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»DIE BÜRDE WERDE ICH NICHT MEHR LOS«

aus DER SPIEGEL 46/1966

SPIEGEL: Herr Speer, als sich das Dritte Reich seinem Ende näherte, wollten Sie Adolf Hitler umbringen. Ihr Plan war im Februar 1945, Giftgas in den Führerbunker einströmen zu lassen. Das Attentat wurde nicht ausgeführt. Gleichwohl standen Sie später Hitler noch mehrere Male im vertraulichen Gespräch gegenüber.

SPEER: Ja.

SPIEGEL: Warum haben Sie dann nicht Ihre Pistole gezogen und ihn erschossen?

SPEER: Dazu hatte ich nach dem Stauffenberg-Attentat vom 20. Juli 1944 praktisch keine Gelegenheit mehr. Vor Betreten des Führerbunkers mußte man stets seine Aktenmappe abgeben. Und ein kleiner Revolver, den man in die Hosentasche stecken kann, reichte nicht

aus; man muß schon einen großkalibrigen haben.

SPIEGEL: Das war Ihr entscheidender Beweggrund, vom Attentat abzusehen?

SPEER: Der zweite Grund ist vielleicht verständlicher: Man versucht, immer noch eine kleine Chance für seine Familie zu retten. Der Gas-Plan bot die Möglichkeit, daß der Attentäter unentdeckt blieb. Hätte ich den Anschlag offen unternommen, dann wäre meine ganze Familie liquidiert worden - meine Kinder, meine Frau, meine Eltern und mein Bruder.

SPIEGEL: Sie erwogen aber doch zeitweise auch, mit einer Gruppe von Mitverschworenen, Hitler beim Verlassen des Führerbunkers zu erschießen?

SPEER: Alle diese Pläne gingen eigentlich schon in das Künstlerisch -Phantastische. Attentate haben ja, wenn sie nicht gelingen, einen starken Stich ins Lächerliche. Deshalb habe ich die Attentatspläne gegen Hitler im Nürnberger Prozeß nur kurz erwähnt, auch habe ich meinem Verteidiger Dr. Flächsner nicht gestattet, sie im Plädoyer zu verwenden - obgleich so etwas Glanzpunkt eines Plädoyers hätte sein können. Ich sagte Herrn Flächsner: Das ist geschmacklos, das wird nicht gebracht. Erst auf Fragen des Gerichts habe ich Einzelheiten geschildert.

SPIEGEL: Ist es nicht so, daß Sie auch noch in den letzten Tagen des Krieges von Hitler fasziniert waren?

SPEER: Nein, da war ich längst nicht mehr fasziniert, wie ich es 14 Jahre zuvor gewesen war.

SPIEGEL: Das war 1931.

SPEER: Ja, damals hatte Hitler eine Rede gehalten vor Studenten und Professoren der Technischen Hochschule in Berlin. Nach der Presse hätte er ein Mann sein müssen, der schreit und brüllt, mit den Fäusten auf den Tisch schlägt, dem die Mähne ins Gesicht hängt. Aber er kam an im blauen Anzug und hielt eine fundierte Vorlesung - heute weiß ich, daß das damals ein ausgesprochen guter Trick von ihm war. Aber das war eigentlich das Ereignis, das mich zu ihm führte.

SPIEGEL: Wann sind Sie Hitler zum erstenmal direkt begegnet?

SPEER: 1933. Nachdem ich das Tempelhofer Feld für die NS-Maifeier hergerichtet hatte, wurde ich nach Nürnberg gerufen, wo eine Tribüne für das Zeppelinfeld aufgestellt werden sollte. Ich entwarf eine Zeichnung, die in München genehmigt werden mußte. So stand ich plötzlich vor Hitler in seiner Wohnung. Vor sich hatte er eine Pistole, die er auseinander genommen hatte. Es hat mich irgendwie berührt, daß dieser Mann da seine Pistole selber reinigt.

SPIEGEL: Sie meinen, das hätte ein anderer für ihn tun sollen?

SPEER: Ja, ich meine doch, oder nicht?

SPIEGEL: Wie entwickelten sich Ihre Beziehungen zu Hitler weiter?

SPEER: Lange Zeit war da gar nichts. Als Hitlers Wohnung in der Reichskanzlei umgebaut wurde, leistete ich ein bißchen Hilfestellung, weil der Bauleiter aus München sich in Berlin nicht recht auskannte. Dabei sah mich Hitler gelegentlich und nahm offenbar Interesse an mir.

