Deutschland Die Ampelmännchen
Beim ersten Rendezvous sollte man pünktlich sein. Guido Westerwelle wartet schon seit neun Minuten im Lichthof der Bundespressekonferenz. Er fährt mit seiner rechten Hand in die Hosentasche und wieder raus, immer wieder. Dann sucht er seinen Anzug nach Flusen ab, spitzt die Finger zum Zupfen, findet aber nichts. Endlich flüstert ihm ein Helfer zwei Worte ins Ohr: »Er kommt.«
Frank-Walter Steinmeier soll an diesem Freitag die erste Biografie über Guido Westerwelle vorstellen. Zu den klassischen Disziplinen des Politikerauftritts gesellt sich immer häufiger die Buchvorstellung. Je mehr der politische Betrieb zur Unterhaltungsindustrie wird, desto stärker wächst das Bedürfnis nach neuen Events.
»Wo geht's hin?«, fragt Steinmeier. Es klingt wie: Zu dir oder zu mir? Es ist Freitag, 12.09 Uhr, und Frank-Walter Steinmeier übt die Kunst des politischen Balzens. Es ist ein Experiment, gerade für ihn, der bislang für alles Mögliche bekannt war, aber nicht für seinen Charme.
»Hier entlang«, sagt Westerwelle, er zeigt in den Saal. »Nach Ihnen.« Sie kämpfen sich vor in die erste Reihe, vorbei an den Kameras und Fotografen, der Kanzlerkandidat einer schwächelnden Volkspartei und der Chef einer wachsenden Steuersenkungspartei. Ein aktueller und ein ehemaliger Kanzlerkandidat. Ein Außenminister und ein Möchtegernaußenminister. Ein merkwürdiges Paar.
Sie setzen sich. Während die Fotografen fotografieren, eröffnet Steinmeier den öffentlichen Flirt, er lehnt sich nach links. »Ich habe aus diesem Buch gelernt, dass Ihre Eltern aus dem Lippischen sind«, flüstert er in Westerwelles Ohr. Steinmeier stammt selbst aus dem Lippischen. »Deshalb kenne ich auch all ihre Jugendgeschichten.« Westerwelle lacht, die Blitzlichter blitzen.
Es hat etwas Bemühtes, auch etwas Unwürdiges, aber Steinmeier ist von nun an auf Westerwelles Zuneigung angewiesen, er braucht ihn, um vom Vizekanzler zum Kanzler zu wachsen. Sollte es nach der Wahl am 27. September nicht für eine schwarz-gelbe Koalition reichen, wird Steinmeier versuchen, eine Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP zu schmieden. Im Herbst 2005 hat Westerwelle ein Ampelangebot von Gerhard Schröder noch ausgeschlagen. Und diesmal? Die Frage, ob Westerwelle Steinmeier erhören würde, ist eine der großen Fragen dieses Wahljahres.
Man sollte beim ersten Rendezvous eigentlich nicht über das Vorleben sprechen, aber in Westerwelles Biografie taucht »Steinmeier, Frank-Walter« nur an fünf Stellen auf, auf den Seiten 9, 13, 258, 261 und 268. Das ist weniger als »Schultz-Tornau, Joachim« oder als ein gewisser »Goebel, Hans-Rolf« und weit weniger als »Möllemann, Jürgen« (circa 50-mal). Die Zahlen zeigen, welche Rolle Steinmeier bisher für Leben und Karriere des Guido Westerwelle gespielt hat. Der Kandidat möchte, dass sich das bald ändert.
Deshalb geht er nun ans Rednerpult und umgarnt Westerwelle mit Worten. Er macht das geschickt, witzig, sympathisch, genau wie man es beim ersten Mal machen sollte. Er kann eben doch charmant sein, er verschenkt Komplimente wie der Staat Milliarden, nennt Westerwelle einen »Vollprofi«, einen »gewieften Taktiker«, er sei ernster geworden und werde ernster genommen.
Bescheidene Menschen wären jetzt vermutlich errötet, aber Westerwelle sitzt einfach da und genießt. Als Steinmeier sagt, dass er ernster geworden sei, klemmt Westerwelle seinen Handrücken unter das Kinn, wie eine Rodin-Skulptur, und stellt seine Ernsthaftigkeit aus.
Die deutsche Politik erinnert in dieser Stunde an die Sendung »Nur die Liebe zählt«. Dort wird auch in jeder Folge jemand umworben, und am Ende muss er sich entscheiden, ob er dem Werbenden eine Chance geben will oder nicht. Es fehlt eigentlich nur Kai Pflaume.
Jetzt tritt Westerwelle ans Mikrofon, reibt sich die Hände, grinst genüsslich. Es ist die Woche, in der die FDP in einer einzelnen Umfrage zum ersten Mal bei 18 Prozent liegt, so wie Möllemann es einst ausgerufen hatte.
Westerwelle hat ein anderes Motiv für diesen Flirt. Steinmeier interessiert ihn nur indirekt, er braucht ihn, um jene Dame eifersüchtig zu machen, der sein eigentliches Interesse gilt. Wenn Angela Merkel sieht, wie gut sich Westerwelle mit ihrem Konkurrenten versteht, dann wird sie sich klarer zu ihm bekennen. Das ist die Hoffnung. Deshalb flirtet er nicht heimlich, sondern öffentlich, nicht im Wohnzimmer, sondern auf großer Bühne. Es ist so banal wie in schwierigen Beziehungen.
Am Ende beantwortet Westerwelle die Frage, ob die Balz etwas bewegt hat, mit einem freundlichen: eher nein. »Ich will eine andere Regierung, eine bürgerliche Regierung«, sagt er. Daran ändere auch keine Buchvorstellung was.
Steinmeier schaut für einen kurzen Moment etwas traurig drein, aber dann fällt ihm ein, dass man nicht zu früh aufgeben darf, dass das Wahljahr lang ist und dass es sich in der Politik nicht anders verhält als im Leben: Westerwelle mag weiter von der Liebe seines Lebens träumen. Aber am Ende wird er nehmen, was er bekommen kann.
MARKUS FELDENKIRCHEN