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»Die Befreiung ist eine harte Enttäuschung«

SPIEGEL-Redakteur Wolfgang Malanowski über Adenauer-Briefe aus den Jahren 1945 bis 1947 *
aus DER SPIEGEL 40/1983

Konrad Adenauer, alter und bald auch neuer Oberbürgermeister von Köln, ging es bei Kriegsende und in den ersten Jahren danach auch nicht viel besser als vielen Deutschen im kaputten Deutschland: Trümmer, Hunger, Kälte, Krankheiten und, scheinbar, keine Zukunft.

Am 28. Juni 1945 schrieb er seinem Sohn Max, der, wie auch die Söhne Konrad und Paul, in Kriegsgefangenschaft war: »Die Kämpfe in Honnef/ Rhöndorf waren sehr schwer. Wir haben einige Tage und Nächte in dem Bunker im Berge zubringen müssen, zu 18 Personen. In unser Grundstück sind etwa 10 schwere Granaten gekommen, zwei davon ins Haus ... Sehr viele Fensterscheiben kaputt, Dach sehr undicht usw.«

Wen auch immer er trotz unpassierbarer Straßen, unzustellbarer Post, zerschossener Telephonleitungen, von Nazis oder Besatzern verhängter Ausgehsperren, trotz all der ungewissen Schicksale ausfindig machen konnte, der reichlicher zu knabbern und zum Leben hatte, haute der Alte an, mal direkt, mal auf seine Weise, listig, pfiffig, dröge.

Er bittet die Behörden um »erhöhten Stromverbrauch« und »Zusatzmarken«, weil die »Ernährung außerordentlich schwierig ist«, einen Bekannten um Äpfel ("Wenn Sie den Versuch, uns Äpfel zu senden, machen würden, so tun Sie uns damit einen außerordentlich großen Gefallen"), einen anderen um eine Puppe: »Wenn ich recht im Gedächtnis behalten habe, konnte man in Wolfenbüttel Puppen bekommen. Würde Ihre Gattin zutreffendenfalls vielleicht die große Freundlichkeit haben, uns eine für eine 3-jährige Enkelin zu besorgen?«

Er bedankt sich für den »Empfang der Bezugsscheine für 30 ltr. Benzin« und ein paar Krawatten, »um so mehr, als sie eine wesentliche Lücke ... ausfüllten«.

»Die Not steigt fast von Tag zu Tag. Der ziemlich strenge Winter und der Mangel an Hausbrand trägt das Seinige dazu bei, um die Menschen noch anfälliger und apathischer zu machen«, leitet er gekonnt einen Bittbrief an einen Freund in der Schweiz ein:

»Es ist vielleicht für die ganze Lage bezeichnend, daß z. B. auch ich seit einiger Zeit an Hungerödem durch Eiweißmangel leide ... Unser Arzt hat mir dringend empfohlen, Käse als vollwertigstem Eiweißträger mir zu verschaffen. Das ist aber hier in Deutschland ausgeschlossen. Wenn Sie bei Ihren etwa von Ihnen geplanten zukünftigen Sendungen kleine Käse, wie man sie in der Schweiz hat, einige beifügen lassen könnten, so wäre ich Ihnen dafür sehr dankbar.«

Unablässig forscht er nach seinen drei Söhnen. Fürsprecher im In- und Ausland spannte er ein, um seinen Nachwuchs schnell zu befreien, schließlich mit Erfolg. Als Tochter Lotte einmal von der Militärpolizei eingelocht worden war, weil sie sich nicht an die Ausgangssperre gehalten hatte, wurde Papa bei der Militärregierung vorstellig.

Der Alte von Rhöndorf dachte aber auch an Deutschland und die Deutschen und daran, wie es weitergehen solle: »Die ''Befreiung'' ist eine grausame und harte Enttäuschung. Wenn nicht ein Wunder geschieht, geht das deutsche Volk zu Grunde, langsam aber sicher.« Wie man weiß, geschah ein Wunder.

