Die Archive des Bösen
Es ist schwer, mit Marwan K. über schöne Autos zu sprechen. Ein goldgrüner Rolls-Royce Silver Wrath II mit Armaturen aus Tropenholz erinnert ihn nur an eine Woche im Gefängnis, ein schwarzer Porsche 911 GT brachte ihm Stockhiebe auf die Fußsohlen. Ferrari, Bentley, Lamborghini, Maserati, Mercedes, BMW - in der Welt Marwan K.s verbinden sie sich nicht mit heiteren Ausfahrten. Er muss mit ihnen zu seinen Alpträumen reisen, wieder und wieder, und jedes Mal sitzt Udai am Steuer, Saddams unberechenbarer Sohn, ein Mensch wie ein Gewitter.
Als Marwan K. 1992 begann, Udais sagenhaften Fuhrpark zu betreuen, standen in drei verschiedenen Palastgaragen schon 220 Autos, allein 100 Rolls-Royce, 70 davon Kriegsbeute aus dem Kuweit-Krieg, darunter viele Corniche-Modelle zum Stückpreis von 340 000 Dollar. In der Zentralgarage parkten daneben Ferrari, Aston Martin, 600er Mercedes-Limousinen, die nach Dufthölzern und Leder rochen.
Fünf-, sechsmal täglich kam Udai persönlich in die Garage. Ständig rief er an. Veränderte Pläne. Machte die Leute verrückt. Verlangte, am Dienstag, eine Stunde vor Abfahrt, statt des roten Ferrari den blauen, den er seit Monaten nicht mehr gefahren hatte. Und er schäumte nicht, wenn dieser Wunsch nicht zu erfüllen war. Er strafte, kühl, präzise.
Er strafte, wenn die Scheiben der Autos nicht durchsichtig waren wie Luft, strafte, wenn ein Auto »ein Geräusch« machte, das ihm nicht gefiel, strafte, wenn er auf der Rückbank einen Faden entdeckte, unter dem Sitz ein Steinchen, einen Fetzen Papier. Ließ dann, mit kurzem Befehl, Marwan K., die fünf Fuhrparkmechaniker und die fünf Fahrer antreten. Sagte ihnen, dass er unzufrieden sei. Dass sie sich, zur Strafe, die Haare abrasieren müssten. Dann hatten sie Glück.
Einmal, vor nun drei Jahren, als ein Wagen eine Panne hatte, wurde Marwan K. als der Schuldige ausgemacht. Udai sagte nur: »Geh ins Gefängnis und lass dich höflich machen.« Und Marwan K. ging ins Gefängnis. So total war die Macht in Saddams Land, dass die Bestraften sich zur eigenen Bestrafung meldeten. So totalitär war das Regime, dass auch diejenigen, die Saddam und seinen Söhnen sehr nahe und zu Diensten waren, nicht sicher sein konnten. Sie mussten jederzeit damit rechnen, gequält, gefoltert und verstoßen zu werden.
Wer Leibarzt bei Saddam war, wie Abd al-Sattar al-Basri, der dem Diktator über zehn Jahre lang als Orthopäde und Fitnesstrainer beim Kampf gegen Rückenschmerzen zur Seite stand, musste mit ansehen, wie der Diktator einen in Ungnade gefallenen Mann von seinen hungrigen Doggen zerreißen ließ, und musste erleben, dass er später selbst in Verliesen landete und zwölf Jahre lang gequält wurde.
Wer Frauenbeschaffer bei Udai war, wie Ali Sahar, der dem Saddam-Sohn jeden Tag Frauen zuführte, die so aussehen mussten wie die Frauen, die Udai im Internet entdeckt hatte, musste den Geschmack des Frauenschrecks treffen - oder erleben, dass er verstoßen wurde und als stummer Zeuge ohne Zunge weiterleben musste. Vier Monate vor dem Ende des Regimes ereilte Ali Sahar dieses Schicksal.
Und jetzt, nach den ersten Wochen der Freiheit, beginnen die Diener der Despoten zu berichten, vorsichtig noch, aus Angst vor Rache, aber ihre Erzählungen fügen sich zu einem Gemälde des Grauens. Nicht nur die Handlanger reden, auch die Opfer sprechen, die Überlebenden sowieso, aber auch die Toten in den Massengräbern geben Zeugnis von den 24 Jahren des Saddam-Regimes, das in den Geschichtsbüchern mit den Schrecken von Hitler, Stalin und Pol Pot verglichen werden wird.
Wie jeder ordentliche Diktator hat Saddam seine Folterknechte Buch führen lassen über das Handwerk des Terrors. Und auch diese Papiere des Bösen beginnen nun zu sprechen. Kilometer von Akten durchziehen das Land, gestapelt in Kellern, Hallen und Büros, inzwischen in Unordnung gebracht, im Rausch der Befreiung durchwühlt von den Opfern, die nach Beweisen ihrer Leiden oder nach Spuren ihrer vermissten Angehörigen suchen.
So wie die DDR-Bürger die Archive der Staatssicherheit stürmten, um die Akten ihrer Unterdrückung in die Finger zu bekommen, so greifen die Iraker nach ihrer abgelegten Vergangenheit und suchen sie an Orten wie jener Bagdader Villa, nicht weit von den Ufern des Tigris entfernt, im Stadtteil Kadhimija. In ihrem Erdgeschoss lagern Tausende Dokumente. Sie liegen auf dem Marmorboden, türmen sich an Wänden, quellen aus Schubladen und Schränken. Die Akten stammen aus einem Archiv der Geheimdienste. Zum Schutz vor amerikanischen Bomben wurden sie kurz vor dem Beginn des Kriegs von Saddams Helfern in ein Haus im Stadtteil Mansur versteckt. Von dort schafften die Freiwilligen des »Komitees für befreite Gefangene« die Dokumente in diese Villa am Tigris.
