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Briefe

Dicker Strich
aus DER SPIEGEL 25/1981

Dicker Strich

(Nr. 21/1981, SPIEGEL-Gespräch mit dem SPD-Vorsitzenden Willy Brandt; Nr. 22/ 1981, Rudolf Augstein über Bonn und die sogenannte Nachrüstung)

Als SPD-Mitglied möchte ich mich bei Ihnen, sehr geehrter Herr Augstein, sehr über den informierenden Kommentar zum »Nachrüstungsbeschluß« bedanken. Sie haben endlich einmal ausgesprochen, was jeder vernünftig denkende Mensch in Europa eigentlich auch aussprechen sollte: Keine neuen Atomwaffen mehr in Westeuropa und somit -- hoffentlich -- auch nicht in Osteuropa!

Hannover ANDREAS BEHNKE

Meine Frau (69) und ich (72) sind Ihnen sehr, sehr dankbar. Man kann gar nicht eindringlich genug warnen vor dem verhängnisvollen Weg, den das Gespann Schmidt/Genscher zu unserer »Sicherheit« eingeschlagen hat und der in Wirklichkeit, wie Sie es überzeugend dargelegt haben, die Bundesrepublik Deutschland letzten Endes zu einem Heloten der Vereinigten Staaten von Amerika macht.

Der SPIEGEL wird nach wie vor für uns eine unentbehrliche Lektüre bleiben. Wir schätzen uns glücklich, daß im SPIEGEL ein Rudolf Augstein und nicht ein Jimmy Goldsmith das Sagen hat.

Münster HARTMUT STÖRMER

Auch durch den Kommentar von Rudolf Augstein wird deutlich: Die Manipulation mit unkontrollierbaren Rüstungsdaten ist sinnlos und führt zwangsläufig zu der praktizierten Formel: Vorrüsten erfordert Nachrüsten zur Wiederherstellung des »Gleichgewichts des Schreckens«, das nie erreicht wird, weil die Kontrahenten nicht zu klären vermögen, wer vor- und wer nachrüstet. Jedenfalls ist das Ergebnis: Wettrüsten!

Westerstede (Nieders.) ROLF HORNIG

Herr Augstein hat alle Nägel auf die Köpfe getroffen. Unser Wirtschaftswunder ist wirklich in eine fatale Situation geraten. Die einzige eventuelle Möglichkeit wäre ein dicker Strich durch die Rüstung. Nachdem dies politisch nicht möglich scheint, wird am Ende eine Sondervermögensabgabe erforderlich, der zweite Lastenausgleich, bevor der erste erledigt ist.

Brüning, wo bist Du?!

Altbach (Bad.-Württ.) HANS ZIMMER

Militärs wie Friedrich II, Napoleon, Wellington bis zu Foch und Ludendorff lag der Gedanke an eine Massenvernichtung des gegnerischen Landes fern. Es ist daher nicht angängig, die Protagonisten der gegenwärtigen Vernichtungsdoktrin auch nur entfernt noch als Militärs zu bezeichnen.

Königswinter (Nrdrh.-Westf.) DR. FRITZ MECKENSTOCK

Die Amerikaner konnten sich 1945 in eine heile Welt zurückziehen und möchten dieses auch nach einem dritten Weltkrieg machen. Wir möchten keine strahlengeschützten Flugzeuge S.8 mit US-Touristen zum Sightseeing über dem, was einmal Europa war.

Norderstedt (Schlesw.-Holst.) ERNST WALTER

Ein Herr Noske setzte den Anfang, und ein bitteres Ende wird mit Helmut Schmidt kommen. Meine Achtung und mein Respekt gehört denen in meiner Partei, die sich gegen den Nachrüstungsbeschluß stellen. Bleibt nur zu hoffen, daß es noch mehr werden. Soll Schmidt doch zurücktreten, denn als Sozialdemokrat ist er auch für mich unglaubwürdig geworden.

Kelkheim (Hessen) DIETER FLECKENSTEIN

Diesem Beitrag von Herrn Augstein kann ich nur zustimmen. Bedauerlich ist, daß der Friedensnobelpreisträger Willy Brandt diese Aufrüstungspolitik salonfähig macht.

