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USA Die Anständigsten

Washington soll wieder Weltpolizist spielen -- das wünschen viele Bürger, das will der Präsident.
aus DER SPIEGEL 23/1979

Amerikanische Intervention im afghanischen Bürgerkrieg -- solche Überlegungen meldete »Newsweek« vorletzte Woche aus Washington.

Entsendung von »ein paar tausend amerikanischen Soldaten« auf die Sinai-Halbinsel zur Überwachung des ägyptisch-israelischen Friedens -- solche Überlegungen meldete die »Washington Post« Mitte vorigen Monats aus Washington.

»Die USA sind bereit, ihre vitalen Interessen wahrzunehmen, mit jedweden Mitteln, einschließlich der militärischen« -- das meldete keine Zeitung, das sagte der amerikanische Verteidigungsminister Brown im April, und es klang nicht mal unwahrscheinlich.

Indirekt hatte Amerika zur Wahrung seiner Interessen kurz zuvor schon in Nahost interveniert: Als in den Bergschluchten des Jemen die feindlichen Stämme des prosowjetischen Südens und des prowestlichen Nordens übereinander herfielen, entschloß sich, Anfang März, die Regierung Carter zur Tat.

Unter Berufung auf ein Gesetz, das es dem Präsidenten erlaubt, ohne Genehmigung durch den Kongreß Waffen in Krisengebiete zu liefern, ließ Jimmy Carter umgehend Kriegsgerät im Wert von 390 Millionen Dollar in den Nordjemen verfrachten und beorderte den Flugzeugträger »Constellation« mitsamt drei Begleitschiffen ins Arabische Meer.

Nach einer langen Phase vorsichtiger Zurückhaltung war dies der erste größere außenpolitische Kraftakt der Amerikaner seit dem Ende des Vietnamkrieges, gedacht vornehmlich als Demonstration für die arabische Welt, die über die amerikanische Geburtshilfe beim israelisch-ägyptischen Separatfrieden irritiert und seit dem Schah-Sturz in ihrem Glauben an die Zuverlässigkeit der USA verunsichert ist.

Doch in der arabischen Welt fiel das Schaustück durch. »Peinlich und katastrophal« nannte der stellvertretende Chefredakteur der ägyptischen Zeitung »Al-Ahram« das amerikanische Vorgehen. Ein vorläufiger Ausgleich zwischen Nord- und Südjemen kam schließlich durch Vermittlung der Arabischen Liga zustande.

Das amerikanische Publikum aber applaudierte der Aktivität des Präsidenten. Carter habe endlich angefangen, schrieb »Time«, die »Sache mit der Weltmacht zu kapieren«. Beifall kam selbst von sonst Carter-kritischen, interventionsfeindlichen Liberalen.

»Einstimmig« werden das »amerikanische Volk und die Welt« Carter nach seiner Jemen-Aktion als »einfallsreichen Initiator« zu schätzen wissen, schrieb der Publizist David Broder.

Daß ein mißglückter diplomatischer Coup in den USA als Erfolg gefeiert wurde, kennzeichnet einen tiefgehenden Stimmungsumschwung in den USA.

Nach einer von der Vietnam-Erfahrung geprägten Phase des Neo-Isolationismus und nach einer Kette von Ereignissen, die die Amerikaner als Demütigungen empfanden -- der Sturz des Schah, die Aktivität Moskaus in Afrika und Mittelost -, regt sich in den USA das Bedürfnis nach einer selbstbewußteren Politik, die das Eigeninteresse der Nation wieder aktiver wahrnimmt.

Mit anderen Worten: Die Amerikaner wollen wieder Nummer eins sein -- wenn es sein muß, auch mit Waffengewalt. Die vor Jahren nur noch geringe Bereitschaft, amerikanische Truppen in Krisengebiete zu schicken, ist hochgeschnellt: 54 Prozent der Befragten würden nach einer Harris-Umfrage eine militärische Intervention der USA im Fall eines sowjetischen Angriffs auf Westeuropa gutheißen, 48 Prozent wären bereit, West-Berlin mit US-Truppen zu verteidigen -- nur 34 Prozent waren es vier Jahre zuvor.

Entsprechend ist schließlich die Zahl derjenigen Amerikaner gestiegen, die mehr Geld für die Rüstung ausgeben wollen -- auf 32 Prozent nach einer Gallup-Umfrage vom Anfang dieses Jahres, nach einem Tief von zwölf Prozent im Jahr 1974. »No more »No more Vietnams'« (Nicht mehr den Ruf: Keine Vietnams mehr) hieß eine Überschrift in »Time«.