Vier Männer sitzen auf dem Boden und versuchen Ordnung in das Chaos zu bringen. Sie wissen, es gibt schwarze Akten, rote Akten, grüne Akten. Schwarz war die Farbe der schiitischen Gefangenen, rot die der angeblichen Kommunisten, grün die der Kurden. Auf vielen Ordnern steht ein Wort, die Buchstaben sind schwarz: Exekution.
Akten liegen auch im Hof des zerbombten Hauptquartiers der Baath-Partei in Basra, im Polizeigebäude in Subeir, in Mossul, Nassirija und Kirkuk. Im Hauptquartier der Geheimpolizei in Bagdad entdeckten Fotografen einen alten Reissack, eilig voll gestopft mit Pässen, Fotografien, Negativen und Computerdisketten. Und es nimmt kein Ende. Überall quillt Papier aus den Kellern der Geheimdienste an die Oberfläche der Gesellschaft. Ahmed Tschalabi, der Chef der Oppositionsvereinigung »Irakischer Nationalkongress«, verwahrt 25 Tonnen Dokumente, und auch das »Iraq Research and Documentation Project« nennt Zigtausende Blätter sein Eigen. Die Aktenberge enthalten den Rohstoff zukünftiger Anklageschriften.
Eine Akte, herausgezogen aus einem meterhohen Stapel. Oben auf der Seite der Adler, das Wappentier des Irak, darunter ist zu lesen:
»Geheim und eilig.
An die Direktion 45.
Wir haben den Verbrecher Dschassim Mohammed gefasst, ein Mitglied der verbrecherischen Daawa-Partei. Er wurde dem Revolutionsgericht vorgeführt, und folgendes Urteil ist ergangen: Er soll bis zum Tode gehängt werden. Alle seine uns bekannten und unbekannten Güter werden beschlagnahmt.«
Das ist alles. Vier ganze Sätze. Es ist nicht die Rede von Beweisen. Es gibt keinen Verteidiger. Nicht einmal der Name des Richters, der das Todesurteil verfügte.
Eine andere Akte.
Das Büro von Saddam Hussein ordnet die Hinrichtung von 28 Menschen an. Ihre Namen sind sorgfältig aufgelistet, in Tabellenform.
Nicht nur Opfergeschichten erzählen die Akten des Grauens, sondern sie geben auch Einblick in die Logik und die Logistik des Staatsterrors. Wenn es Saddam gefiel, lösten sich Dörfer in Rauch auf:
»Nach einem Schreiben des Kommandos (...) ist das Folgende beschlossen worden: Die verbotenen Gebiete müssen eingeebnet und verbrannt werden. Die Geschäftsstellen in Arbil und Machmur sind damit beauftragt, den obigen Befehl unter der Aufsicht des fünften Korps auszuführen« (aus einem Schreiben an alle Direktorate der Geheimdienste).
Wenn es Saddam gefiel, verloren Lügner ihr Leben:
»Mit dem Tod zu bestrafen ist jedes Mitglied der Baath-Partei, das verschweigt, früher Mitglied anderer Parteien gewesen zu sein« (aus einem Dekret des Revolutionären Kommandorats).
Wenn es Saddam gefiel, büßten Eltern für ihre Kinder:
»Die Eltern des Flüchtigen Hamid Abd al-Karim Suleiman Scheichan, Einwohner von Dahuk, Stadtteil Bruschki, wurden deportiert, nachdem alle offiziellen Dokumente konfisziert wurden. Die Namen der Eltern: Abd al-Karim Suleiman al-Barwari, geboren 1904, Rentner. Fatima Hamid Muran, geboren 1918« (aus einem Schreiben des präsidialen Sekretariats).
Die Menschen im Irak waren Saddams Eigentum. Keine Religion, keine Weltanschauung, kein Programm hielt den Staat zusammen, sondern die Angst schweißte die Nation zusammen, die Angst vor Saddam, vor seinen Söhnen und vor allem vor dem Nachbarn, der ein Spitzel Saddams sein konnte.
Insgesamt gehörten 40 000 Angestellte und Hunderttausende Mitarbeiter zum Geheimdienstapparat Saddam Husseins. Hinzu kamen zwei, vielleicht auch vier Millionen Informanten und die 1,5 Millionen Mitglieder der Baath-Partei. Standen vier Iraker zusammen, mussten sie davon ausgehen, dass einer von ihnen ein Denunziant ist. Die Berichte der Informanten wurden niedergeschrieben, abgeheftet und füllen Zigtausende Ordner.
Seit Saddam 1964 den Geheimdienst der Baath-Partei aufgebaut und sich seit 1979 an die Spitze des Staates manövriert hatte, schuf er ein Geflecht von Geheimdiensten, eine Matrix der Angst, bei deren Schöpfung er sich die Erfahrungen von Hitlers und Stalins Terrordiensten zu Nutze machte. Seine Führungsoffiziere schickte er zur Ausbildung in den Ostblock, am liebsten in die DDR. Die in den Archiven der Geheimdienste gefundenen Papiere zeigen ein Netzwerk sich gegenseitig kontrollierender Dienste und Spitzel.
Das Alltagsleben im Irak überwachten die 8000 Mitglieder des Allgemeinen Sicherheitsdienstes des »Amn al-Amm« mit Hilfe von Zehntausenden Informanten, die in jeder Stadt, jedem Bezirk, jedem Dorf ihre Augen und Ohren offen hielten. Die Spione des Dienstes hörten Telefone ab, beschatteten verdächtige Familien und auch jeden Ausländer, der den Irak betrat.