Düsseldorf FRANZISKA APELT

Um die Erosion innerhalb der SPD aufzuhalten, gibt es meines Erachtens nur eine Chance: Schmidt geht freiwillig als Bürgermeister nach Hamburg (um 1982 dort die Wahlen zu gewinnen), und Willy Brandt macht wieder den Kanzler! Nur er kann verhindern, daß wir den Amerikanern noch tiefer in den Hintern kriechen und es dann ganz finster für uns wird.

Hannover GERHARD PAZYNA

Auch Schmidt sollte wieder anfangen zu rauchen und sich auch keinerlei Beschränkungen auferlegen, was übermäßiges Essen und Trinken angeht, da er sicher sein kann, daß seine Hochrüstungspolitik ihn schneller ins Grab bringen wird als noch so ungesunder Lebenswandel.

Berlin DANIEL HUPPERT S.9

SPD 1972 und 1981: Kanzler Brandt und Kanzler Schmidt, kaum wiederzuerkennen. Schade!

Stockstadt (Bayern) KARL DEPP

Als Brandt nach der Verleihung des Friedensnobelpreises Tränen zeigte, hatte ich große Achtung vor ihm. Als Brandt als Kanzler zurücktrat, war mir, zu diesem Zeitpunkt ging ich noch zur Schule, zum Heulen zu Mute.

Es tut weh, Vorbilder zu verlieren.

Berlin KLAUS STÜNKEL

Respekt vor Ihrem politischen Weitblick, verehrter Herr Augstein. Ihr leidenschaftliches Eintreten gegen den Nato-Doppelbeschluß hat historische Qualität. Die Entscheidung der Bundesregierung auch: Sie könnte sich sehr bald als eine der größten militärischen und politischen Fehlleistungen der neueren Zeit entpuppen. Dem Bumerang, der von der anderen Seite auf uns zukommen könnte, dürfte ein Hauch von Apokalypse anhaften.

Tegernsee (Bayern) MARIO SCHISCHEGG

Krasser Widerspruch Die Zeit, da die SPD die besseren und überzeugenderen weil wahrhaftigeren Argumente hatte, ist lange vorüber. Heute darf ein sozial-liberaler Außenminister ohne Scham und ohne Widerspruch »pazifistische Strömungen« in unserem Lande attackieren. Heute kann ein sozialdemokratischer Bundeskanzler mit unüberbietbarer Arroganz den Abgeordneten des deutschen Bundestages den General Haig als einen »Mann des Friedens« präsentieren, ohne daß ein Abgeordneter protestiert. Sei es auch »nur« wegen Ghandi oder King.

Ich kündige Ihnen die Gefolgschaft, lieber Willy Brandt, weil Sie -- für mich immer der engagierte Kämpfer für Versöhnung, Koexistenz, Demokratie -- sich heute zum Interpreten einer Politik machen, die Chauvinismus neuamerikanischer Prägung propagiert und durchsetzt.

Ich folge Ihnen nicht länger, weil es mir unerträglich ist, demagogische Rechtfertigungsrhetorik anhören zu müssen, die im krassen Widerspruch zu S.9 den Zielen steht, für die Sozialdemokraten angetreten sind und für die wir ihnen unsere Stimme gaben: Entspannung und Abrüstung.

Das Maß ist voll. Die devote Akklamation des neuen amerikanischen Führungsanspruchs entspringt gespenstischer teutonischer Vergangenheit. Mit neu erblühter Irrationalität strebt Kraftmichel zur Macht. Koste es, was es wolle. Und sei es auch unser aller Leben.

Lieber Willy Brandt, diesen Weg werden Sie ohne mich gehen. Sie kennen mich nicht. Sie können die Achseln zucken. Aber es werden immer mehr, die Sie verlieren. Und zwar an die, die Sie offensichtlich noch mehr fürchten als die Kommunisten: die Alternativen. Sie, die Sozialdemokraten, lassen uns keinen anderen Weg in eine Zukunft, in der ohne Gewalt für den Frieden gekämpft wird, für die Erhaltung der verbliebenen Umwelt, für eine menschliche Gesellschaft, die wir unseren Kindern guten Gewissens hinterlassen können.

Hannover JOBST VON NORDHEIM

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