Die blaue Lampe von Geiselgasteig
In Geiselgasteig bei München wird synchronisiert. Es hat sich gezeigt, daß die aufgedruckten kargen Texte, die man ausländischen Filmen auf ihren Weg durch die deutschen Lichtspielhäuser mitgab, nur ein unvollkommener Behelf sind. Das deutsche Publikum fühlt sich dabei benachteiligt, und den Filmen gereicht es auch nicht zum Vorteil.
Der erste Film, der in Geiselgasteig mit deutschem Text besprochen wird, ist »You can't take it with you« von Frank Capra, dem Regisseur des unvergessenen Filmlustspiels »Es geschah in einer Nacht« mit Clark Gable und Claudette Colbert. Der Titel wurde nicht wörtlich mit »Ihr könnt es nicht mitnehmen«, sondern frei mit »Lebenskünstler« übersetzt.
»Lebenskünstler« ist ein heiterer Film, der die Geldgier verurteilt. Er empfiehlt den Menschen, sich zur Verschönerung des Lebens ein Steckenpferdchen anzuschaffen. Angela Salloker, Ernst F. Fürbringer, Will Dohm stehen u.a. auf der Liste der deutschen Sprecher.
Für den Besucher des Synchron-Ateliers gibt es drei Möglichkeiten. Entweder es leuchtet keine Lampe über dem Eingang. Dann kann er ohne große Umstände eintreten. Es sieht im ersten Moment nicht viel anders aus wie in einem aparten Wartesaal: Bequeme Sessel, Rauchtischchen, ein paar Leute mit zum Teil leicht gelangweilten Gesichtern.
Allerdings gehört auch eine Kinoleinwand und eine Kabine zur Einrichtung. In der Kabine befindet sich, mit Kabeln und Schaltern bespickt, das Mischpult. Es ist die technische Zentrale der Synchronisation und macht auf Laien einen nahezu mystischen Eindruck.
Die zweite Möglichkeit ist: Eine rote Lampe brennt. Der Besucher darf leise hineinschleichen. Auf der Leinwand läuft ein Film, vor einem Pult und Mikrophon stehen ein paar Menschen, genau so viele, wie auf der Leinwand zu sehen sind, und sind darauf bedacht, den amerikanischen Kollegen dort oben das Wort vom Munde zu reden. Es wird geprobt
Die dritte Möglichkeit besteht ganz einfach darin, daß der Besucher brav vor der Tür stehen bleiben muß. Eine blaue Lampe leuchtet auf. Sie besagt: die synchronische Maschinerie ist in voller Tätigkeit. Die Stimmen der deutschen Sprecher werden endgültig eingefangen.
Drinnen aber erscheint im Riesenformat auf der Leinwand: 1 - 2 - 3. Es ist das »Achtung - fertig - los!« in Zahlen. Der Bildstreifen setzt ein. Die Züge der Sprecher verraten äußerste Konzentration, um die erste Lippenbewegung des amerikanischen Schauspielers nicht zu verfehlen.
Immer beredter wird der Ausdruck der deutschen Schauspieler. Unbewußt beginnen die Hände mitzuspielen. Je temperamentvoller die Vorgänge auf der Leinwand sich entwickeln, desto mehr gerät der ganze Körper in Bewegung.
Aeußerste Feinfühligkeit und Feinhörigkeit sind nötig. Jede Silbe muß beachtet werden. Synchronisation ist eine diffizile Sache.
Sprich, wie du es siehst - Angela Salloker paßt genau auf bei der Synchronisation