Die Funktionäre der Baath-Partei, die ausländischen Diplomaten im Irak und die irakischen Diplomaten im Ausland wurden vom Allgemeinen Nachrichtendienst, dem Muchabarat, bespitzelt. Der Dienst besaß bis zu 8000 Mitglieder und zerfiel in zwei Abteilungen. Neben ihrer Spitzelarbeit in der Partei unterdrückte und terrorisierte die Inlandsabteilung irakische Oppositionsgruppen und betrieb Gegenspionage. Die Auslandsabteilung, die irakische CIA, unterstützte terroristische Vereinigungen und zwang irakische Exilanten, für Saddam zu spionieren. Mordanschläge im Ausland, egal, ob gegen Zivilisten oder feindliche Spione, fielen in den Zuständigkeitsbereich der gefürchteten Abteilung 14.
Kontrolliert wurden alle Geheimdienste von den Mitgliedern des Sonder-Sicherheitsdienstes, dem »Amn al-Chass«, den Saddams Sohn Kussei befehligte. Seine Mitglieder, rekrutiert aus Stämmen, die ihre Loyalität zu Saddam viele Male unter Beweis gestellt hatten, überwachten den Muchabarat, den Allgemeinen Sicherheitsdienst und die Geheimdienste des Militärs. Ihnen vertraute Saddam auch die Kontrolle über die geheime Militärindustrie des Irak an und die Planung der Feldzüge gegen die Kurden und Schiiten. Die Loyalität des Sonder-Sicherheitsdienstes sicherte eine interne Spitzeltruppe, die ausschließlich die Agenten des Dienstes aushorchte. Verräter wurden dem »Büro des Präsidenten« gemeldet.
Saddams Staat war auf Blut- und Glaubensbande gebaut. Die Spione und Folterer der Geheimdienste waren überwiegend Sunniten, wie Saddam selbst. Die Leiter der Geheimdienste stammten häufig aus dem Beidschat-Clan, der Saddam besonders ergeben war, oder aus der Gegend von Tikrit, dem Ort, in dem Saddam aufgewachsen war. Die wichtigsten Positionen blieben Mitgliedern seiner Familie vorbehalten.
Dokumente, gefunden in den Trümmern des Baath-Partei-Hauptquartiers, belegen, dass Saddam Hussein Kooperation und Hilfe reichlich belohnte. Er zahlte vertrauenswürdigen Stammesfürsten 17-mal im Jahr einen Bonus von fünf Millionen Dinar, etwa 1700 Euro. Leiter eines Parteibezirks erhielten 100 000 Dinar. Besonders loyale Mitglieder der Partei erhielten an Feiertagen bis zu fünf Millionen Dinar.
Soldaten, die dem Staat einen Deserteur lieferten, kassierten 2,5 Millionen Dinar. Erzwang ein Folterer ein Geständnis, wurde er um 100 000 Dinar reicher. Ein angeblicher Staatsfeind war nicht so einträglich, er brachte nur 25 000 Dinar. Es gab so viele Feinde und Verdächtige im Land Saddams. Niemand war sicher. Nicht einmal Neugeborene.
In regelmäßigen Abständen verfassten Informanten der Geheimdienste Listen mit den Kleinkindern ihrer Provinz. Die Listen trugen den Namen des Kindes, den Namen des Vaters und einen Vermerk zur politischen Vergangenheit des Vaters. Galt der Vater als politisch unzuverlässig, weil er Kurde war, Schiit oder kein Mitglied der Baath-Partei, galt dieses Urteil auch für das Baby.
Spätestens gegen Ende der Schulausbildung befasste sich der Staat ein zweites Mal mit jedem Jugendlichen. Es war zu ermitteln, ob das Kind zu einem Feind herangewachsen war. Um dieses Ziel zu erreichen, betrachtete der Staat den Jugendlichen selbst und das soziale Gefüge, das ihn trug. Das wichtigste Instrument dieser Operation war der Muchtar, der Dorfvorsteher, der Blockwart im System Saddam.
Er hatte Auskunft zu geben über die politische Ausrichtung einzelner Familienangehöriger, über mögliche Verhaftungen entfernter Verwandter, über die politische Ausrichtung der Freunde der Familie. Er hatte zu wissen, ob Freunde der Familie ins Ausland geflohen sind, ob sie Kontakt zu Staatsfeinden pflegen oder ob sie Umgang mit Personen haben, die sich dieser Kontakte schuldig gemacht haben.
Der Muchtar schickte seinen Bericht an die zuständige Behörde, oft war dies das »Büro für Jugend und Studenten« der Baath-Partei. Auch die Partei befragte ihre Akten, ihre Informanten und füllte ein Formular aus, das den Erkenntnisprozess standardisieren sollte.
16 Punkte finden sich auf diesem Blatt Papier. Unter anderem wird ein Urteil über die politische Orientierung des Jugendlichen abgegeben. Erfragt wird der Beitrag der Familie zum Iran-Irak-Krieg und ebenfalls die politische Reputation des Jugendlichen und die seiner Familie. Weit unten auf der Seite, als vorletzter Punkt, steht: Zensuren in der Schule.
Schließlich fällte die Partei ihr Urteil; war es positiv, konnte der Jugendliche seine Berufsausbildung oder ein Studium beginnen.