Der Stimmungsumschwung signalisiert dennoch kaum den Anbruch eines neuen aggressiven amerikanischen Imperialismus. Das neue Klima ist auch entfernt von dem Machthunger, der die Amerikaner um die Jahrhundertwende dazu trieb, Kuba oder Hawaii zu besetzen. Ihnen fehlt schließlich weitgehend der politische Missionsdrang, mit dem sie sich im 20. Jahrhundert aufmachten, die »Welt für die Demokratie zu retten«.

Was sich da regt, ist vielmehr das Selbstbewußtsein einer Großmacht, die meint, daß sie zu lange abseits gestanden habe und sich solche Enthaltsamkeit nicht länger leisten dürfe.

Stark gefärbt aber ist die neue amerikanische Haltung auch von Ressentiments, vom Aufbegehren gegen erlittene Schmach, sie enthält, so der Kolumnist Richard Reevers in »Esquire«, ein Element »gefährlicher Frustration«.

In einer Gallup-Umfrage für den »Council on Foreign Relations« vom Frühjahr fand eine Mehrheit der Befragten, daß Amerika in der Welt »heute weniger mächtig und weniger respektiert« sei als vor zehn Jahren.

Eine Mehrheit meinte auch, daß die Sowjet-Union die Vereinigten Staaten an militärischer Macht bereits überflügelt habe, und das wiederum wollen sie nicht mehr dulden: Nachdem sich die meisten Amerikaner bis vor kurzem noch mit militärischer Parität zwischen den beiden Großen zufriedengegeben hatten, will nach einer noch unveröffentlichten Umfrage nunmehr eine klare Majorität von 58 Prozent die USA den Russen an nuklearem Vernichtungspotential überlegen sehen.

Angesichts solcher Tendenzen überkam Carters Meinungsforscher Patrick Caddell das beklemmende Gefühl eines Deja vu: »Es ist wie in den frühen 60er Jahren. Die Eliten marschieren voran. Wir werden uns noch in einen fürchterlichen Schlamassel hineinreden.«

Auch die Regierung spürt offensichtlich den Wunsch des Volkes nach einer neuen Politik der Stärke. So wird in jüngster Zeit das Argument hochgespielt, daß das kurz vor der Unterzeichnung stehende Salt-II-Abkommen den Amerikanern die Entwicklung wichtiger neuer Waffensysteme -- etwa der MX-Rakete -- durchaus erlaube.

Schon jetzt zeichnet sich ein mildes Klima für den Präsidentschaftswahlkampf 1980 ab. Auf seiner ersten Veranstaltung nach der Verkündung seiner Kandidatur Anfang Mai erklärte der republikanische Bewerber George Bush unter tosendem Beifall: »Ich habe es satt, mich für dieses Land zu entschuldigen. Wir sind die Fairsten, wir sind die Anständigsten, wir waren die Großzügigsten. Wir sollten unseren Kopf hochtragen.«

Dazu soll unter anderem der Ausbau der »Global Deployment Troups« dienen: Einheiten in der Stärke von 100 000 Mann, die innerhalb von 48 Stunden in Krisengebieten eingreifen könnten -- Ausdruck der wiedererwachten Bereitschaft der USA, Weltpolizist zu spielen.

Sehr viel offener als beim arabischen Öl-Embargo von 1973 wird in Regierungskreisen jetzt über Zweckmäßigkeit und Ausführbarkeit einer amerikanischen Nahost-Intervention im Fall einer erneuten Gefährdung der westlichen Ölversorgung diskutiert.

Noch ist die Planung für einen solchen Ernstfall im Nahen Osten für die Pentagon-Strategen laut US-Zeitschrift »Fortune« freilich ein »Alptraum«.

Mit ihrer Eingreiftruppe könnten die Amerikaner zwar Terroristen in Schach halten. Für eine Besetzung weitflächiger arabischer Gebiete mit der Gefahr, einen großen konventionellen Krieg führen zu müssen, aber ist die US-Armee weder logistisch noch personell vorbereitet -- von den unabsehbaren moralischen Auswirkungen einer solchen Aktion nicht zu reden.

Ein hoher Beamter des Pentagon: »Der Persische Golf könnte unser Kuba werden.«

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