Oder: »Die Frage der Unterbringung der Ostflüchtlinge ist eine sehr schwierige und ernste Angelegenheit. Einerseits müssen wir möglichst gut gegen sie sein, auf der anderen Seite aber dürfen wir ... nicht den preußischen Geist in unsere rheinische Jugend pflanzen.« Willkommen waren ihm die »Hunnen«, _(Kurz nach Entlassung Max Adenauers aus ) _(US-Kriegsgefangenschaft. )

wie er die Völkerschaften jenseits der Elbe einmal genannt hatte, wohl kaum.

Oder: »Ich bin der Auffassung, daß die Aufgabe des westlichen Deutschlands einmal sein wird, mit friedlichen Mitteln den Osten wiederzugewinnen und zu kolonisieren.« Wie einst der Deutsche Ritterorden.

Das außenpolitische Ziel, an dem Adenauer unbeirrt festhielt, stand schon am 31. Oktober 1945 fest: »In Westeuropa sind die führenden Großmächte England und Frankreich. Der nicht von Rußland besetzte Teil Deutschlands ist ein integrierender Teil Westeuropas. Wenn er krank bleibt, wird das von schwersten Folgen für ganz Westeuropa, auch für England und Frankreich sein. Es liegt im eigensten Interesse nicht nur des nicht von Rußland besetzten Teils Deutschlands, sondern auch von England und Frankreich, Westeuropa unter ihrer Führung zusammenzuschließen, den nicht russisch besetzten Teil Deutschlands politisch und wirtschaftlich zu beruhigen und wieder gesund zu machen.«

Fundstelle für solche Anmerkungen des einstigen Kölner Oberbürgermeisters, CDU-Mitbegründers, CDU-Chefs und späteren Bundeskanzlers Konrad Adenauer über privates Befinden, nationales Elend und Zukunftsängste ist der erste Band der Adenauer-Briefe (1945 bis 1947), den der Siedler Verlag in dieser Woche präsentiert. _("Adenauer, Rhöndorfer Ausgabe, Briefe ) _(Band 1, 1945/47«. Hrsg. Rudolf Morsey ) _(und Hans-Peter Schwarz; Siedler Verlag, ) _(West-Berlin; 792 Seiten; 78 Mark. )

Drei weitere Brief-Bände sollen folgen, außerdem vier Bände über Adenauers »Teegespräche« mit Journalisten.

Niemand, der Adenauer noch vor Augen und im Ohr hat, etwa am Rednerpult im Bundestag ("Die Lage ist da") oder auf Parteitagen der Union, wird in dieser Dokumentation auf sprachliche Pretiosen oder gedankliche Höhen, auf Schöngeistiges stoßen wollen, eher schon auf Stilblüten gefaßt sein. In den Briefen kommt auch noch der dialektische Singsang des Redners abhanden ("Lernt Rheinisch mit Konrad Adenauer«, Schallplatte, 1963), der wenigstens schmunzeln ließ.

Schnörkellos, mit frommer Einfalt, alles in allem aber präzis, und wer wollte ihm durchschlagende Wirkung bestreiten, ging Adenauer die Sache an, privat, parteilich, staatsmännisch. Die Sache lag meist im Handgreiflichen, Pragmatischen, selten im Programmatischen, es sei denn, die paar Grundsätze des Rheinländers seien berührt: das christliche Abendland und der heidnische Materialismus.

Es ist die Amtssprache des Täters, nicht die Prosa des Vordenkers, in der alle seine Briefe abgefaßt sind; ein Vergleich mit Bismarck (Briefe an seine Frau), der kommt gar nicht erst auf. Die Worte, die Adenauer macht (und oft macht er in zwei Sätzen zweimal dasselbe Wort), sollen sitzen, damit jedermann wisse, wie er was zu verstehen und prompt auszuführen habe; sie müssen nicht auch noch klingen: _____« Da ich morgen einer wichtigen Aufsichtsrats-Sitzung » _____« des RWE in Essen beiwohnen muß, bitte ich, mich zu » _____« entschuldigen. Herr Bürgermeister Suth wird an meiner » _____« Stelle der Sitzung beiwohnen. » _____« Er (Sohn Konrad) mußte aus der Beamtenlaufbahn ... » _____« als Nicht-Mitglied der Partei und als mein Sohn 1933 » _____« ausscheiden. » _____« Es ist höchste Zeit, daß die so oft in Aussicht » _____« gestellte andere Behandlung Deutschlands auch wirklich » _____« kommt. Wenn Sie kommen, so hoffe ich, Sie möglichst bald » _____« zu sehen. » _____« Ich darf wohl Ihrer Angabe der Ziffern baldigst » _____« entgegensehen. » _____« Haben Sie herzlichen Dank für Ihre Weihnachtswünsche, » _____« die jetzt in meinen Besitz kamen. »