Wer in seinem Beruf arbeiten wollte, der musste sich nicht nur prüfen lassen - er musste sich auch zu Saddam bekennen. Eine eidesstattliche Erklärung war zu unterschreiben, nach einer Vorladung, in einem Büro des Staates. Die Erklärung trug den Briefkopf des Geheimdienstes, dann folgte der Satz:
»Ich, der Unterzeichnende, kam in das Hauptquartier des Geheimdienstes und versichere hiermit, alle Informationen weiterzugeben, die die Sicherheit der Revolution und des Regimes gefährden, andernfalls werde ich die gesetzlichen Konsequenzen tragen. Ich unterschreibe diese Erklärung freiwillig.«
Dann erwartete der Geheimdienst einen ersten Bericht. Wer vom System in Ruhe gelassen werden wollte, schickte belanglose Berichte über belanglose Sitzungen. Wer Karriere machen wollte, brachte dem Diktator ein Menschenopfer:
»Hiermit melde ich, dass während der Hochzeitsfeier meiner Tochter mein Onkel Haschim Kadir aufrührerische Reden hielt, die den Irak und unseren geliebten Präsidenten beleidigten« (aus dem Bericht eines Informanten).
Das Ergebnis der allgegenwärtigen Denunziation war eine Gesellschaft, in der Lehrer Viertklässler fragten, ob ihre Eltern schlecht über den Irak reden, in der Fernsehsendungen Väter feierten, die ihre Söhne denunziert hatten, in der Töchtern eine Arbeitsstelle versprochen wurde, wenn sie ihren Vater einen Feind des Staates nannten.
Zwischen Folterbefehlen und Todesurteilen finden sich in den Archiven des Grauens immer wieder Schreiben, die zeigen, dass Saddam Hussein nicht nur sein Volk belauschte wie ein arabischer Big Brother, sondern dass er seine Ohren auch nach Westen richtete - und dass seine Agenten ihre Fühler und Finger besonders nach Deutschland ausstreckten.
Saddams Schnüffler interessierten sich für das Außenministerium, den Bundesnachrichtendienst, aber sie spionierten - wie die Zielkartei in der Geheimdienstzentrale zeigt - auch den Frankfurter Flughafen und den Hamburger Hafen aus. Die SPD-Politiker Peter Glotz und Christoph Zöpel wurden als Zielpersonen unter den Nummern GWPA001P008 und P009 geführt - gleich neben dem Vorsitzenden der Gesellschaft für Auslandskunde, Horst Mahr, der die Nummer P007 erhalten hatte.
In einem Bericht des Geheimdienstes Muchabarat über die Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 2002 ist zu lesen, »dass der deutsche Verteidigungsminister in Gegenwart des amerikanischen Vertreters gegen den Kriegskurs der USA geredet« habe.
Und der damalige deutsche Verteidigungsminister Rudolf Scharping habe gesagt: »Es ist ein Fehler, gegen andere Länder Krieg zu führen, außer gegen Afghanistan, da darf man das.«
Die Spione des Mucharabat arbeiteten unter anderem in Schweden, Griechenland und Spanien. Die Europäische Union in Brüssel steht ebenso auf einer Liste der Zielobjekte wie der belgische Geheimdienst. In Frankreich standen Unternehmen gleich reihenweise auf der Überwachungsliste, ebenso wie der französische Verein zur Hilfe irakischer Kinder.
Saddam versuchte, die divergierenden Interessen der westlichen Staaten auszunutzen, pflegte die Kontakte zur deutschen Industrie (siehe Seite 146), lockte den französischen Ölmulti Total-Fina-Elf und das russische Konsortium Lukoil mit Kooperationsverträgen, versprach den Chinesen Telekommunikationsaufträge und wollte selbst die CIA instrumentalisieren.
Ausführlich beschäftigte Saddams Geheimdienstbürokraten ein Treffen zwischen irakischen Agenten und der CIA im Jahre 2000. Zu Beginn planten die Iraker, das Treffen, das als Konferenz getarnt sein sollte, in Frankfurt, Paris oder Genf stattfinden zu lassen. Das Treffen sollte zwanglos sein, eine Tagesordnung war nicht vorgesehen. Die Amerikaner hatten allerdings schon angemerkt, dass sie gern über die Angriffe auf ihre Botschaften im Nahen Osten reden wollten und über die Massenvernichtungswaffen des Irak. Dagegen hatten die Iraker keine Einwände, denn ein zweites Schreiben beschäftigt sich ausschließlich mit dem Ort des Treffens. Nun sollte es eine Stadt in Amerika sein, nicht mehr Frankfurt, Paris oder Genf. Den irakischen Planern war die Gefahr zu groß, dass sich in einem Drittland »zionistische Spione« Zugang zu dem Treffen verschaffen.
Das Weiße Haus in Washington hatten Saddams Schergen unter der Nummer USPA000E003 im Visier. Bespitzelt werden sollten auch FBI, CIA und Pentagon - zudem finden sich auf der Zielliste 40 Namen von Prominenten, etwa der des ehemaligen republikanischen Präsidentschaftskandidaten Robert Dole.
Beziehungen zu westlichen Ländern wusste Saddam Hussein immer wieder zu nutzen, um seine Herrschaft über den Irak zu sichern und auszubauen. Die Opfer seines Terrors finden sich heute in fast jeder Straße, in fast jeder Familie. Und immer noch senken sie ihre Stimmen, flüstern und sprechen über den Mann, der ihre Leben überschattete, im Präsens.
Viele von denen, die Saddam immer noch fürchten, haben gute Gründe. Sie haben die Methoden dieses Mannes am eigenen Leib erfahren, sie erzählen Geschichten, die sich decken mit der von Madschid Mahmud, der auf einem Stuhl in Basra sitzt und auf dessen Brustkorb und Bauch sich kein unversehrtes Stück Fleisch mehr findet.
