Zur Ausgabe
Artikel 61 / 84

NACHRUF Die Baßamsel singt nicht mehr

aus DER SPIEGEL 27/1981

Zarah klingt fast wie Sarah, und die dunklen Haare unterstreichen es. Und doch liegen Welten dazwischen. Für die Schwulen in der Nazizeit war Zarah Leander eine Flucht aus einem bösen Traum, der für viele im KZ endete und immer noch nicht wiedergutgemacht ist. Zarah war das Idol aller Tunten, extravagante Kleidung in einer puritanischen Zeit, sie war eine künstliche Erscheinung mit ihren Boas, ihrem Schmuck, ihrer unerhörten Schminke. Die anderen wirkten solide und spießig gegen sie, von Ilse Werner bis Marianne Hoppe. Zarah war eine Tunten-Mutter wie Mata Hari es war, denn Tunten lieben das Besondere.

Zarah wirkte wie ein Transvestit: Starker Körper, große Hände, große Füße, kleiner Busen und eine herrliche Männerstimme -- deswegen schien Zarah für Frauen begehrenswerter als für Männer. Für die Männer war die Evelyn Künneke geiler, der Rollmops Marika Rökk die Primitivere.

Zarah die leidende Dame, die schwache Frau, die Lust an der Unterdrückung spielt, und Zarah die Starke, dominierende Vampyrette, ein Star wie Garbo, Dietrich, Mae West und Inge Meysel.

Christina, der wohl beste Zarah-Leander-Imitator, den ich beim Einkleben von Artikeln über ihren Tod störte, sagte mir: »Sie ist immer unsere Mutter gewesen, wie sie gibt es keine. Mit vollem Herzen sind wir in ihre Konzerte gegangen, haben manchmal gelacht, wenn sie im Alter und Suff danebengesungen hat, aber sie konnte es sich leisten. Schon wie sie dastand, sie wußte genau, wie sie wirkte.«

Ohne die Schwulen wäre sie im Alter nichts gewesen, und wenn Zarah sang: »Oi joi joi anderrrs rrrum« oder rief: »He junger Mann, ich brauch ''nen Ständer«, dann rasten die Tunten, und eine Berliner Zeitung schrieb gehässig: »Ihre Konzerte sind meistens am Montag, weil dann die Friseure frei haben.«

Warum lieben Schwule ältere Show-Stars, ältere Frauen überhaupt? Ist es Frauenhaß, wie uns die Macker vorwerfen, weil sie ältere Frauen eklig finden? (Wenn ein verwelkter Curd Jürgens ein junges Mädchen vernascht, dann sagt man: Toller Hirsch, aber wenn eine ältere Frau einen jungen Mann liebt, dann sagt man: Wenn alte Scheunen brennen ...)

Alte Frauen sind nämlich wie Schwule in der Gesellschaft diskriminiert, Witwen wurden in Indien verbrannt, heute sind es grüne Witwen in Hochhäusern. Sie sind dazu erzogen zu leiden, sich selbst zu hassen, ähnlich wie der Schwule. Eine Solidarität zwischen beiden ist hilfreich. Meine ältere Freundin Gräfin Nora Stolberg zu Stolberg, die sich in den zärtlichen sanften Heinrich Giskes verliebt hat, ist so glücklich wie selten.

Edith Piaf heiratete kurz vor ihrem Tod nicht ohne Grund einen jungen Friseur, und Zarah Leander hatte in ihrem Schloß in Schweden viele Tunten zu Gast, denen sie ihre Sauna zur Verfügung stellte.

Der Berliner Damen-Imitator Gloria Fox besuchte Zarah in Stockholm nach ihrer ersten Gehirnblutung. Zarah mochte ihn, weil er ihre Lieder so ganz anders sang. Sie bot ihm das Du an. Er sollte Tante Zarah sagen. Das fiel ihm schwer, denn Zarah wirkte so stark, so unnahbar, so majestätisch wie eine Königin. (Tunten, sich ihrer Schwäche in der Gesellschaft bewußt, suchen besonders beim schwachen Geschlecht die Stärke, sie sind ihnen ähnlich beim Kampf ums Überleben.)