Die Briefe lesen sich wie Aufzeichnungen eines Generalstabschefs (etwa Halders, 1939/42). Sie überliefern, was dieser Mann am Halse hatte und wie er sich, eines nach dem anderen, vom Halse schaffte, wie er seine Finger in alles und jedes steckte. _____« Im Hinblick auf den bevorstehenden Himmelfahrtstag » _____« bitte ich um Mitteilung, ob dieser Tag für die » _____« Gefolgschaft der Stadtverwaltung » _(Besitznahme der Marienburg/Westpreußen. ) _(Holzschnitt aus dem Jahr 1859. ) _____« als Feiertag und dementsprechend als dienstfrei » _____« gelten soll (7. Mai 1945 an die amerikanische » _____« Militärregierung). » _____« Ich bitte Sie, gerade jetzt Ihr Interesse der » _____« Rheinschiffahrt in besonderer Weise anzuwenden (26. Mai » _____« 1945 an Generalkonsul Franz R. von Weiss). » _____« Herr Dr. med. Herbert Lewin, Chefarzt des jüdischen » _____« Krankenhauses zu Köln, ist von mir mit der Führung des » _____« Rücktransportes der noch im Konzentrationslager » _____« Theresienstadt verbliebenen Kölner Bürger beauftragt (8. » _____« August 1945 an tschechische Behörden). » _____« Herr von Beaulieu ist seit mehr als 10 Jahren Leiter » _____« des Vollblutsports in Hoppegarten gewesen und wird » _____« nunmehr die gesamten Vollblutinteressen in der britischen » _____« Zone wahrnehmen (31. August 1945 an das Arbeitsamt der » _____« Stadt Köln). » _____« Es wäre mir lieb, wenn Sie mir mitteilten, welche » _____« Ihrer Beamten in 14 Wochen kein Fleisch bekommen haben » _____« (25. September 1945 an den Präsidenten der » _____« Reichspostdirektion Köln). » _____« Transport Milchschaf durch Kölner Viehhändler jede » _____« Woche möglich (11. April 1947 an Dr. Hermann Siemer, » _____« Strohe bei Vechta). »

Ein Mann von siebzig, der eigentlich gar nicht mehr wollte, wie er glaubhaft beteuert, entfaltet am vermeintlichen Ende seiner Tage eine Turbulenz, die viel Jüngeren die Zunge aus dem Halse heraushängen lassen würde. Die Energie dieses Mannes krepierte wie ein Schrapnell über dem halben Nachkriegsdeutschland (wie der Sachse Walter Ulbricht die andere Hälfte stempelte).

In Adenauer ist alles fertig, ringsherum alles in Fluß. Gut, daß er schon alt ist, der Starrsinn bewahrt ihn davor, sich zu verzetteln, so viel er auch dreht und kurbelt, Granit flüssig. Aber, leider, kann er, so wie er geschaffen ist, keine Visionen unters Volk mischen.

In den vorwiegend kurzen Briefen, insgesamt 572, wird über die NS-Vergangenheit wenig gegrübelt, über eine FdGO-Zukunft spärlich räsoniert. Die Koordinaten sind längst in Fleisch und Blut eingegangen, warum darüber noch groß palavern. Es muß, jedenfalls gleich nach dem Krieg, gehandelt werden, und wie.

So gesehen, überliefern die Briefe, mit großer Sorgfalt ediert, Zusätzliches sowohl zu Adenauers »Erinnerungen«, in denen die Hektik der ersten Tage schon abgestanden wirkt, wie den historischen Rekonstruktionen über Adenauers Rolle bei dem Aufbau der CDU, wie auch der unsäglichen Adenauer-Biographie des Höflings Paul Weymar.