Mahmud wurde vor sechs Jahren aus der Welt gezerrt, in der er als Fotograf arbeitete, und in einen Kerker geworfen. Es war an einem Mittwochabend, als es an seiner Wohnungstür klopfte. Dort stand ein Mann, den er noch nie gesehen hatte. »Sind sie Madschid Mahmud?« Mahmud nickte, etwas schlug in sein Gesicht, Mahmud spürte, wie seine Nase brach, dann wurde er bewusstlos. Er erwachte auf der Rückbank eines Geländewagens. Der Wagen durchquerte Bagdad, ein Tor öffnete sich, schloss sich, Hände rissen Mahmud aus dem Wagen, er taumelte und blutete, ein Mann, vielleicht ein Arzt, untersuchte die Nase. Dann ging es durch eine Tür einen dunklen Flur hinunter, Mahmud wurde in einen Raum gestoßen, eine Metalltür schlug hinter ihm zu. Er war allein.
Er blieb es eine Woche lang. Niemand sagte ihm, warum er hier war, in dieser Zelle, die vielleicht vier Quadratmeter maß. Morgens schoben ihm Unsichtbare etwas zu essen und zu trinken durch eine Klappe in der Tür. Abends öffnete sie sich ein zweites Mal.
Endlich, nach sieben Tagen, öffnete sich die Tür, ein Wärter stand da und führte Mahmud in einen Raum mit rot gestrichenen Wänden. Die Flügel eines Ventilators kreisten unter der Decke. Neben dem Ventilator ragten Haken aus dem Putz. Vor Mahmud stand ein Tisch aus Metall, er war am Boden festgeschraubt. Ein Stuhl stand davor. Auf dem Tisch lag ein Kabel. Mahmud hebt sein Hemd, erinnert sich: »Hier haben sie mich mit dem Strom aus dem Kabel verbrannt«, sagt er und steht von seinem Stuhl auf. Sein Brustkorb und sein Bauch sind von Narben übersät. Meist folterten sie ihn am Vormittag, dann, ermüdet von der harten Arbeit, »machten sie ein paar Stunden Pause«, am Nachmittag ging es weiter. Manchmal kamen sie täglich, manchmal tagelang gar nicht.
Das Essen war oft schlecht, das Wasser faul, er litt an Durchfall und an seinen entzündeten Wunden, und immer wieder setzten ihn die Folterer unter Strom, hängten ihn mit den Füßen nach oben an den Ventilator, ließen ihn kreisen, manchmal stundenlang, bis er sich erbrach. Sie banden ihm die Hände auf den Rücken, hängten ihn an den Haken, der aus dem Putz ragte, und warteten darauf, dass das Gewicht seines Körpers die Oberarme aus den Gelenken zerrte.
Sie fragten ihn, ob er Mitglied der Daawa sei, der verbotenen schiitischen Partei. Sie fragten ihn nichts anderes. Manchmal fragten sie es einmal, gelangweilt, quälten ihn dann stumm. An anderen Tagen schunden sie ihn mit mehr Begeisterung, sie schrien und schlugen ihn.
Wer seine Folterer waren, kann er nicht sagen. Er hat ihre Gesichter nie gesehen, sie steckten unter schwarzen Wollmasken, deren Schlitze nur die Augen und den Mund freigaben. Ihre Stimmen würde er sofort wieder erkennen.
Madschid Mahmud erzählt von seiner Odyssee durch die Folterräume Saddams ohne Gemütsregung, so, als wären sein Körper und Geist noch taub von all dem Schmerz. Sechs Jahre habe er in Kerkern gesessen, bis heute weiß er nicht, warum.
Die Täter, die Männer, die Saddam unterstützten, die für ihn richteten, folterten, mordeten und seine Kriege führten, sie sitzen in ihren Häusern, andere stehen an einer Straßenecke in Bagdad, und mit ein wenig Glück und Geduld kann man sie treffen, sie fragen, warum sie an Saddam glaubten, warum sie für ihn töteten.
Hinter seinem Idealismus, seinem Glauben an die Gerechtigkeit verschanzt sich Ahmed Asis, ein Richter, der im Sinne Saddams Todesurteile sprach. Asis sitzt hinter seinem leer gefegten Schreibtisch, und durch die Finger lässt er die Subha gleiten, die Perlenkette der Muslime. Asis, 61 Jahre alt und Präsident des Strafgerichts im Bezirk al-Karh im Süden Bagdads, hat vor Saddam Todesurteile unterschrieben, weil die Todesstrafe gerecht sei, er hat sie während der Saddam-Jahre unterschrieben, weil sie von ihm gefordert wurden, und er wird sie auch künftig unterschreiben, wenn die Amerikaner ihn lassen. »15 Jahre für Diebe, Mörder müssen an den Galgen«, sagt Asis. Den Galgen gab es immer, den wird es immer geben. »Machen die Amerikaner das nicht auch so?«, fragt Asis.
Natürlich weiß Asis, dass vor der Villa in der Nähe des Tigris die Menschen Schlange stehen, um auf einem Blatt Papier die Namen ihrer Söhne und Ehemänner zu finden, die irgendwann irgendwer wegen irgendwas hat verschwinden lassen. Asis weiß, dass sein Name unter den Todesurteilen steht, irgendwo in diesen Stapeln von Papier, aber so war halt das Recht. »Richter richten nach dem Gesetzbuch«, sagt Asis, »bis Saddam kam, hatten wir eines, jetzt könnte es mit dem Buch von damals weitergehen.« Es kommen andere Zeiten, das ahnt er, »es ist schön, wenn niemand sagt, wie Richter urteilen müssen«, das sagt er.
