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SPD Die blasse Rote

aus DER SPIEGEL 47/1965

Baden-Württembergs SPD sei »besser« als die Gesamtpartei, antworteten 14 Prozent der Befragten im vorigen Jahr Godesberger Meinungsforschern. 47 Prozent sahen »keine Unterschiede«.

In diesem Jahr wurde der Unterschied evident: Baden-Württembergs SPD ist die schlechteste, die es zur Zeit zwischen Flensburg und Passau gibt. Mit einem Zweitstimmenanteil von 33 Prozent blieb sie bei der Bundestagswahl am weitesten hinter dem SPD-Bundesdurchschnitt (39,3 Prozent) zurück.

Ausgerechnet der sozialdemokratische Landesverband, der mit Fritz Erler, Alex Möller, Marta Schanzenbach, Carlo Schmid und Erwin Schoettle fünf der neun Mitglieder des SPD-Parteipräsidiums stellt, erreichte nicht einmal die SPD-Quote des schwatzen Bayern (33,2 Prozent).

Wie bei der Bundestagswahl konnten die Roten mit dem derzeit blassesten Rot auch am ersten November-Sonntag bei den baden-württembergischen. Kommunalwahlen ihren Sitz- und Stimmenanteil nur unwesentlich - und nicht einmal überall - verbessern. In Stuttgart, Heidelberg sind Offenburg wurden sogar Rückgänge der SPD-Prozentquoten registriert.

Schon gleich nach der Bundestagswahl erkannte der baden-württembergische SPD-Landespapst Alex Möller, es sei »sicher, daß mancher manches am Wahlkampf und der Wahlkampfführung aussetzen kann«.

In Bonns SPD-Baracke war man bereits in der Wahlnacht ungehalten übei die Neigung baden-württembergischer Parteigrößen; »auf Kosten der organisatorischen Kleinarbeit im Land ihre repräsentativen Posten in Bonn auszufüllen« ("Süddeutsche Zeitung").

Und Berlins linker SPD-Flügel rügte in einer Wahlanalyse, die baden-württembergischen Genossen, »die heute in quantitativ so hervorragender Weise Parteivorstand und (Bonner) Fraktionsvorstand belagern«, sollten zwecks »Bewährungsprobe ... in ihre 'Heimat zurückgesandt werden«.

Daraus wird nichts. Schon haben sich die Bonner aus Baden-Württemberg aufs neue im vordersten Glied der sozialdemokratischen Wacht am Rhein etabliert:

- Schoettle (SPIEGEL 43/1965) und

Carlo Schmid wurden abermals Vizepräsidenten des Bundestags.

- Auf Erler als Vorsitzenden kann, auf Möller als Finanzexperten mag die Bundestagsfraktion nicht verzichten.

Alex Möller trommelte für kommendes Wochenende seine Landsleute zu einer außerordentlichen Delegiertenkonferenz zusammen, die nichtöffentlich die Bundestagswahl- und Kommunalwahl-Misere diskutieren soll. Hauptreferent: Alex Möller - eben jener Motor, der den baden-württembergischen Genossen fehlt, seit er auf Bundestouren läuft.

Bis zum Jahr 1960, als die Sozialdemokraten Baden-Württemberg in einer

Allparteienkoalition mitregierten, war Alex Möller - als SPD-Fraktionsführer und Finanzausschuß-Vorsitzender im Landtag - der geheime Kabinettschef und ungekrönte König des Landes.

Souverän und taktisch geschickt zog er mit dem FDP-Ministerpräsidenten Reinhold Maier, später mit den CDU -Regierungschefs Gebhard Müller und Kurt Georg Kiesinger die Fäden. Auch die SPD-Landesminister Fritz Ulrich, Viktor Renner, Hermann Veit und Ermin Hohlwegler standen in der gestrengen Zucht des Oberaufsehers Möller.

Selber Minister in Stuttgart zu werden, war für den alerten Generaldirektor der Karlsruher Lebensversicherung AG, vielfachen Aufsichtsratsmann und Verwaltungsratsvorsitzenden des Süddeutschen Rundfunks uninteressant. Das Land hätte ihm weder vergleichbare Einkünfte gewähren noch einen dem Assekuranz-Team vergleichbaren Generalstab stellen können.

Da lockte ihn Willy Brandts Mannschaft auf das Bonner Parkett: Möller sollte und wollte in einer sozialdemokratisch geführten Bundesregierung Finanzminister werden. In Stuttgart zurück ließ er eine Partei und eine Fraktion, die gerade aus dem Regierungsboot hinausgeworfen war und sich jetzt als Opposition mit dem dominierenden Kiesinger auseinandersetzen mußte. Sie opponierte, wie die SPD In Bonn, mit wenig Erfolg.

Vom terminüberlasteten Alex Möller in Bonn aus der Ferne gesteuert, mißlang der baden-württembergischen SPD-Opposition

- das Experiment ihre Landtagsfraktion durch zwei gleichberechtigte Vorsitzende leiten zu lassen;

- die Absicht, ihren jetzigen Fraktionschef, den tüchtigen Mannheimer Bürgermeister Walter Krause, landesweit populär zu machen;

- der Versuch, den früheren Wirtschaftsminister Veit als Kiesinger -Alternative aufzubauen.

Dem CDU-Ministerpräsidenten Kiesinger behagt durchaus, daß die Roten seiner Eloquenz und seinem Image nichts annähernd Ebenbürtiges gegenüberstellen konnten. Bei der Bundestagswahl und soeben wieder bei der Kommunalwahl brachte er an brenzligen Punkten - wie in der SPD-regierten Stadt Karlsruhe - seine Popularität ins Spiel. Und prompt konnte die CDU zwei Stadtratsitze gewinnen.

Daß sich bis zur nächsten Landtagswahl in zweieinhalb Jahren ein sozialdemokratisches Kiesinger-Pendant aufbauen ließe, bezweifeln sogar Alex Möllers treueste Genossen, seit das parteinahe »Ifas«-Institut in einem vertraulichen Meinungsforschungsdokument kundtat: »Die Erfahrung der letzten Jahre lehrt, daß einem bekannten und beliebten Ministerpräsidenten mit einem Ministerpräsidenten-Kandidaten nicht beizukommen ist.«

Baden-Württembergs SPD-Chef Möller

»Mancher kann manches aussetzen«

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