Die Nachkriegsgeschichte Konrad Adenauers, wie sich zeigen sollte auch des hälftigen Deutschlands, begann an jenem Märzmorgen 1945, als zwei amerikanische Offiziere in seinem Rhöndorfer Haus auftauchten und in höherem Auftrag anfragten, ob Adenauer bereit sei, »die Verwaltung der Stadt Köln wieder zu übernehmen«. Wenn ja, sollte er »sofort als Oberbürgermeister eingesetzt« werden.

Adenauer, von 1917 bis zu seiner Entlassung durch die Nazis, 1933, schon einmal OB in Köln, wollte nicht sogleich, wegen seiner Söhne, die noch in der deutschen Wehrmacht das Gewehr schulterten. »Sie würden sicher von den Nazis erschossen«, fürchtete der Vater

begründet, »wenn bekannt würde, daß ich von den Amerikanern zum Oberbürgermeister von Köln ernannt sei.«

So wurde Adenauer erst einmal Berater der amerikanischen Militärregierung, im Mai 1945, als von den Nazis nichts mehr zu befürchten war, OB - wider Willen. Dem Schriftsteller Herbert Eulenberg schrieb er: _____« Mein altes Amt habe ich übernommen nur schweren » _____« Herzens und mehr oder weniger gezwungen. Ich will » _____« versuchen, alte Traditionen wieder aufleben zu lassen und » _____« das Geistesleben unserer Heimat wieder zu neuem Leben zu » _____« erwecken. »

Mehr wollte er, der später nicht von der Macht lassen konnte, nicht werden: _____« Ich beabsichtige nichts anderes zu werden oder zu » _____« sein als Oberbürgermeister der Stadt Köln und auch das » _____« nur für eine beschränkte Zeit, bis ich den Wiederaufbau » _____« der Stadt in seinen Anfängen wenigstens gesichert habe » _____« (5. Juli 1945 an den Journalisten Hans Rörig). »

Beinahe wäre es auch dabei geblieben, gut oder schlecht für das halbe Deutschland? Die Engländer, die im Juni 1945 die Amerikaner in Köln ablösten, kippten Adenauer ganz schnell, am 6. Oktober 1945, aus dem Sessel. Sie untersagten ihm zudem jegliche politische Betätigung. Adenauer legte, ähnlich wie 1933 ("Entlassung durch die Nazis"), abermals eine Handakte an: »Entlassung durch die Befreier.« Lapidar teilte er den Umstand brieflich mit: _____« Eben wurde mir von dem Brigadier (Barraclough) eine » _____« in scharfem Ton gehaltene Verfügung vorgelesen, in der » _____« mir mitgeteilt wurde, daß ich das in mich gesetzte » _____« Vertrauen wegen Wohnungsbau, Schutt, der Versorgung vor » _____« dem Winter nicht gerechtfertigt habe und daher ab heute » _____« meines Amtes enthoben sei ... Jede direkte oder indirekte » _____« politische Betätigung ist mir verboten, bei » _____« Zuwiderhandlungen werde ich vor das militärische Gericht » _____« gestellt. Nach der Verlesung erklärte mir der Brigadier, » _____« der Ton sei vielleicht schärfer, als sie gewollt hätten. » _____« Ob ich etwas zu sagen habe. Ich habe geantwortet: Nein. » _____« Habe den Empfang der Verfügung quittiert und packe ein » _____« (6. Oktober 1945 an Bankier Robert Pferdmenges). » _____« Ob es etwas Gutes war, was mir widerfahren ist, ob » _____« etwas Schlechtes, wer kann es sagen? (31. Oktober 1945 an » _____« den Oberbürgermeister von Duisburg, Heinrich Weiz). »

Unbotmäßigkeit und Kritik an den britischen Besatzern, üble Nachrede des Sozialdemokraten Robert Görlingers beim britischen Geheimdienst und daß die Labour-Regierung in London auf SPD sattelte, führte, mutmaßt Adenauer, zum abrupten Abwurf.

Da war schon mal die Sache mit den Bäumen in den Grünanlagen und an den Ringstraßen Kölns. Adenauer hatte sie nach dem Ersten Weltkrieg angepflanzt, die Engländer wollten sie fällen und als Brennholz den bibbernden Kölnern zuteilen lassen, ab in die Kanonenöfen.