Darum geht es ihm: dass er dabei ist, wenn es weitergeht. Die letzten zwei Gehälter kamen nicht, er hat Familie, Richter werden gebraucht. »Es passieren viele Verbrechen in Bagdad«, sagt Ahmed Asis.
Es gibt viele grauenhafte Geschichten. Die schlimmsten erzählen von den Verbrechen der Fedajin, einer Folter- und Terrortruppe, die von Udai, Saddams ältestem Sohn, befehligt wurde. Mehr als 30 000 dieser staatlichen Terroristen sollen im Namen Saddams Zungen und Hände amputiert und Köpfe vom Rumpf getrennt haben.
Ali K. ist einer dieser staatlichen Terroristen. Vier Jahre lang arbeitete er für Udai, und wenn er richtig zählt, hat er in dieser Zeit 13 Zungen amputiert und 40 Hände. Er brach vier Männern die Arme und dreien das Rückgrat. Er nahm an 16 Morden teil, und wie vielen Menschen er den Kopf abschlug, weiß er nicht mehr genau. Es waren Dutzende, und Ali sagt, die Strafen waren nicht willkürlich. Der Terror habe ein System besessen:
Deserteure verloren ein Ohr.
Diebe verloren einen Finger, wenn sie Kleinigkeiten stahlen, und sie verloren die Hand, wenn Regierungseigentum entwendet worden war.
Lügnern wurde das Rückgrat gebrochen. Sie lagen mit dem Gesicht nach unten auf eine Holzplanke, die zwei Zementblöcke stützten. Dann stürzte ein dritter Zementblock in den Rücken des Verdächtigen.
Informanten, die fehlerhafte Informationen weitergaben, wurde die Zunge mit einem glühenden Eisen verbrannt.
»Wer über Saddam spottet, verliert seine Zunge. Die Zunge ist mit einer Zange herauszuziehen und mit einem Teppichmesser abzuschneiden. Dann ist die Zunge auf den Boden zu werfen. Alles das hat in Anwesenheit der Familie zu geschehen« (aus der Dienstanweisung eines Folterers). Homosexuellen wurden die Hände gebunden, dann stieß man sie von einem Hausdach.
Im Alter von 18 begann Ali seine Arbeit, und er tat sie des Geldes wegen. 70 Dollar zahlte Udai pro Monat, ein kleines Vermögen in einem Land, in dem viele mit drei, vier Dollar im Monat auskommen müssen.
Die Opfer von Ali, von Ahmed Asis und all den anderen Henkern Saddams sind an abgelegenen, kleinen Orten zu besichtigen, von denen zuvor kaum jemand außerhalb des Landes gehört hat. Sie heißen Hilla, Abu Ghureib, und diese Massengräber sind die Pilgerstätten des neuen Irak.
Wie viele Ermordete in der Erde des Irak liegen, vermag noch niemand zu sagen. Bei Kerbela und Basra, bei Nadschaf und Hilla sind Massengräber entdeckt worden. Allein in Hilla sollen bis zu 15 000 Leichen verscharrt sein (siehe Seite 154). Die Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation »Human Rights Watch« schätzen, dass etwa 200 000 Menschen unter der Baath-Herrschaft ermordet und verscharrt wurden.
Der Terror, dem die Menschen entronnen sind, sicherte nicht nur den totalitären Machtanspruch eines größenwahnsinnigen Diktators, der seinem Land dasselbe Gewicht wie das Chinas oder das der Vereinigten Staaten verschaffen wollte, die staatliche Gewalt sicherte Saddam Hussein und seinem Clan auch den Zugriff auf die Ölmilliarden des Landes. Das schwarze Gold verwandelte sich in goldene Wasserhähne und silberne Kerzenständer, in marmorne Swimmingpools und perverse Paläste.
Saddams Sohn Udai protzte mit dem der Nation abgepressten Reichtum wie sonst niemand aus der Herrscherclique. Sein Yachtclub, südlich des Bagdader Zentrums gelegen, ist ein Prunkbau aus hellem Sandstein mit mondäner Auffahrt.
Die achteckige Haupthalle, gewiss 800 Quadratmeter groß, mit 40 Meter breiter Fensterfront Richtung Fluss, liegt in Trümmern. Die Wände des Saals, in dem Udais Privatdiscothek dröhnte, sechs Meter hoch und eingerichtet im Schick der siebziger Jahre, waren verkleidet mit kupferfarbenen Spiegeln wie im Palast der Republik in Ost-Berlin. Der Fußboden ist noch immer mit wertvollen Marmormosaiken versiegelt.
Hier bat Udai zum Tanz, jeden Tag fast. Zu Getränken. Gelagen. Zum Beischlaf. Zu Orgien. Die Partys im Club begannen gegen zwei Uhr in der Nacht und sie endeten frühestens mit Sonnenaufgang.
Udai lebte gegen den Rhythmus der tätigen Welt. Um zehn Uhr morgens ging er zu Bett, am Nachmittag um zwei, drei erhob er sich zu neuen Taten.
Abends saß er gern am Kamin, umgeben von Gespielinnen und Gefolgsleuten, Cognac trinkend, Whisky trinkend. Im Yachtclub gab es fünf Kamine, beim Reden spielte er gefährlich mit einem Schürhaken.
Er war sein liebstes Argument. Immer wieder ließ er das Eisen, unberechenbar und immer aus unerfindlichem Grund, mit einem Mal in die Beine eines Umstehenden fahren, harte Schläge auf Oberschenkel und in Kniekehlen. Wer nicht lachte, brachte sich in die Gefahr, der Nächste zu sein. So wurde, im Yachtclub von Dschadrija, viel gelacht.
