits des Rheins:
* Deutsche Fallschirm- und Gebirgsjäger, Heeresflieger, Panzeraufklärer und sogar Minentaucher übten bei den Franzosen. Seeoffiziere fahren auf französischen Schiffen, ganze Lehrgänge der Heeresoffizierschule in Hannover und der berühmten Kadettenanstalt St. Cyr zogen miteinander ins Manöver. > Deutsche Bataillonskommandeure befehligten in Westerburg und Berchtesgaden, Hessisch-Lichtenau und Regensburg französische motorisierte Dragoner und Husaren, Alpenjäger und »Paras« (Fallschirmjäger).
* Als im Juli bei der Übung »rund um den Watzmann« im Wimbach-Gries ein deutscher Hubschrauber gegen eine Telephonleitung flog, waren von zwölf Absturzopfern acht »Chasseurs Alpins«.
Die Verteidigungsminister sind -- ungeachtet solcher Unfallrisiken mit der Aktivität ihrer Soldaten zufrieden. Michel Debré fühlte sich in Bonn denn auch »ermuntert, den Truppenaustausch noch zu intensivieren. Und Helmut Schmidt verkündete »eine Verbreiterung der Berührungsflächen«.