Aber nicht mit Adenauer: »Die Holzmenge ... wäre meines Erachtens ein Tropfen auf einem heißen Stein gewesen ... Auf der anderen Seite wäre der Stadt Köln ... ein unabsehbarer Schaden zugefügt worden, der in Jahrzehnten nicht wieder gut gemacht werden könnte.«

Die Engländer ärgerten sich auch über ein Adenauer-Interview mit der amerikanischen Nachrichtenagentur AP. Darin hatte der OB, wie er selber zugab, »in sehr unterstrichener Weise« seine »Befürchtungen wegen der Absicht der Alliierten, der deutschen Bevölkerung keine Kohle zum Kochen zu geben, zur Kenntnis

gebracht« und auf die »sehr verwerflichen Folgen« hingewiesen: »Tod ungezählter Tausender, Schwächung der übrigen durch Krankheiten, Epidemien«. Der Tag nach dem Interview war der letzte als OB im Leben des Dr. Adenauer.

Nun auch noch Görlingers Agentenbericht, der »seine Wirkung«, nahm Adenauer gern an, und vielleicht war es ja auch so, »nicht verfehlte«. Görlinger hatte gemeldet: »Die frühere sozialdemokratische Arbeiterschaft und auch die kommunistische Arbeiterschaft ist ... auf das tiefste entrüstet über die Politik, die von Adenauer ... gestützt auf den katholischen Klerus in Köln, geführt wird.«

Der Sozi zitierte auch noch aus einem Adenauer-Schreiben an den amerikanischen General Dwight D. Eisenhower, in dem der OB die Frage aufgeworfen hatte, »ob nicht die Ausmerzung der Nazis gemildert werden könne«.

Dabei hatte Adenauer mit dem Klerus so viel nicht mehr im Sinn. Er verübelte ihm das Taktieren, Kollaborieren und Fraternisieren im Dritten Reich: _____« Nach meiner Meinung ... tragen die Bischöfe und der » _____« Klerus eine große Schuld an den Vorgängen in den » _____« Konzentrationslagern ... Das deutsche Volk, auch Bischöfe » _____« und Klerus zum großen Teil, sind auf die » _____« nationalsozialistische Agitation eingegangen ... Man kann » _____« also wirklich nicht behaupten, daß die Öffentlichkeit » _____« nicht gewußt habe, daß die nationalsozialistische » _____« Regierung und die Heeresleitung ständig aus Grundsatz » _____« gegen das Naturrecht ... und gegen die einfachsten Gebote » _____« der Menschlichkeit verstießen. » _____« Ich glaube, daß, wenn die Bischöfe alle miteinander » _____« an einem bestimmten Tag öffentlich von den Kanzeln aus » _____« dagegen Stellung genommen hätten, sie vieles hätten » _____« verhüten können. Das ist nicht geschehen, und dafür gibt » _____« es keine Entschuldigung. Wenn die Bischöfe dadurch ins » _____« Gefängnis oder in Konzentrationslager gekommen wären, so » _____« wäre das kein Schaden, im Gegenteil. Alles das ist nicht » _____« geschehen, und darum schweigt man am besten (23. Februar » _____« 1946 an Pastor Bernhard Custodis). »

Für die Sünden der kleinen und etwas größeren Nazis hatte Adenauer dagegen mehr Verständnis, um so eher, wenn sie mit ihm zu tun gehabt hatten, und sei es für jenen Gestapo-Mann, der den KZ-Häftling Adenauer bewacht hatte und nun wieder schnell zur Polizei wollte. Das schlug sich nieder in zahlreichen Persilscheinen, in denen er sich ihrer annahm: _____« Soviel ich weiß, war Dr. Franz Klee Angehöriger der » _____« SS. Er hat trotzdem während der vergangenen Jahre, als » _____« ich von der nationalsozialistischen Regierung verfolgt » _____« wurde, meine Familienangehörigen in hingebender Weise » _____« behandelt. Er hat mir damals auch erzählt, daß er » _____« jüdische Patienten behandelt (14. September 1945, » _____« Bescheinigung). » _____« Der Überbringer dieses Briefes Anton Sassy war zu der » _____« Staatspolizeistelle kommandiert, als ich im August 1944 » _____« im Lager Köln Messe war. Er hat sich mir gegenüber » _____« correkt benommen, soviel ich gesehen habe, auch gegenüber » _____« den anderen Häftlingen. Ich bitte Sie, ihn zu empfangen » _____« und ihn anzuhören (14. Januar 1946 an den Kölner » _____« Polizeipräsidenten). »