Manchmal schoss er. Brüllend, johlend jagte er Maschinengewehrsalven in die Decke, in die Glasvitrinen, in die Fensterfront des Clubs. Die Glaser von Bagdad kamen fast täglich, um neue Scheiben einzusetzen. So sinnlos zerstörte Udai Hussein sein Umfeld, dass ihm der Vater vor drei Jahren auferlegte, künftig nicht mehr scharf zu schießen. Udai durfte sich von da an nur noch am Knallen von Platzpatronen freuen.
Beide Gebäudeflügel hatten eine Bar mit langen Tresen. Wo sie standen, ist der Boden auch nach dem Krieg noch übersät mit Schraubverschlüssen von Gin-Flaschen, Schweppes-Scherben und den zertretenen Schachteln der bevorzugten Marken: Cognac Martell, Old Patt Scotch, Champagne Pol Roger. Geraucht wurde Dunhill light.
Dreimal die Woche spielte Nihad Nima Nasrallah hier im Yachtclub Klavier und Gitarre. Der 25-Jährige sieht auf den ersten Blick nicht aus wie einer, der schnell einzuschüchtern ist: roter Dreitagebart, Statur eines Boxers, Gardemaß von 1,80 Meter. Ein starker Bursche. Aber sobald Udais Name fällt, fängt er an zu zittern.
Der Gastgeber erlaubte sich selten mehr als eine Viertelflasche Johnnie Walker, seine Gäste zwang er, den für sie bestimmten Fusel zahnputzbecherweise hinunterzuschütten. Sie sollten trinken, bis sie halb bewusstlos waren. Es war die erste Stufe der Erniedrigung. Auch in der Demütigung war Udai Perfektionist. Manchmal ließ er im Nebenraum ein Gerät aufstellen, mit dem die Mägen der Gäste wieder ausgepumpt werden konnten.
»Es konnte jeden treffen. Nach so einer Party gefoltert zu werden war ganz normal«, sagt Nasrallah. Es reichte, dass jemand eine Hose trug, die sich Udai selbst gerade in der italienischen Uomo Vogue ausgesucht hatte. Oder dass jemand sich weigerte, auf allen vieren wie ein Esel herumzulaufen, weil Udai das komisch fand. Oder dass Nasrallah, abgefüllt mit billigem irakischem Whisky, auf den Klaviertasten danebenfasste. Oder dass jemand nicht genug trank. Eine gute Party endete immer mit einem Kater. Und mit einem Folterknecht.
Wenn Nasrallah sich verspielt hatte, wurde er mit der »Falaga« bestraft: Mit einem Stock wurden die nackten Sohlen des Delinquenten geprügelt. »Mal 10 Schläge, mal 100 Schläge«, sagt Nasrallah. Es sei danach tagelang nicht möglich zu gehen.
Udai konnte auch charmant sein, geradezu warmherzig. So jedenfalls beschreibt ihn die 19-jährige Alexandra Vodjanikova aus München. Die junge Frau ist die amtierende »Miss Germany«, sehr schlank, sehr blond, sehr gut aussehend.
Bei der Finalrunde der Misswahl im Januar hatte sie die Frage, welches Staatsoberhaupt sie gern einmal treffen würde, mit »Saddam Hussein« beantwortet - die Jury war beeindruckt. Und die irakische Botschaft reagierte schnell. Ende Februar flog Vodjanikova nach Bagdad, besichtigte Kinderkrankenhäuser, traf irakische Offiziere und, am dritten Tag, immerhin den Sohn des Staatschefs: Udai Hussein.
Nach dem Essen im großen Saal seines Yachtclubs lud Udai ins Empfangszimmer: eine Couchgruppe, ein Tisch und eine Bar. Udai bot Getränke an, er selbst versorgte sich mit Wodka. »Er war sehr freundlich«, sagt Vodjanikova, »er hat sich für Deutschland interessiert und sich für meinen Besuch bedankt.«
Allerdings beantwortete Udai nicht jede Frage der Friedensreisenden; warum der Irak seine Massenvernichtungswaffen nicht abgegeben habe, zum Beispiel, wollte er der Schönheitskönigin nicht erzählen.
Etwa vier Stunden verbrachte Vodjanikova im Yachtclub, Udai überschüttete sie mit Komplimenten: »Du bist schön, du bist sexy.« Irgendwann wurde es der Deutschen zu viel. »Sagen Sie nicht solche Dinge«, sagte sie, »da werde ich ja rot.«
Beim Abschied in der Lobby machte Udai noch eine Andeutung, Vodjanikova kriegte den Wortlaut nicht genau mit - sie antwortete mit einer spielerischen Drohung und kniff den Diktatorensohn in die Wange. Für einen Moment griff er nach ihren Armen und hielt sie fest - eine kurze, bestimmte Geste.
Am nächsten Tag fand sie im Hotel einen gigantischen Blumenstrauß: für Miss Deutschland, gezeichnet »Professor Udai Saddam Hussein«.
