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»DIE AUSBEUTUNG IST KLAR«

Als gewaltsamen Aufstand eines ausgebeuteten Volkes gegen die Monopolbürokratie, als Revolution gegen die kommunistische Staatsgewall -- so beschrieben die beiden polnischen Hochschul-Assistenten Jacek Kuron und Karol Modzelewski im November 1964 in ihrer Schrift »Monopolsozialismus« die Krise eines volksdemokratischen Systems, das nicht fähig ist, seine wirtschaftlichen Probleme zu meistern. Die beiden Autoren, Parteimitglieder und Funktionäre des Jugendverbandes an der Warschauer Universität. entworfen In einem »offenen Brief an die Polnische Arbeiterpartei« ein Alternativ-Programm zur zentralistischen Aligewalt und forderten den Abbau der Kontrolle, demokratische Mitentscheidung der Arbeiter, Bauern und intellektuellen, Meinungs- und Pressefreiheit. Für ihre Kritik wurden die bei. den Reformer 1965 als »Unruhestifter« zu Gefängnis verurteilt und, gerade entlassen, während der Studenten-Unruhen vom Frühjahr 1968 erneut vor Gericht gestellt.
aus DER SPIEGEL 53/1970

Unter den Bedingungen einer Krise verschlechtert sich zwangsläufig auch die Situation der Arbeiter am Arbeitsplatz. Die Zunahme der Arbeitslosigkeit setzt sie In verstärktem Maße der Willkür der Betriebsleitungen aus, verschärft den Druck, der durch den Staat auf die Arbeiter ausgeübt werden kann.

Noch vor nicht allzu langer Zeit war die Ausbeutung bei uns durch einen erzwungenen und bisweilen auch spontanen Enthusiasmus verhüllt, mit Transparenten verhängt. Die Machthaber zogen es vor, sich in Arbeitermonturen zu zeigen; sie verwiesen auf ihre proletarische Herkunft; sie nannten sich Vorarbeiter, und es war nicht üblich, daß ein Direktor zehnmal soviel verdiente wie ein Arbeiter.

Heute kleiden sich die Vertreter der Macht in elegante Maßanzüge; der Direktor, der seinen Anteil aus dem Mehrprodukt erhält, ist der positive Held des sozialistischen Aufbaus; das Auto und die Villa sind die sichtbaren Zeichen seines gesellschaftlichen Prestiges und seiner staatlichen Wertschätzung.

Heute ist die Ausbeutung klar und für jedermann ersichtlich, ihr Instrument sind nicht mehr die Propaganda und auch nicht mehr der erzwungene Enthusiasmus, sondern ausschließlich die Knute ökonomischer Bestrafung, administrativen Zwanges und -- in Fällen offener Auflehnung -- der Polizei. Heute arbeiten die Gewerkschaften mit der Regierung zusammen. Gemeinsam mit den Unternehmensleitungen sind sie bestrebt, die Zahl der Arbeiter zu verringern und ihre Lebensbedingungen zu erschweren.

Freiwillig rückt die Monopolbürokratie keinen Groschen heraus. Und unter den Bedingungen einer wirtschaftlichen Krise wie dem Mangel an mobilisierbaren Reserven hat sie auch gar nichts, was sie noch zugestehen könnte, wenn sie unter Druck gesetzt wird. In dieser Situation muß jede größere Streikaktion zu einer direkten Konfrontation mit der Monopolbürokratie führen. Für die Arbeiterklasse ist das der einzige Weg, ihre Lage zu verändern.

Heute, in der Phase einer allgemeinen Systemkrise, vermag allein eine Revolution den Interessen der Arbeiterklasse zu dienen. Ihre Mittel: der Sturz der Monopolbürokratie und die Beseitigung der bestehenden Produktionsverhältnisse, die Aneignung Ihrer Arbeit und deren Produkte, die Kontrolle des Produktionsziels.

Für die Landbevölkerung bedeutet die Krise vor allem einen beträchtlichen Rückgang der Beschäftigungsmöglichkeiten der Arbeiter-Bauern. Dadurch ist wieder mit einer ländlichen Übervölkerung zu rechnen. Die Einkommensquellen außerhalb der Landwirtschaft, welche die Voraussetzung dafür waren, daß die Existenz der bei uns zahlenmäßig am stärksten vertretenen armen Bauernfamilien gesichert war und daß die Masse der landwirtschaftlichen Kleinbetriebe erhalten geblieben ist, versiegen.

Für die Mehrheit der Bauern sind damit nicht nur der Verlust der Zukunftsperspektiven und das Fehlen sozialer Aufstiegschancen verbunden, sondern auch die Verschlechterung ihrer materiellen Situation und die Gefahr, daß sie ihre Betriebe aufgeben muß. Profitieren wird davon allein die Minderheit der reichen Bauernwirtschaften.

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