Mit den Tunten hatte Zarah eins gemeinsam: Sie liebte Männer. In der Nazizeit soll sie nicht wenige deutsche Offiziere vernascht haben, nach Aussage meiner Freundin Lilo, und mit Evelyn Künneke prügelte sie sich um deren S.159 gemeinsamen Komponisten und Liebhaber Michael Jary.

Zarah soff, wie es in Schweden Mode ist, sie liebte Bommerlunder, aber man sah sie nie besoffen. Zarah war im Gegensatz zu ihren verlogenen Kolleginnen ehrlich genug zuzugeben, daß sie Goebbels toll fand, ähnlich wie eine der Hauptdarstellerinnen meines neuen Films »Unsere Leichen leben noch«, Inka Köhler. Für Inka war Zarah ein Vollweib, eine Schönheit, die sie angebetet hat.

Der ausländische Akzent der »Baßamsel« bezauberte nicht nur Inka und ihre zwölf Geschwister und ihren Vater, einen Lokomotivführer. In ihrer kleinen Stadt Dillenburg war es schwer, Kinokarten für Zarah-Filme zu bekommen. Die Verräterin am Großdeutschen Reich, Marlene Dietrich, schmiß man dafür weg, und Inka, immer noch schön mit ihren 60 Jahren, singt begeistert das Leander-Lied: »In mir tobt''s wie ein Orkan, wie ein Sturm im Ozean, meine Glut braucht ein Ventil. Wenn mir einer heut'' gefiel, holla, der hätt'' es gut.«

Als ich Zarah zum ersten Male in den 60er oder 70er Jahren auf einem der vielen Tuntenbälle sah, wo sie Stargast war, war ich enttäuscht. Zarah verarschte Zarah, machte sich lustig über ihren Kitsch der frühen Jahre und überließ das nicht dem Publikum. Aber nur so schien sie überleben zu können.

Sie wäre an der Sterilität einer Dietrich schon viel früher gestorben, aber gerade die, so unmenschlich sie in ihrer Darstellung sein mag, bewunderte ich im Alter immer mehr. (Als ich die Dietrich in London wie eine aus Seife geschnitzte Statue sah, den Kopf sparsam bewegend, und wie sie dann zum Schluß von der Begeisterung der Zuschauer überwältigt auf den Arsch fiel und so hinter den Vorhang robbte, war ich dem Orgasmus nahe.)

Ich liebe die junge Zarah, die so viel schöner als die Garbo war. (Um wieviel lockerer wäre Greta, hätte sie zeigen dürfen, daß sie Frauen liebt.) Wenn Zarah in ihren Filmen mit Tränen in den Augen ein Lied singt, verletzlich und doch das Unglück meisternd, und donnernd dagegen ansingt mit »Kann denn Liebe Sünde sein«, dann muß man sich einfach hinlegen und mit ihr identifizieren.

Ob Zarah je die Wahl hatte zwischen Hitler und Hollywood, ist bis heute unbewiesen. Eins steht fest: Zarah war und ist einmalig, ein Superstar. Für uns Tunten vergleichbar mit der Josephine Baker oder der Knef, wobei die letztere es nie wagen würde, über etwaige Frauenbeziehungen zu schreiben. Ähnlich der Dietrich. Stars haben es immer noch schwer, ehrlich zu sein. Sie sollen Sehnsüchte, Illusionen befriedigen, das zu hinterfragen ist Sünde.

S.158links: als »Lady aus Paris« in Berlin 1965.*Oben: mit Willy Birgel in »Zu neuen Ufern« (1937);*

Rosa von Praunheim
Zur Ausgabe
Artikel 61 / 84
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren