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Die Brillanten der Madame Galina Breschnewa

Der Historiker Roy Medwedew über Korruption und Vetternwirtschaft am Ende der Breschnew-Ära Moskau rechnet mit der Breschnew-Zeit ab: Jurij Tschurbanow, Schwiegersohn des früheren Parteichefs Leonid Breschnew und dessen Vize-Innenminister, wird jetzt vor Gericht gestellt. Er soll 650 000 Rubel genommen haben - soviel, wie ein Sowjetarbeiter in 270 Jahren verdient. Über den Lebensstil des Angeklagten und seiner Frau Galina Breschnewa berichtet der Dissident Roy Medwedew, 62, aus Moskau für den SPIEGEL. *
aus DER SPIEGEL 5/1988

Diese Frau ist jetzt 59 Jahre alt, aber sie sieht viel älter aus. Fast alle Freunde und Bekannten haben sie verlassen, mit ihrer Verwandtschaft verkehrt sie kaum noch. Sie bewohnt eine große Privat-Datscha im Ort Schukowka bei Moskau, die ihr Vater für sie kostenlos errichten ließ.

Sie ist mächtig in die Breite gegangen und unordentlich gekleidet, sie verläßt die Datscha selten. Ihr Mann, der ehemalige General Jurij Tschurbanow, 52, dem die gesamte Polizei der Sowjet-Union unterstellt war, hat alle Partei- und Staatsposten verloren und sitzt im Untersuchungsgefängnis Lefortowo. Er weiß sehr viel, seine Aussagen werfen lange Schatten nciht nur auf ihn selbst.

Seine Frau kam zweimal in eine Entziehungsanstalt, aber sie ist auch jetzt fast immer betrunken.

Die kleine Wachmannschaft, die in der Datschen-Siedlung der Spitzenfunktionäre auf Ordnung achtet, verhindert alle Versuche dieser Bewohnerin, nach Moskau zu fahren. In der Hauptstadt erzählt man sich, daß sie zuweilen nachts mit dem Spaten kontrolliere, ob die Schätze, die sie auf dem Grundstück um die große Datscha vergraben haben soll, noch da sind. Sie liest keine Zeitungen und begreift schlecht, was für eine »Perestroika« sich ereignet - in unserem Land, wo sie ein Leben voller Abenteuer und Liebschaften hemmungslos und heiter ausleben konnte.

Galina Breschnewa, die Tochter des vor fünf Jahren verstorbenen Generalsekretärs der KPdSU Leonid Iljitsch Breschnew, bereitete ihrem Vater fast nur Ungelegenheiten.

Schon in der Schule zeichnete sie sich durch einen frechen und eigenwilligen Charakter aus, für Politik und Vaters Karriere interessierte sie sich nicht. Einige Zeit studierte sie Literatur am Pädagogischen Institut Dnepropetrowsk, dann Philologie an der Uni Kischinjow. Weder für die Wissenschaft noch für Erziehung hat sie sich je erwärmt.

Eine ihrer Kommilitoninnen erinnert sich, daß Breschnew seinerzeit als Parteichef der Unionsrepublik (Bundesland) Moldawien in die Universität kam und die Studentinnen aus ihrer Gruppe bat, seine Tochter irgendwie zu beeinflussen, dem Jugendverband Komsomol beizutreten: »Das ist sehr schlecht - ich leite die Parteiorganisation der ganzen Republik, meine Tochter aber will nicht einmal dem Komsomol beitreten.«

1951 gab der Wanderzirkus »Schapito« ein Gastspiel in Kischinjow. Galina besuchte jede Vorstellung. Sie verliebte sich in Jewgenij Milajew, einen Kraftmenschen und Akrobaten, der eine Pyramide aus einem Dutzend Menschen hochstemmen konnte. Als der Zirkus Kischinjow wieder verließ, zog Galina mit, Milajew wurde ihr erster Ehemann.

In die Familie ihres Vaters kehrte sie erst nach einem Jahr zurück, mit einer Tochter, für die nun Leonid Breschnews Ehefrau Wiktorija sorgte.

Galina war mit Milajew acht Jahre zusammen, zur Scheidung kam es nach stündigen Strietereien, bei denen Galinas Eltern stets die Partei ihres Mannes ergriffen. Breschnew und seine Frau hingen an ihrem Enkelkind und bewahrten gute Beziehungen zu dem Kindesvater, der den Zirkus verließ und später zum »Verdienten Schauspieler« der Russischen Föderation, dann sogar aum »Volksschauspieler der UdSSR« und »Helden der Sozialistischen Arbeit« ernannt wurde, schließlich zum Direktor des neuen Moskauer Zirkus in der Wernadskistraße aufstieg. Er starb 1983.

Nach der Trennung von Milajew blieb Galina beim Zirkus - dort hatte sie jetzt viele Verehrer und Freunde. Als Breschnew 1960 zum erstenmal Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjet der UdSSR wurde, ließ er sich nicht nur von seiner Frau, sondern auch der 32jährigen Tochter beim Staatsbesuch nach Jugoslawien begleiten. Ihr Benehmen und die extravagante Kleidung aber erregten eine zu große Aufmerksamkeit bei der _(1977; sitzend : Wiktorija und Leonie ) _(Breschnew; zweite v. l.: Galina-Tochter ) _(Wiktorija (aus der Ehe mit dem Artisten ) _(Milajew); vierter v. r.: Breschnew-Sohn ) _(Jurij. )

Presse, und so nahm Leonid Iljitsch seine Tochter nie mehr in andere Länder mit.

Galina genoß die Protektion des Chefs der Verwaltung aller Zirkusse des Landes, Anatolij Kolewatow. So durfte sie mit verschiedenen Zirkustruppen in fremde Länder reisen - inkognito: Niemand im AUsland wußte, daß eine der bescheidenen Zirkus-Angestellten die Breschnew-Tochter war. Sie bestach Kolewatow nicht, wie es andere Artisten taten, die ins Ausland wollten, sie beschenkte die Kolewatow-Familie mit ihrer Protektion.

Die nächste passion der nunmehr 35jährigen Galina war der 20jährige Igor Kio, Sohn des berühmten Illusionisten Emile Renard (Künstlername: »Kio"), nach dessen Tod die Söhne Emil und Igor seine Ausrüstung und seine Nummer erbten. Galina und Igor tauchten in einem Kurort im Süden auf dem lokalen Standesamt auf und verlangten die förmliche Registrierung ihrer Beziehung.

In der UdSSR ist eine sofortige Eheschließung verboten, Braut und Bräutigam müssen eine Erklärung abgeben und dann eine »Probezeit« abwarten. Die Leiterin des Standesamts wagte es aber nicht, der herrischen Breschnew-Tochter zu widersprechen, und erklärte Galina und Igor für getraut.

Als Breschnew davon erfuhr, packte ihn der Zorn. Bald landete auf dem nächsten Flugplatz nahe der Wohnung des Paares eine Maschine, der einige kräftige Männer entstiegen. Sie ersuchten Galina, sofort nach Moskau zurückzukehren. Igor Kio wurde aufs Polizeirevier zitiert, wo er einen neuen Personalausweis erhielt - ohne den Vermerk »Verheiratet«.

Nun versuchte Breschnew es mit Strenge. Galina mußte bei den Eltern leben, bei der Presseagentur Nowosti arbeiten und sich sogar wissenschaftlich betätigen. In den Intervallen zwischen ihren Liebschaften brachte es Galina sogar fertig, zum Doktor der Literaturwissenschaft zu promovieren.

Galinas Schmerz über die Trennung von Igor Kio dauerte nicht lange. Sie lernte einen Polizei-Oberstleutnant kennen, der allerdings sieben Jahre jünger war, eine Ehefrau und zwei Kinder hatte. Dessen Wunsch, Breschnews Schwiegersohn zu werden, war übermächtig, bald wurde Oberstleutnant Jurij Tschurbanow Galinas dritter Ehemann. Diesmal war auch der Vater zufrieden: kein Zirkusmensch, kein Akrobat, kein Clown, kein Illusionist, sondern ein handfester Polizeioffizier.

Leonid Iljitsch hoffte, Tschurbanow werde es gelingen, seine eigensinnige zweite Frau zu zähmen. Die Jungvermählten bekamen eine Wohnung in Moskau und eine Datscha unweit der Datscha des Vaters.

Tschurbanow machte schnell Karriere. 1970 schon übernahm er die Politverwaltung des Innenministeriums (MWD), 1977 wurde er Vize, 1980 Erster Stellvertreter des Innenministers Nikolai Schtscholokow, eines der nächsten Freunde Breschnews seit der Studentenzeit.

In weniger als zehn Jahren war der Schwiegersohn vom Oberstleutnant zum Generalleutnant des Innendienstes aufgestiegen. Seine Macht war gewaltig, erstreckte sich aber nicht auf seine Frau. Die beachtete ihren Mann bald nicht mehr und fand neue Freunde. Der wichtigste von ihnen war der Artist Boris Burjaze. Ein Bekannter hat mir darüber berichtet:

»Das erste Mal bin ich Galina Breschnewa 1977 begegnet. Es war im Sommer, im ''Haus der Kreativität'' der Theatergesellschaft in Misschor auf der Krim. Von der Datscha ihres Vaters aus besuchte sie ihren Liebhaber Boris Burjaze, einen Zigeuner. Er war damals 29 Jahre alt und hatte gerade die Abteilung Musickomödie am Institut für Theaterkünste abgeschlossen. Sein Tenor war nicht schlecht, die schauspielerischen Qualitäten eher mager: ein hübscher Brünetter mit graugrünen Augen, für sein Alter ziemlich korpulent.

An seinem Finger glitzerte ein Siegelring mit einem riesigen Brillanten, am Hals hing eine dicke geschlungene Goldkette, die er auch beim Baden nicht

abnahm. Manchmal las er, häufiger spielte er Karten.

Boris bewohnte ein Zwei-Zimmer-Luxus-Appartement mit separater Dusche, Fernseher und Kühlschrank. Auf dem Tisch stand schwarzer Kaviar in großen Blechdosen, die Schaschliks bereitete man am Strand. Es wurden frischgebackenes Brot, Zunge, Krebse, Weintrauben, Wassermelonen, Champagner und Wodka gereicht. Alle diese - dem normalen Urlauber unzugänglichen - Delikatessen lieferte Galina Breschnewa-Tschurbanowa, die ab und zu mit Chauffeur Walera in einem weißen ''Wolga'' auftauchte.

Sie war eine gewichtige, große Frau, die man bei aller Nachsicht nicht hübsch nennen konnte. An den Vater erinnerten ihre groben, kräftigen Gesichtszüge, auch die dichten Augenbrauen; die dunklen Haare trug sie geknotet. Am Strand erschien sie in einem knöchellangen Seidenmantel. Ihre Reden waren oft mit groben Schimpfworten durchsetzt.

Sie war eifersüchtig, machte Boris Szenen - häufig nur deshalb, weil er weggegangen war, ohne ihr Bescheid zu sagen, statt den ganzen Tag auf ihren Anruf zu warten. Er war dazu verurteilt, ewiger Liebhaber der »Madame« (so nannte Michail sie, der Bruder von Boris) zu bleiben.

Boris war schlau, taktisch-höflich. Er trank nur Champagner und hatte sich immer in der Gewalt. Galina verachtete ihren 40jährigen Generalsmann und konnte hysterisch werden, wenn Boris sie daran erinnerte, daß es Zeit sei heimzufahren, um Papa und Mama nicht zu verärgern.

Manchmal sprach sie vom Vater, der trotz Alter und Krankheit täglich im Schwarzen Meer badete. Man schwätzt viel über ihn, sagte sie, aber er kämpft doch für den Frieden. Wenn sie betrunken war, sagte sie laut: ''Ich liebe die Kunst, mein Mann aber ist ein General.''« Soweit der Bericht meines Bekannten.

Boris Burjaze lebte in Moskau in einer großen, von Galina geschenkten Genossenschaftswohnung in der Tschechowstraße. Die Zimmer waren prachtvoll ausgestattet, mit Galinas Hilfe; sie hatte viele sehr seltene Ikonen und Antiquitäten. Boris besaß eine Menge teurer Brillanten, die Freunde nannten ihn unter sich manchmal »Boris Brilliantow«. Längst vorüber war die Zeit, da er im Zigeunertheater »Romän« spielte und als Untermieter in einer fremden Wohnung lebte. Jetzt war er am Bolschoi angestellt, erst als Statist, dann als Schauspieler, obwohl er kaum eingesetzt wurde.

Die Freundschaft mit Galina Breschnewa machte ihn zu einem einflußreichen Mann, doch einige seiner Beziehungen reichten bis zum Bodensatz der halblegalen Unterwelt Moskaus. In seiner Wohnung gab er oft Partys mit seinen und ihren Freunden; die Speisen waren noch exquisiter als auf der Krim.

Das ist nicht verwunderlich. Einer der engsten Freunde Galinas wurde Jurij Sokolow, Direktor des Moskauer »Gastronom Nr. 1« oder wie die Moskauer das Delikatessengeschäft (nach dem früheren Eigentümer Jelissejew) nennen: »Jelissejewski«.

Ohne Zweifel wußte Galinas Ehemann Jurij Tschurbanow als Polizist schon von Amts wegen alles über Boris Burjaze, dessen Lebenswandel und Freunde. Ein paar Mal wurde Boris hart zusammengeschlagen, seine Freunde und sein Bruder Michail begleiteten ihn seitdem als Leibwächter.

Aber er war nicht mehr imstande, sich zu ändern. Er vertauschte nur die Goldkette am Hals gegen ein großes Platinkreuz mit Brillanten. Tschurbanow mußte sich mit den Launen und Lastern seiner Frau abfinden - wenn er sie verlieren würde, so fürchtete er, wäre auch das Wohlwollen ihres Vaters dahin gewesen.

Galina entwickelte eine Leidenschaft für Brillanten. Sie verfolgte das Eintreffen der besten Stücke in den Moskauer Juwelierläden und kaufte die teuersten auf. Einmal wollte ein reicher Kaukasier in einem Juweliergeschäft einen sehr teuren Brillanten erwerben. Die Chefin sagte ihm: »Dieses Stück steht nicht zum Verkauf.« Nach einigen Tagen entdeckte der Kunde, daß dieser Brillant nicht mehr im Schaufenster lag. Die Geschäftsführerin rechtfertigte sich: »Was sollte ich denn machen, Galina Breschnewa hat ihn persönlich gekauft.« Wenn

Galina das Geld fehlte, hinterließ sie Schuldscheine, nicht wenige davon liegen heute in den Juwelierläden. Meistens hatte sie aber Geld, in beträchtlichen Mengen. Sie bekam es nicht vom Vater und nicht von der Mutter. Ihr Gehalt war auch nicht so üppig. Sie arbeitete nun im Außenministerium, in einer Abteilung, die den Urlaub für die Diplomaten organisiert, und vornehmlich für deren Ehefrauen, die sich in Moskau langweilten.

Auch ohne sich an Vater oder Ehemann wenden zu müssen, konnte sie ihren Besuchern kleine Hilfen leisten - einen Posten beschaffen oder manchmal auch eine Strafuntersuchung verhindern. Zusammen mit ihrer Freundin, der Frau des Innenministers Schtscholokow, verfügte sie über eine Verdienstquelle eigener Art: Spekulation mit Brillanten.

Bekanntlich stiegen die Diamanten- und Goldschmuckpreise in unserem Land von Ende der sechziger bis Anfang der achtziger Jahre um das Dreifache. In den siebziger Jahren verteuerten sich Gold und Schmuck auch auf dem Weltmarkt. Es herrschte eine strenge Regel: Einige Tage vor der Preiserhöhung stellten die Juwelierläden den Handel ein. Bevor aber die Läden »zur Inventur« schlossen, kauften Galina Breschnewa und ihre Geschäftsfreundin Schtscholokowa für Hunderttausende Rubel Brillanten und anderen Schmuck auf.

Nach der Preiserhöhung wurden die »Steinchen« im Handel wieder angeboten. Bei Galina verblieben der Mehrwert und ein Teil der erworbenen Brillanten.

Als in der Lawotschkinstraße eine große Juwelenfabrik eingerichtet worden war, begann Galina, eigens für sie entworfenen Schmuck zu bestellen. Auch in der Fabrik ließ sie oft Schuldscheine zurück, die Familien des Zirkusdirektors Kolewatow und des »Gastronom«-Chefs Sokolow beteiligten sich gleichfalls an dem Handel. Die Sucht nach Brillanten, verbunden mit dem Mißbrauch ihrer Macht, dem Glauben, sich alles erlauben zu können, hat dann auch fast alle der genannten Personen vernichtet.

Das Luxusleben, die großen Bestechungen oder »Geschenke«, der Bezug vielfältiger Eßwaren, die Manipulationen mit Edelsteinen wurden in der »Breschnew-Epoche« nicht als Sünde angesehen. Diese Lebensart kopierten viele Parteibosse in der Provinz.

Plötzlich aber nahmen die Ereignisse um die »Brillantenclique« eine ganz andere Wendung.

Am Jahresende 1981 gab es einen Festtag für den Sowjetischen Zirkus. Zu der Galavorstellung kamen alle »Stars« und ausgewählte Zirkusliebhaber. Die Frau des Zirkus-Chefs Kolewatow, die Schauspielerin Larissa Paschkowa, die Frau des Innenministers Schtscholokow und Galina Breschnewa legten ihren schönsten Schmuck an. Niemand aber zeigte so wunderschöne und große Brillanten

wie die »Volksschauspielerin der UdSSR« Irina Bugrimowa, eine berühmte Dompteuse von Löwen und Tigern.

Ihr gehörte die wahrscheinlich beste private Edelsteinsammlung des Landes. Frau Bugrimowa hatte sie von ihren Eltern geerbt. Sie wurde in der Nacht zum 31. Dezember gestohlen.

Die Untersuchungsrichter schöpften auch gegen Boris Burjaze Verdacht, was den Polizeigeneral Jurij Tschurbanow nur erfreuen konnte. Er schützte den Liebhaber seiner Frau nicht. Dessen Wohnung wurde durchsucht, Burjaze zum Verhör geladen. Früher hatte ihn Galina aus schwierigen Situationen herausgeholt, und schließlich war ihr Vater ja noch an der Macht. Burjaze zog einen Nerzmantel und Nerzstiefel an, nahm einen kleinen Hund mit und fuhr im Mercedes zum Verhör ins Lefortowo-Gefängnis.

Am Ende der Einvernahme erfuhr er, daß er festgenommen sei und das Recht habe, Verwandte zu benachrichtigen. Er nannte Galina Breschnewa.

Bei der Untersuchung im Fall Burjaze tauchten immer wieder die Namen Galina Breschnewa, ihrer Freunde Kolewatow (Zirkus) und Sokolow (Gastronom) auf, der Frau des Innenministers Schtscholokow und einiger anderer Leute, die niemand ohne die Erlaubnis des Politbüros zu verhören wagte. All dies hielt der Erste Vize-Chef des KGB unter Kontrolle: Armeegeneral Semjon Zwigun, ein Schwager Breschnews (die beiden waren mit Schwestern verheiratet).

KGB-Chef Jurij Andropow beauftragte Zwigun, mit Michail Suslow, dem zweiten Mann im ZK-Sekretariat und im Politbüro, die Lage zu besprechen. Nach der Unterredung mit Suslow vergiftete sich Zwigun zu Hause mit Zyankali. Das geschah am 19. Januar 1982. Am 29. Januar wurden der Zirkus-Chef Kolewatow und einige seiner engsten Mitarbeiter verhaftet.

Außenminister Gromyko versetzte Galina ins Archiv seines Ministeriums, damit sie den überall lauernden ausländischen Korrespondenten nicht unter die Augen kommen konnte. Einige Monate später, noch zu Breschnews Lebzeiten, wurde auch Jurij Sokolow, der »Gastronom«-Direktor, verhaftet. In seiner Wohnung hatte man Schätze im Wert von einer Million Rubel beschlagnahmt, einiges fand sich auch in seiner Datscha. In Eisenbüchsen, die auf dem Grundstück vergraben waren, verrotteten die Geldbündel.

Alle diese Ereignisse haben den Breschnew-Klan kompromittiert. Selbst im Fernsehen konnte man sehen, daß Galina bei der Beisetzung Breschnews am 15. November 1982 von zwei kräftigen Posten auf Schritt und Tritt begleitet wurde.

In den 15 Monaten der darauffolgenden Andropow-Herrschaft wurden viele der erwähnten Strafsachen abgeschlossen. Sokolow erhielt die Todesstrafe durch Erschießen, Kolewatow 13 Jahre Haft, Boris Burjaze fünf Jahre. Seine Zeit ist abgelaufen, er ist frei. Es ist aber kaum anzunehmen, daß er seine Wohnung in Moskau wiederbekommt. »Madame« Breschnewa hat er nicht aufgesucht.

Innenminister Schtscholokow wurde auf Andropows Geheiß abgesetzt und 1983 aus dem ZK der KPdSU ausgeschlossen, »wegen der in der Arbeit zugelassenen Fehler«. Gegen ihn wurde ein Untersuchungsverfahren eingeleitet. Seine Frau, die Schlimmeres erwartete, beging durch einen Sprung aus dem Fenster ihrer Wohnung Selbstmord.

Nach Andropows Tod versuchte der neue Generalsekretär Konstantin Tschernenko, dem Klan seines einstigen Patrons Breschnew zu helfen. Das Verfahren gegen Schtscholokow wurde eingestellt, der vormalige Innenminister erhielt einen Ehrenposten im Verteidigungsministerium. Galina Breschnewa erschien wieder in der Öffentlichkeit und wurde sogar anläßlich des Internationalen Frauentags am 8. März 1984 zum Empfang im Kreml geladen. Auf Andrej Gromykos persönliche Bitte bekam sie eine Pension, denn arbeitsfähig war sie nicht mehr.

Doch die Macht des kranken Tschernenko schwand, als die KGB-Organe immer neue Straftaten aufdeckten, an denen Nikolai Schtscholokow und einige andere einflußreiche Leute aus Breschnews Umgebung beteiligt gewesen waren. Am 6. November 1984 wurde Schtscholokow der militärische Rang eines Armeegenerals aberkannt. Als der Ex-Innenminister erfuhr, daß die Strafuntersuchung gegen ihn wiederaufgenommen wurde, zog er seine Paradeuniform mit allen Orden und Medaillen an, lud sein Jagdgewehr und schoß sich in den Kopf. Das war am 13. Dezember 1984.

Ein Vierteljahr danach war Tschernenko tot, und Galina Breschnewa verlor die letzte Hoffnung, ihre Sache zum Guten zu wenden. Ihr Bruder Jurij Breschnew hatte es, obwohl notorischer Alkoholiker, zum ZK-Kandidaten der KPdSU und Ersten Vize-Außenhandelsminister gebracht; am 6. März 1986 wurde er nicht mehr ins ZK gewählt und als Vizeminister am 21. April 1986 »aus Gesundheitsgründen« pensioniert, mit 53 Jahren.

Jurij Tschurbanow bekam einen minderen Posten als Vizechef der MWD-Innentruppen, flog wie Jurij Breschnew auf dem 27. Parteitag als Kandidat aus dem ZK und wurde Anfang 1987 verhaftet. Sein gesamter Besitz ist bis zum Ende des Verfahrens beschlagnahmt.

Galina Breschnewa sind ihre Kleider und Pelzmäntel geblieben. Manches davon verkauft sie jetzt, unter Klagen über ihre »Armut«. Zuweilen sieht man sie eine Tasche voller Wodkaflaschen in ihr Haus tragen.

1977; sitzend : Wiktorija und Leonie Breschnew; zweite v. l.:Galina-Tochter Wiktorija (aus der Ehe mit dem Artisten Milajew);vierter v. r.: Breschnew-Sohn Jurij.

Roy Medwedew

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