Wenige Tage nach der Entlassung lockerte die Militärregierung, offenbar auf Drängen prominenter englischer Adenauer-Freunde in London, den Bann. Adenauer durfte sich wieder politisch betätigen. Befreit von der Bürde des Amtes, machte er sich an den Aufbau der Christlich-Demokratischen Union und vollbrachte damit eine historische Großtat: Statt das katholische Zentrum neu zu beleben, schuf er eine Massenpartei für Christen jeglicher Konfession.

»Ich habe mich in das parteipolitische Leben hineinbegeben müssen, sehr ungern und wider Willen«, klagt er gleichwohl in einem Brief, »aber es blieb nichts anderes übrig.«

Sogleich, noch bevor die Union auch nur auf Zonen-Ebene gegründet worden war, Orts- und Kreisverbände noch unabhängig und oft ohne Kenntnis voneinander wurstelten und mit unterschiedlichen Programmen hervortraten, verhielt er sich wie der Chef vom Ganzen und wurde auch akzeptiert, allerdings nicht von der »Reichsleitung« in Berlin unter seinem Widersacher Jakob Kaiser.

Aber zunächst mußte das Zentrum, dem er seit 1906 selber angehört hatte, entweder gewonnen oder auf Null gebracht werden: _____« Ich bitte Sie nunmehr, Ihre Konfratres in den in » _____« Frage kommenden Gegenden Rheinlands und Westfalens » _____« möglichst bald davon in Kenntnis zu setzen, worum es sich » _____« bei der Zentrumspartei eigentlich handelt. Ich glaube, » _____« daß, wenn dieser Partei die ihr von manchen Geistlichen » _____« in Verkennung ihres wahren Charakters geleistete » _____« Hilfestellung entzogen wird, sie sehr bald völlig » _____« bedeutungslos werden wird (15. April 1946 an katholische » _____« Geistliche). » _____« Gehen Sie mit gutem Mut an diese Besprechung mit » _____« Angehörigen der Zentrumspartei heran! Wenn es nicht » _____« gelingt, die ganze Sache auf einmal zu machen, dann muß » _____« man eben Stück für Stück » _(Reichsinnenminister Wilhelm Frick (2. v. ) _(r.), Reichspropagandaminister Joseph ) _(Goebbels (r.). ) _____« herauszubrechen versuchen (3. Dezember 1946 an » _____« Diözesanpräses Caspar Schulte, Paderborn). »

Über Prinzipien und Ziele der Christlich-Demokratischen Union äußerte sich Adenauer ausführlich in einem Brief vom 21. August 1945 an den Oberbürgermeister von München, Karl Scharnagel, der dabei war, die Christlich-Soziale Union aufzubauen: _____« Ich und sehr viele mit mir würden es sehr bedauern, » _____« wenn gegenüber einer so starken Verbindung, wie die » _____« Sozial-Demokraten und Kommunisten darstellen, die » _____« Vertreter der christlichen Grundsätze sich in deren » _____« Parteien zersplittern und somit ihre Bedeutung und ihren » _____« Einfluß selbst mindern würden. » _____« Allein eine Zusammenfassung in einer solchen Partei » _____« würde gegenüber achristlichen Parteien die Vertreterin » _____« des christlichen Prinzips sein, und ich glaube, daß unser » _____« Volk nur dann wieder gesunden kann, wenn in ihm das » _____« christliche Prinzip wieder herrschen wird. Ich glaube » _____« weiter, daß lediglich dadurch ein starker Widerstand » _____« gegen die Staatsform und Ideenwelt des Ostens - Rußland - » _____« und ein gedankenmäßiger und kultureller und damit auch » _____« ein außenpolitischer Anschluß an West-Europa gesichert » _____« werden kann. » _____« Was das Programm der Christlichen-Demokratischen » _____« Partei angeht, so war man sich darüber einig, daß es » _____« unmöglich sei in einer derartig fluktuierenden Zeit wie » _____« der gegenwärtigen ein ins Einzelne gehendes » _____« Parteiprogramm aufzustellen. Man läuft sonst Gefahr, daß » _____« schon in wenigen Monaten jetzt genau festgelegte Sätze » _____« und Forderungen über Bord geworfen werden müßten ... » _____« Falls aus den Verhältnissen Bayerns heraus eine dort » _____« entstehende Bayerische Landesgruppe für sich einige mit » _____« dem übrigen Inhalt des noch genauer festzustellenden » _____« Parteiprogramms nicht in Widerspruch stehende besondere » _____« Punkte wünscht, so würde dem m. E. nichts entgegenstehen. » _____« Man muß natürlich immer darauf bedacht sein, daß die » _____« Einheit der Partei und die Geschlossenheit ihrer Führung » _____« nicht darunter leiden darf. »

Was das Wort »christlich« im Parteinamen anginge, so lasse sich »manches dagegen« sagen, einiges aber »auch dafür«. Einem Freidemokraten, den und dessen Anhang Adenauer gern für die Union gewonnen hätte, schrieb er, »man sollte sich nicht zu lange damit aufhalten": _____« Aus Ihrem Schreiben ... scheint mir hervorzugehen, » _____« daß Ihnen das Wort »christlich« im Parteinamen nicht » _____« gefällt ... Wir wollen keine Religionsgemeinschaft oder » _____« dgl., wir verlangen nicht von unsern Mitgliedern, daß sie » _____« sich zu einem bestimmten christlichen Bekenntnis bekennen » _____« ... » _____« Wir erblicken wie Sie in der materialistischen » _____« Weltauffassung den Todfeind des deutschen Volkes und » _____« überhaupt Europas, ihn wollen wir bekämpfen, der » _____« materialistischen Weltauffassung die christliche ... » _____« gegenüberstellen (14. Februar 1946 an Landrat Wilhelm » _____« Heile, Syke). »

So gesehen, spielte das Wort »christlich« für Adenauer, der sonst nicht gern um Worte stritt, eine eminent wichtige Rolle, taktisch und strategisch. Denn das politische Konzept des alten Mannes war längst auf einen vulgär empfundenen Antikommunismus geronnen, der die Weltpolitik wie die Innenpolitik bestimme: hie das christliche Abendland, da der heidnische Materialismus, auch »Asien« genannt - inklusive SPD (CDU-Wahlkampfslogan: »Untergang Deutschlands") und Gewerkschaften, die, wie Adenauer fürchtete, eine »neue Diktatur errichten« könnten.

Das Programmatische, so dürftig es sich stets ausnahm, blieb unverrückbar. Wenn erst das Krisenmanagement der Nachkriegsjahre geschafft war und nun

richtig Politik gemacht werden müßte, stand für Adenauer die Richtung längst fest. Daraus erschließt sich von selbst, warum es in seinen Briefen aus den Jahren von 1945 bis 1947 von Alltäglichem, von Mitteilungen und Handlungsanweisungen wimmelt, aber über das Konzept kaum gehandelt wird - es sei denn, führende Christdemokraten, wie Jakob Kaiser, kommen ihm in die Quere.

Adenauer sah in dem Berliner nicht nur, zu Recht, einen ernstzunehmenden Konkurrenten um die Führung der CDU, sondern auch einen gefährlichen Linksabweichler. Kaiser-Äußerungen wie »auf deutschem Boden bezw. in Berlin müsse eine Synthese zwischen Ost und West erfolgen«, »die bürgerliche Epoche sei zu Ende«, »das kommunistische Manifest sei eine Großtat«, waren dem Rheinländer ein Greuel. An die Parteifreundin Maria Sevenich schrieb er: »Sie wissen ja, wie ich über diese Liebedienerei gegenüber den Russen denke.«

Auf keinen Fall sollte Berlin wieder zum Nabel Deutschlands oder auch nur der CDU werden. Adenauer regte sich mächtig darüber auf, daß sich Kaiser und sein Berliner CDU-Landesvorstand »Reichsleitung der CDU« titulierten: »Wir haben aber diese sogenannte Reichsleitung nicht anerkannt und werden sie auch nicht anerkennen.« _____« Ich habe Herrn Kaiser ausdrücklich erklärt, daß es » _____« für den Westen wie für den Süden Deutschlands ganz » _____« ausgeschlossen sei, daß nach einer Wiedererrichtung » _____« Deutschlands die politische Zentrale des neuen » _____« Deutschlands in Berlin ihren Sitz finde. Dabei sei es » _____« ganz gleichgültig, ob und von wem der Osten besetzt sei » _____« (8. April 1946 an die Teilnehmer eines bi-zonalen CDU/ » _____« CSU-Treffens ins Stuttgart). »

Denn Berlin »ist ja doch nur Sammelname für die ''preußischen Bestrebungen''« und der Nationalsozialismus (nach Adenauer auch eine Spielart des materialistischen Sozialismus) »nichts anderes wie eine konsequente Weiterentwicklung des preußischen Staatsgedankens«.

Das heute noch bestaunte Ahlener Programm von 1947 - Sozialisierung auf rheinisch-katholisch - diente, zumindest was Adenauer angeht, nur dem Zweck, die dem CDU-Politiker unerträgliche Debatte über Verstaatlichung und Sozialisierung abzuwürgen und die Flügel der Union beieinanderzuhalten.

Das Programm enthielt »Gedanken« - Vergesellschaftung des Bergbaus und der eisenschaffenden Großindustrie, Planung und Lenkung der Wirtschaft -, die, wie Heiner Geißler rückblickend beschwichtigt, »aus der Situation verständlich sind und zur damaligen Zeit selbst konservativen Kreisen durchaus nicht fremd waren«.

Konservativen vom Schrot und Korn Adenauers waren und blieben sie allemal fremd. Schon Wendungen wie »sozial« und »christlicher Sozialismus« im Zusammenhang mit der Union mochte der

Rheinländer nicht hören. »Die neuerliche Entwicklung innerhalb der CDU, wie sie namentlich von früheren gewerkschaftlichen Kreisen betrieben wird«, erfüllte ihn »mit größter Sorge«. Drei Monate nach Verabschiedung des Ahlener Programms warnte er denn auch davor, die »Gefahren der Sozialisierung der Schlüsselbetriebe, d. h. der Verstaatlichung« zu verkennen: _____« Es ist der Anfang des totalitären Staates. Nach der » _____« ganzen Veranlagung der Deutschen würde zweifellos die » _____« wirtschaftliche Macht, wenn die Mehrheit im Staate » _____« sozialdemokratisch ist, gegen die anderen Parteien in » _____« schlimmster Weise ausgenutzt werden. Wir sehen ja schon » _____« jetzt, wie überall die Sozialdemokratie den » _____« entschiedensten Wert darauf legt, ihre Leute in alle » _____« möglichen Positionen zu bringen, und daß diejenigen, die » _____« sich nicht zu ihr bekennen, rücksichtslos verdrängt » _____« werden (6. Mai 1947 an Pater Hubert Becher). »

Denn merket, so der Alte von Rhöndorf, »daß letzten Endes nur 2 große Fronten in Europa und der Welt noch vorhanden sind: die christlich-abendländische Front, deren stärkste Stütze hier in Deutschland die CDU und die CSU ist, und die asiatische Front«, und: »Asien steht an der Elbe.«

Kurz nach Entlassung Max Adenauers aus US-Kriegsgefangenschaft.»Adenauer, Rhöndorfer Ausgabe, Briefe Band 1, 1945/47«. Hrsg. RudolfMorsey und Hans-Peter Schwarz; Siedler Verlag, West-Berlin; 792Seiten; 78 Mark.Besitznahme der Marienburg/Westpreußen. Holzschnitt aus dem Jahr1859.Reichsinnenminister Wilhelm Frick (2. v. r.),Reichspropagandaminister Joseph Goebbels (r.).

Wolfgang Malanowski
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