Andere Frauen, auf die er ein Auge geworfen hatte, ließ er nicht einfach wieder ziehen. Er ließ sie auf offener Straße rauben und ihre Begleiter foltern und töten. Und wenn sich die Mädchen ihm widersetzten, stand darauf nicht Folter, sondern Vergewaltigung, oft der Tod. Wohl deswegen waren für Udai nur sturzbetrunkene Gäste gute Gäste. Sie sollten vergessen, was sie erlebt hatten. »Man hat«, sagt Nasrallah, »kaum eines dieser Mädchen je wieder gesehen.«
Udai war der brutale Playboy des Terror-Triumvirats, ein mächtiger Mann mit wenig institutioneller Macht, von den Irakern noch mehr gefürchtet als sein Vater. Sein jüngerer Bruder Kussei aber führte den wichtigsten Geheimdienst des Regimes und spielte auch in der Baath-Partei eine führende Rolle. Er tauchte selten in der Öffentlichkeit auf, war über die allgegenwärtigen Agenten seines Sonder-Sicherheitsdienstes aber am besten informiert über die Lage im Lande. Nach dem Tod seines Vaters Saddam sollte Kussei über den Irak herrschen.
Von seinem Vater wurde Kussei bevorzugt, seit Udai dem Vorkoster Saddams in Anwesenheit von Gästen die Kehle durchgeschnitten hatte. Kussei perfektionierte den Geheimdienstapparat seines Vaters, so dass der alle Krisen überstand, die Niederlage im Golfkrieg ebenso wie die Jahre der Sanktionen. Von den größenwahnsinnigen Visionen einer arabischen Supermacht hatte sich Saddam Hussein in den letzten Jahren verabschiedet, sein Machtapparat funktionierte nur noch um seiner selbst willen, darauf gerichtet, jeden Putsch im Innern zu ersticken und seinen Ruf als grausamen Tyrannen zu mehren.
Wie eine Hollywood-Figur agierte Saddam Hussein, ließ morden und foltern, als wäre er auf die Welt gekommen, um zu morden und zu foltern.
Seinem früh geflohenen Militär-Geheimdienstchef Wafik Samarrai vertraute Saddam Hussein an, ihm sei egal, was Leute von ihm dächten, wichtig sei, dass die Schüler auch noch in 500 Jahren seinen Namen mit Schaudern aussprächen. Und so lebte er in seiner Matrix aus Terror und Luxus, ignorierte die waffenstarrende Drohkulisse, die sich langsam um ihn herum auftürmte, bis die amerikanischen Panzer vor seinem Palast standen.
Wie wirklichkeitsblind der Diktator war, davon zeugen seine letzten Befehle, gefunden im Hauptquartier des Geheimdienstes Muchabarat. Der allerletzte stammt vom 6. April, als US-Truppen bereits in Bagdad waren.
»Von Saddam Hussein an alle Kämpfer der großen Baath-Partei und durch sie an das Volk. Al-Salam aleikum«, beginnt der Befehl MCH/1/4/1260: Jeder, der irgendwo Waffen finde, solle sie nehmen und kämpfen. Wer nicht damit umgehen könne, solle sich unterrichten lassen und dann den Soldaten helfen. Falls das nicht möglich sei, müssten die Waffen so lange versteckt werden, bis sie später irgendwann mal gebraucht würden. »Allah ist groß. Tod den Verbrechern.«
Am 4. April hatte Saddams Adjutant Adnan Abd al-Dschalil »streng geheim und sehr eilig« die Kader der Baath-Partei angewiesen, bei »jedem Deserteur, der vom Schlachtfeld flieht, die Todesstrafe zu vollstrecken«.
Gleichzeitig verkündete er: »Der Präsident und Führer, Allah beschütze ihn, hat befohlen: Jeder, der einen Spion festnimmt oder Nachrichten zu seiner Ergreifung liefert, erhält zehn Millionen irakische Dinar« - das sind 8000 Euro.
Dem Volk versprach er, für alle Schäden aufzukommen, später einmal: »Gemäß Schreiben 984 vom 4. April 2003« habe Saddam befohlen, dass sämtliche durch die »amerikanischen, britischen und zionistischen Angriffe« zerstörten Häuser auf Staatskosten wieder aufgebaut würden. Da wusste er wohl schon, dass er nie zahlen werde.
Wie die Husseins die letzten Wochen in ihrer eigenen Welt erlebten, darüber können nur die Auskunft geben, die noch an ihrer Seite waren, Leute wie Adib Schaban al-Ani. Er lebt im Norden Bagdads, im kleinbürgerlichen Stadtteil Adhmija in einer stillen Seitenstraße. Dort bewohnt er eine Doppelhaushälfte. Bis vor ein paar Wochen war er der Privatsekretär von Udai.
Das Tor zu seinem Grundstück ist nur angelehnt, vor dem Haus sitzen sechs Männer auf weißen Plastikstühlen. Eine Markise schützt sie vor der Sonne. Sie trinken Tee, und die irakische Armeepistole Tarik beult ihre Jacken aus.
Adib Schaban al-Ani ist ein freundlicher Mann um die 50. In einer zivilisierten Gesellschaft könnte er ein Concierge in einem Hotel sein. Unauffällig, dienstbar und immer bemüht, die Wünsche der Gäste zu erfüllen.
Nein, über die Arbeit könne er leider nicht reden, noch nicht, sagt Herr Ani und zieht an einer Wasserpfeife. Er stehe in Verhandlungen mit amerikanischen Fernsehsendern. Sie seien an seiner Lebensgeschichte interessiert. Auch er sei schließlich ein Opfer, irgendwie, sagt Herr Ani und zeigt seine vernarbten Füße: »Elektroschocks, an den Fußsohlen, sie sind sehr schmerzhaft.«
Herr Ani lächelt. Sein Herrschaftswissen über die Feinheiten der Folter, am eigenen Leib erlernt, scheint ihn zu freuen. Es adelt ihn als Opfer, es wird ihn reich machen und vielleicht berühmt. UWE BUSE;
ASIEM EL DIFRAOUI,
ULLRICH FICHTNER, THOMAS HÜETLIN, GUNTER LATSCH, ANDREAS ULRICH