SPIEGEL:Wie äußerte sich das?

SPEER: Er nahm mich überraschenderweise einmal mit in seine Wohnung zum Essen. Das geschah später, als ich sozusagen sein Architekt wurde, immer häufiger. Er nahm mich auch nach Berchtesgaden mit, dort gehörte ich bald zu seinem persönlichen Kreis. Es geschah oft, daß ich abends um zehn oder elf Uhr angerufen wurde von einem Adjutanten: »Haben Sie nicht irgendwelche Pläne? Kommen Sie her, er muß mal Pläne sehen, damit er abgelenkt wird.« Dann schaute er sich bis morgens um drei irgendwelche Entwürfe von mir an.

SPIEGEL: Hitler nannte Sie einmal einen genialen Architekten.

SPEER: Hat er mir gegenüber nie gesagt, aber zu anderen.

SPIEGEL: Was empfanden Sie damals ihm gegenüber?

SPEER: Natürlich faszinierte mich in erster Linie die Möglichkeit, unumschränkt bauen zu können.

SPIEGEL: War es das allein?

SPEER: Und die Jugend dazu 1933 war ich 28 Jahre alt.

SPIEGEL: Sie sahen Ihre Chance?

SPEER: Und mehr als das. Ich sah eine Möglichkeit, in der Kunstgeschichte eine Rolle zu spielen.

SPIEGEL: Fühlten Sie darüber hinaus eine Verehrung für Hitler?

SPEER: In dieser Zeit zweifellos.

SPIEGEL: Was fanden Sie verehrungswürdig?

SPEER. Er strahlte eine große Liebenswürdigkeit aus, war sehr besorgt um mich und meine Familie. Wenn man zum Skilaufen ging und eine Stunde später als geplant zurückkam, war er schon unruhig, daß etwas passiert sein könnte.

SPIEGEL: Sie waren angetan von seinem österreichischen Charme?

SPEER: Ja, er war eben ein Österreicher - aber das bitte nicht zur Veröffentlichung.

SPIEGEL: Warum nicht?

SPEER: Um Himmels willen, ich habe viele gute Freunde in Österreich. Aber da Sie dieses Thema angeschnitten haben, können Sie es meinetwegen auch drin lassen.

SPIEGEL: Können Sie das Phänomen Hitler, wie es sich Ihnen darstellte und darstellt, näher beschreiben?

SPEER: Das möchte ich nur schriftlich formulieren - später, wenn ich mich mit der Vergangenheit einmal näher auseinandersetze. Ich möchte ein Buch schreiben. Das ist zu diffizil, und es ist zu gefährlich, einen Satz in die Welt zu setzen, von dem man dann nicht mehr loskommt.

SPIEGEL: Sie sagten einmal selbst, im Nürnberger Prozeß: »Wenn Hitler überhaupt Freunde gehabt hätte, wäre ich bestimmt einer seiner engen Freunde gewesen.« Was stand dieser Freundschaft im Wege?

SPEER: Hitlers Reserve. Letzten Endes konnte man persönlichen Kontakt mit ihm doch nicht haben.

SPIEGEL: Hitler hielt sich selber für einen begnadeten Baukünstler und meinte einmal, wenn er nicht zur Politik berufen sei, wäre er sicher Architekt geworden, »wahrscheinlich sogar einer der ersten Architekten Deutschlands«. Sind Sie auch der Ansicht?

SPEER: Ich will nicht unbedingt ausschließen, daß er Architekt hätte werden können und - in der Menge der anderen Architekten - eine gute Figur gemacht hätte. Er hat ja seine Talente gehabt ...

SPIEGEL: Talente, ein führender Architekt zu werden?

SPEER: Nein, das glaube ich nicht. Aber es wäre für alle Menschen ein großes Glück gewesen, wenn man ihm Anfang der 20er Jahre einen bescheidenen Auftrag gegeben hätte.

SPIEGEL: Eher doch einen ganz großen, an dem er möglichst lange zu tun gehabt hätte. Sie teilten mit Hitler die Vorliebe für das Monumentale: Kuppelbau für 100 000 Menschen und ein über 100 Meter hoher Triumphbogen in Berlin, Stadion für 500 000 Menschen in Nürnberg - so sahen die Pläne damals aus.

SPEER: Das ist eine Übertreibung. Das Stadion sollte 300 000 Menschen fassen, was übrigens auch noch zu viel ist. Aber was wichtiger ist: Volkshalle und Triumphbogen, die immer mir zugeschrieben werden, sind beide von Hitler persönlich - schon 1924/25 - gezeichnet worden.

SPIEGEL: Fühlten Sie sich dann als Vollstrecker der Ideen des Baumeisters Hitler?

SPEER: Nach einer ganz kurzen Zeit, gab er mir völlig freie Hand. Ich fühle mich also für das, was ich bauen wollte, verantwortlich. Aber was diese beiden Zeichnungen angeht, so habe ich unter die Pläne, die ich in meinem Büro vergrößern ließ, drei Sternchen gemacht.

SPIEGEL: Was heißt das?

SPEER: Das heißt: Ich bin's nicht gewesen. Darauf hat er mich übrigens mal angesprochen und mich gebeten, mit meinem Namen zu unterschreiben. Das habe ich natürlich nicht getan. Man übernimmt als Architekt nicht die Skizze eines anderen.

SPIEGEL: Hielten Sie die beiden Entwürfe für schön?

SPEER. Mir waren die beiden Dinger etwas unheimlich, aber ich hielt sie nicht für zu groß, weder den Kosten nach, noch - nehmen wir mal das abgedroschene Wort - wegen der monumentalen Größe. In jeder Periode der Architekturgeschichte gab es Monumentalbauten.

SPIEGEL: Woher resultierte denn Ihr Unbehagen? Hatten Sie angesichts solcher pyramidaler Projekte das Gefühl, daß so etwas wie Hybris über Deutschland kam?

SPEER: Noch nicht, bei diesen beiden Bauten noch nicht. Es war das Pompöse, das Ornamentale, das mir - vor allem bei späteren Bauten - nicht gefiel. Im Deutschen Hof zu Nürnberg, zum Beispiel, lag ein Teppich, der war übersät mit Hakenkreuzen. Und das Toilettenpapier steckte in einem Umschlag, auf dem ebenfalls ein Hakenkreuz zu sehen war. Darüber habe ich mich natürlich mokiert.

SPIEGEL: Entsprang das, was Hitler künstlerisch zur verpflichtenden Norm erhob, der Vorstellungswelt des gescheiterten Kunstschülers?

SPEER: Was ihm vorschwebte, entsprach ungefähr der Kunstwelt kurz vor dem. Ersten Weltkrieg. Ich habe mir in Spandau die alten Jahrgänge der deutschen Bauzeitungen von 1890 bis 1916 alle kommen lassen, um dieses Problem mal ein bißchen zu studieren.

SPIEGEL: Aber Sie waren angetan von der Möglichkeit, Monumente zu schaffen, die Jahrtausende überdauern sollten?

SPEER: Ja, ich fand das ganz angebracht in der Zeit, aber ich ließ damals auch eine Perspektive anfertigen, wie

das Zeppelinfeld als Ruine aussehen würde. Etwas unheimlich, nicht?

SPIEGEL: War Ihnen klar, daß Ihre Bauwerke auch propagandistischen Zielen dienten?

SPEER: Es wäre eine Ausrede, wenn ich das nicht bejahen würde.

SPIEGEL: Ihr berühmter Lichtdom - das war ja wohl nicht nur ein technisch geglückter Beleuchtungseffekt, sondern sollte auch ein Instrument der Erleuchtung sein?

SPEER: Nein, das geht zu weit. Der Lichtdom war für mich ein Versuch, Lichtarchitektur zu machen. Wenn die Lichtbündel der Suchscheinwerfer sich oben in 15 Kilometer Höhe in der Luft zusammenschlossen und ab und zu eine Wolke durchzog - das war eine phantastische Angelegenheit, wie in einem gotischen Dom. Ich bin noch heute stolz auf diese Erfindung.

SPIEGEL: Diesen Dom entwarfen Sie für die Massenaufmärsche in Nürnberg.

SPEER: Bei den Reichsparteitagen marschierten auch die sogenannten NS-Amtswalter auf. Das taten sie in den ersten Jahren immer am Tage - ein grausamer Anblick, diese Leute mit ihren Bäuchen. Ich machte daher den Vorschlag, die Sache in die späten Abendstunden zu verlegen, in die Dunkelheit. Da waren Fahnengassen, und ich hatte Scheinwerfer aufbauen lassen, die von der großen Galerie genau auf die Fahnen ausgerichtet waren. Oben leuchtete dann dieses Blech auf, der Adler. Künstlerisch gesehen, war das eine ganz schöne Inszenierung.

SPIEGEL: Athleten waren Ihnen lieber als Dickbäuche? Sie wollten nicht den deutschen Kleinbürger aufmarschieren lassen?

SPEER. Nein, nein, mich interessierte das Bild.

SPIEGEL: War Ihnen klar, daß Ihre ästhetischen Kategorien der NS-Propaganda zupaß kamen?

SPEER: Ja, das war mir klar; Ich war ja auch nebenher in der Propagandaleitung von Goebbels. Ich erkannte durchaus, daß diese Kompositionen aus »Fahnen, Masten, Lichtern, Tribünen und Menschen« - so schreiben Sie ja in Ihrer Titelgeschichtet über mich - propagandistischen Wert hatten. Ich fand das damals in Ordnung. Sehen Sie, auch heute gibt es ja Propaganda-Elemente in der Architektur Große Bauten - etwa das Lever-Haus in New York oder das Seagram-Building - könnte man 20, 30 Prozent billiger mit demselben Nutzeffekt bauen, wenn man auf den Propagandawert verzichten würde.

SPIEGEL: Für wen macht Seagram Propaganda?

SPEER: Für Seagram-Whisky. Allein die Tatsache, daß dieses Gebäude weltberühmt ist, ist ein Propagandawert.

SPIEGEL: Sie hätten mit den gleichen Lichteffekten, mit den gleichen Steinen auch für ein anderes System kombiniert und komponiert?

SPEER: Ich muß offen zugeben, wahrscheinlich ja.

SPIEGEL: Das scheint uns ein Schlüssel zur psychologischen Beurteilung Ihrer Persönlichkeit zu sein. Manche Zeithistoriker, die sich mit Ihrer Rolle im Dritten Reich beschäftigt haben, bescheinigen Ihnen persönliche Integrität, aber zugleich die Amoral eines in seiner Sachwelt gefangenen Technokraten - also die Verhaltensweise eines Mannes, der Charakter wahrt, aber sich gegenüber dem Terror, etwa in den Konzentrationslagern, verschließt, als fände dieser gar nicht statt.

SPEER: Ja, es war das fundamental Falsche in dieser Zeit, daß man sich von den Ereignissen separierte, die einem unangenehm waren. Man fühlte sich nur verantwortlich für seinen Sektor.

SPIEGEL: Dieser Sektor hieß nun, von, 1942 an, nicht mehr Architektur, sondern Rüstung. Sie wurden Nachfolger von Todt.

SPEER: Als mir Hitler diesen Posten antrug, war ich gerade im Führerhauptquartier bei Rastenburg. Am Abend zuvor hatte ich mit Todt noch zu Abend gegessen, wobei er mich einlud, am darauffolgenden Tag mit ihm in seiner Maschine nach Berlin zurückzufliegen. Das paßte mir sehr gut, aber als Hitler hörte, daß ich da war, wollte er mich noch sprechen. Das dauerte dann bis drei Uhr morgens, und so sagte ich dem Adjutanten von Todt ab. Todt flog allein.

SPIEGEL: Und wenn Sie mit ihm geflogen wären ...

SPEER: ... wäre ich abgestürzt. So ist das manchmal im Leben. Um acht Uhr rief mich jemand an, ich war noch im Halbschlaf, und teilte mir mit, daß Todt beim Absturz seiner Maschine ums Leben gekommen sei. Drei Stunden später wurde ich zu Hitler gerufen.

SPIEGEL: Waren Sie auch in Ihrer neuen Tätigkeit von Hitler beeindruckt? Manche Beobachter attestieren ihm außerordentliches Spezialwissen über die deutsche Waffenentwicklung und über Arinierungen der Feindmächte.

SPEER: Er verblüffte durch ein gutes Gedächtnis, besonders von Zahlen. Er hatte auch gewisse gute Ideen, zum Beispiel, bei Panzern auf die Einführung des Langrohrgeschützes zu dringen.

SPIEGEL: Er gab auch den Anstoß zum Bau des Tiger-Panzers?

SPEER: Ja, aber es ist die Frage, ob diese Idee glücklich war. Der Tiger war ursprünglich ausgelegt als Panther, als schneller, in der Geschwindigkeit dem Gegner überlegener Panzer. Indem dieser Konzeption der Tiger oktroyiert wurde, entstand ein ziemlich langsamer, unbeweglicher Panzer. Die Fachleute vom Waffenamt und auch die Panzer -Leute an der Front, wie General Guderian, waren gegen die Überbelastung der Fahrzeuge, die ihre Wirksamkeit einschränkt.

SPIEGEL: Hitler war in der Rüstung, wie in der Architektur, Dilettant?

SPEER: Durchaus dilettantisch, und es war verheerend, daß er immer wieder neue Ideen hatte, beispielsweise für eine Vielfalt von Kalibern plädierte

- was ein Chaos im Nachschub bedingte.

SPIEGEL: Konnten ihn denn die Fachleute nicht entsprechend beraten?

SPEER: Sie konnten sich kein Gehör verschaffen.

SPIEGEL: Jede Schnapsidee wurde ausgeführt? Hitler wollte ja auch mal einen 180-Tonnen-Panzer namens Mäuschen haben, und er phantasierte zeitweise sogar von Panzern mit einem Gewicht von 1500 Tonnen. Hätten Sie das Mäuschen auch bauen lassen, wenn es gewünscht worden wäre?

SPEER: Ja, der wäre in ganz kleinen Stückzahlen gebaut worden, als Souvenir.

SPIEGEL: Aber Sie waren sich doch darüber im klaren, daß das militärisch Unsinn gewesen wäre.

SPEER: Darüber waren wir uns alle im klaren. Aber das war seine Idee, da konnten wir nichts machen. Hitler war nun einmal Oberbefehlshaber des Heeres. Außerdem hat der Rüstungs- oder Produktionsminister das zu produzieren, was die Wehrmachtsteile bei ihm anfordern. Man muß dabei stark genug sein, unmögliche Anforderungen zurückzuweisen und die Sache irgendwie zu arrangieren. Das ist ein dauernder Kuhhandel.

SPIEGEL: Kuhhandel wurde wohl auch um den ersten Düsen-Jäger der Welt getrieben, die Me 262.

SPEER: Das war eine Tragikomödie. Das Triebwerk der Me 262 habe ich schon 1941 in Rostock auf dem Prüfstand gesehen. Dann stoppte Hitler diese Entwicklung - bis ihm 1944 ein englischer Zeitungsausschnitt in die Hände fiel, in dem von einer britischen Strahltriebkonstruktion die Rede war. Da schlug er auf den Tisch und fragte: »Wo bleibt unser Strahlflugzeug?«

SPIEGEL: Das sollte aber nun kein Jagdflugzeug mehr werden, sondern ein Bomber?

SPEER: Das kam wieder später - eine dieser Ideen, die kein Mensch verstand. Dabei war das lächerlich. Die Maschine konnte nur ein Bombengewicht von 250 Kilo tragen, während sie als Jäger gegen die alliierten Bomberpulks verheerend hätte wirken können. Und das war ja mittlerweile meine Hauptaufgabe geworden: die Reparierung von Bombenschäden, die die Alliierten der deutschen Industrie zufügten.

SPIEGEL: Es war, wie Sie selbst einmal sagten, ein Wettlauf zwischen Zerstörung und Wiederaufbau.

SPEER: Und den hätten die Alliierten, wenn sie konsequent vorgegangen wären, sehr viel früher gewinnen können.

SPIEGEL: Würden Sie uns das erläutern?

SPEER: Ein Beispiel: Die Engländer bombardierten im Mai 1943 die Möhnetalsperre. So etwas barg eine große Gefahr: Durch das Wasser waren einmal die Elektrizitätswerke im Tal überschwemmt und infolgedessen zunächst unbrauchbar. Viel schlimmer aber war, daß die Möhnetalsperre, wenn sie komplett ausgefallen wäre, kein Wasser mehr für die Stahlwerke hätte liefern können. Wenn die Engländer systematisch alle Talsperren in dieser Region zerstört oder doch immer wieder angegriffen hätten, so wäre unsere Stahlindustrie nach geraumer Zeit praktisch ausgefallen. In dieser Beziehung hat die Royal Air Forte vollständig versagt.

SPIEGEL: Und die Amerikaner?

SPEER: Die gingen anders vor. Die haben - allerdings erst später - an einem Tag unsere Hydrierwerke systematisch so erledigt, daß nur noch fünf Prozent der Kapazität übrigblieb.

SPIEGEL: Der Krieg wäre also früher zu Ende gewesen, wenn die Alliierten systematisch die deutsche Rüstungsproduktion an einem Engpaß unterbrochen und dafür gesorgt hätten, daß diese Unterbrechung fortgedauert hätte?

SPEER: Ja, dann wäre der Krieg zu Ende gewesen. Nehmen Sie zum Beispiel die Bombardements auf Schweinfurt. Dort war fast die gesamte deutsche Kugellagerindustrie konzentriert. Die Briten richteten mit ihrem ersten Bombenangriff auf Schweinfurt schwere Zerstörungen an. Aber dann ließen sie uns in Ruhe. Teils bauten wir Schweinfurt wieder auf, teils dezentralisierten wir die Werke. Zum Trost sei den Engländern gesagt, daß der Generalstab der deutschen Luftwaffe mit seinen Vergeltungsangriffen auf England genau so falsch lag.

SPIEGEL: Sie selbst sagten einmal, daß ohne Ihr Zutun der Krieg vielleicht schon 1942/1943 beendet worden wäre. Worauf stützte sich das?

SPEER: Auf eine Bemerkung von Generaloberst Fromm, des Oberbefehlshabers des Ersatzheeres. Fromm machte mir - so März/April 1942 - eine Rechnung auf, daß in zwei bis drei Monaten die Munition ausgehen würde. Wir steigerten dann ganz schnell die Produktion. Wenn uns das nicht gelungen wäre, wäre sicherlich eine für uns katastrophale Entwicklung eingetreten.

SPIEGEL: Wann erkannten Sie, unter dem Gesichtswinkel des Fachmanns, daß dieser Krieg sinnlos war?

SPEER: Das war 1944. Und in diesem Jahr habe ich das auch Hitler in verschiedenen Denkschriften dargelegt, wie Sie ja wissen.

SPIEGEL: War es nur die Erkenntnis des Experten, oder hatte sich nicht auch Ihr Verhältnis zu Hitler gewandelt?

SPEER: Das hatte sich eigentlich schon in dem Augenblick gewandelt, da ich, 1942, Minister wurde. Von da an hat er mich nicht mehr als seinen Architekten behandelt, sondern als seinen Untergebenen. Als Architekt war ich etwa auf der gleichen Ebene mit ihm. Ich konnte mich mit ihm unterhalten, wie wir uns jetzt hier unterhalten.

SPIEGEL: 1944 ereignete sich, was Sie einmal als »Krise« Ihres Lebens bezeichnet haben?

SPEER: Ich war 1944 lange krank. Ich hatte eine schwere Thrombose, anschließend Lungenembolie, stand ungefähr zehn Wochen außerhalb des Geschehens und schaute gewissermaßen an die Decke.

SPIEGEL: Und da sahen Sie die deutsche Niederlage? Hat Ihnen diese Einsicht des Fachmanns auch die Augen geöffnet, das NS-System zu durchschauen?

SPEER: Das mag sein. Auf jeden Fall verlor Hitler damals für mich seine Glorie.

SPIEGEL: Weil Sie erkannten, daß er nicht mehr unwiderstehlich Erfolg hatte?

SPEER: Das wird vielleicht ein Psychologe eher beurteilen können. Es mag sein, daß man in einer Dauerhypnose gefangen sein kann. Tatsache ist daß ich Hitler nicht mehr so sah wie früher.

SPIEGEL: Wie denn?

SPEER: Also ... plötzlich sah ich, daß er eine ungeheuer dicke Nase hatte. Das hatte ich zuvor nie gesehen.

SPIEGEL: Ein Schlüsselerlebnis?

SPEER: Ich fühlte mich jedenfalls freier als zuvor. Trotzdem zog ich auf meinem Gebiet noch keine Konsequenzen. Das tat ich erst in dem Augenblick, als mir klar wurde, daß Hitler das deutsche Volk ins Elend treiben wollte.

SPIEGEL: Dürfen wir fragen, ob Sie zuvor der Annahme waren, daß Hitler

das deutsche Volk in eine ehrbare und gloriose Zukunft geführt hätte?

SPEER: Nein, schon lange nicht mehr.

SPIEGEL: Seit wann?

SPEER: Zweifel hatte ich schon seit Beginn des Krieges.

SPIEGEL: Mitgegangen, mitgefangen?

SPEER: Es war von Anfang an eine unheilschwangere Atmosphäre.

SPIEGEL: Hielten Sie diesen Krieg für notwendig?

SPEER: Nein, keineswegs, in keiner Weise.

SPIEGEL: War es für Sie ein Angriffskrieg?

SPEER: Selbstverständlich. Kann man nicht anders formulieren.

SPIEGEL: Würden Sie die Kriegsschuld eindeutig bei Deutschland sehen?

SPEER: Nein, nicht bei Deutschland. Bei Hitler ...

SPIEGEL: ... zumal er Österreicher war?

SPEER: Damals, als der Krieg begann, waren gerade die einfachen Menschen in Berlin ausgesprochen deprimiert - kein Vergleich zu 1914.

SPIEGEL: Wer war begeistert? Die NS-Prominenz? Goebbels?

SPEER: Der war dagegen.

SPIEGEL: Man fragt sich unwillkürlich: Das Volk hat's nicht gewollt, Goebbels hat es nicht gewollt, Sie haben es nicht gewollt. Wer war es denn?

SPEER: Das ist eine Frage, auf die es kein Ausweichen gibt. Ich kann nur für mich selber sprechen. Ich hatte bei Kriegsbeginn eine dunkle Vorahnung, auf der anderen Seite glaubte ich aber auch daran, daß Hitler, nachdem er so viele Erfolge errungen hatte, nun auch wieder Erfolg haben würde.

SPIEGEL: Haben Sie sich einmal vorgestellt, wie Deutschland ausgesehen haben würde, wenn es den Krieg gewonnen hätte?

SPEER: Damals habe ich mir nur vorgestellt, daß nach dem Krieg meine Bauten alle gebaut werden würden.

SPIEGEL: Und heute?

SPEER: Heute bin ich glücklich, daß meine Bauten nicht gebaut worden sind - also, das ist ein verdammt schweres Gespräch, das wir da führen.

SPIEGEL: Gehen wir zurück in das Jahr 1944. Als Ihnen die Sinnlosigkeit des Krieges klar wurde, hatten Sie da Kontakt zu Widerstandskämpfern?

SPEER: Ich kannte eine ganze Reihe von den 20.-Juli-Leuten - Stieff, Wagner, Stauffenberg, Fellgiebel, Olbricht.

SPIEGEL: Wußten Sie, daß sich da eine Verschwörung zusammenbraute?

SPEER: Nein, aber ich wußte, wie stark gemosert wurde. Wir moserten zusammen.

SPIEGEL: Was taten Sie am 20. Juli?

SPEER: Ich hatte am 20. Juli einen Vortrag über die Rüstungslage vor der gesamten Berliner Spitze zu halten - das war im Propagandaministerium, wo es einen Saal erforderlicher Größe gab. Danach aß ich am Pariser Platz zu Mittag, als ich einen Anruf von Goebbels erhielt. Er sagte mir, es sei etwas Fürchterliches im Gange; ich möchte doch einmal zu ihm kommen, er brauche einen ruhigen Menschen um sich.

SPIEGEL: Sie gingen dann zu ihm?

SPEER: Ja, und kaum war ich da, da marschierten schon Soldaten mit Handgranaten und Gewehren auf und postierten sich vor seiner Tür. Das war das Wachbataillon. Er ließ mich dann allein, und da ich erfahren wollte, was eigentlich los war, rief ich zunächst einmal Generaloberst Fromm an, zu dem ich ein kameradschaftliches Verhältnis hatte.

SPIEGEL: Wo riefen Sie an?

SPEER: In der Bendlerstraße, dort vermutete ich Fromm. Bei dem Gespräch stellte sich aber heraus, daß Fromm nicht da war. Jedenfalls hatte ich plötzlich General Olbricht am Apparat. Ich sagte ihm, daß bei mir Leute vor der Tür stünden und ich nicht 'raus könne. Da sagte er nur: »Entschuldigen Sie bitte, das gilt gar nicht Ihnen.« Es ging alles sehr schnell. Das Gespräch war zu Ende.

SPIEGEL: Eigentlich auch schon die Verschwörung. Die Leute vom 20. Juli hatten Sie auf ihre Ministerliste gesetzt?

SPEER: Ja, das hat mich überrascht.

SPIEGEL: Hätten Sie, falls Sie von den Widerständlern zuvor kontaktiert worden wären, an der Verschwörung teilgenommen?

SPEER: Ich glaube nein.

SPIEGEL: Hätten Sie, falls die Verschwörung geglückt wäre, das Ihnen angetragene Amt des Rüstungsmanagers übernommen?

SPEER: Für eine Übergangszeit, das hab' ich mir auch damals überlegt. Dann hätte ich mich zurückgezogen.

SPIEGEL: Handelten die Verschwörer Ihrer damaligen Meinung nach richtig?

SPEER: Ich hatte - Sympathie kann ich nicht sagen - Verständnis für sie, zumal kurz zuvor durch die alliierten Angriffe auf die deutschen Hydrierwerke eine völlig andere Lage entstanden war.

SPIEGEL: Sie beurteilten die Lage wiederum aus den engen Bezirken Ihres Fachbereichs?

SPEER: Ja.

SPIEGEL: Wie beurteilen Sie den Putsch heute?

SPEER: Heute würde ich gern mitmachen. Schon im Januar 1945 verstand ich sie, denn ich kam ja in eine ähnliche Situation; heute verehre ich sie.

SPIEGEL: Sie machten dann Widerstand auf eigene Faust.

SPEER: Als im Spätsommer 1944 klarwurde, daß Hitler bei den Rückzügen alle Industrieanlagen, Wasserwerke, die Unterlagen für die Lebensmittelkartenstellen und so weiter zerstören lassen wollte, wandte ich zunächst einen Trick an. Hitler hatte ja immer in den Lagebesprechungen Optimismus zur Schau getragen und gesagt, was jetzt verlorengehe, würden wir uns später wieder holen.

SPIEGEL: Das nahmen Sie wörtlich, nicht?

SPEER: Ja, ich schickte damals ein Fernschreiben an Bormann und warf

die Frage auf, wie dieser Zerstörungsbefehl mit der Gewißheit zu vereinbaren sei, daß das verlorengegangene Gebiet zurückerobert werde, und was ich dann wohl mit der zerstörten Industrie anfangen solle. Bormann legte das Hitler vor, der zweifellos in einer Zwangslage war; denn er hätte ja zugeben müssen, daß seine optimistische Prognose nur vorgetäuscht war. Das Ergebnis war jedenfalls, daß diese Aktion abgeblasen wurde. Das war in dieser Situation ein großer Sieg.

SPIEGEL: Am 19. März 1945 gab aber Hitler dann den Vernichtungsbefehl doch heraus.

SPEER: Ja, mit einem Trick war nun nichts mehr zu machen. In Kenntnis dieses Befehls fuhr ich damals ins Ruhrgebiet und besprach mit den Gauleitern, was nun zu tun sei.

SPIEGEL: Was taten Sie konkret?

SPEER: Da war also eine ganze Reihe verantwortlicher Leute aus dem Revier, und es wurde beispielsweise beschlossen, die Zündschnüre in die Grubensümpfe zu werfen und die für die Vernichtung vorgesehenen Sprengstoffe abzutransportieren; das übernahm Oberbaurat Adam. Außerdem beschlossen wir, an die Arbeiter Maschinenpistolen zu verteilen - für den Fall, daß dennoch Sprengkommandos gekommen wären. Sie kennen die Ruhrkumpels, die lassen da nicht ihre Kohlengruben kaputtmachen.

SPIEGEL: Hitler erfuhr doch sicherlich, daß Sie seine Pläne sabotierten?

SPEER: Ja, ich machte nichts geheim. Ich wollte brüskieren, ich wollte mein Gewicht in die Waagschale werfen, um die Ausführung seiner Befehle zu verhindern. Und einer seiner Gauleiter meldete ihm das denn auch prompt. Hitler zitierte mich zu sich nach Berlin. Und dann kam eine entscheidende Besprechung, deren Verlauf bis heute noch nicht bekannt ist. Sie zeigte, daß bei ihm jemand noch etwas erreichen konnte, der den Mut hatte, sich ihm entgegenzustellen. Und ich möchte damit auch die Mär zerstören, daß ich in dieser Periode ein so besonderer Freund von Hitler gewesen wäre. Andere seiner engsten Mitarbeiter standen ihm viel näher.

SPIEGEL: Aber er empfand doch nach wie vor außerordentliche Sympathie für Sie?

SPEER: Nun, lassen Sie mich diese. Begegnung schildern: Er stellte mich wegen meiner Eigenmächtigkeit im Ruhrgebiet zur Rede und drohte: »Sie sind sich darüber im klaren, was darauf steht?« Er setzte hinzu: »Wenn Sie nicht mein Architekt wären, so würde ich die Konsequenzen ziehen.« Daraufhin gab ich ihm eine etwas impulsive - ich muß einschieben, daß ich etwas impulsiv bin, was oft mit Tapferkeit verwechselt wird -, also eine etwas impulsive Antwort: »Vollziehen Sie die Konsequenzen, die Sie für notwendig halten.«

SPIEGEL: Wie reagierte Hitler?

SPEER: Er steckte sichtlich zurück, wurde mit einem Male ganz freundlich, meinte, ich sei wohl überarbeitet: Ich solle doch auf Urlaub gehen, während ein anderer mein Ministerium in Vertretung leiten möge. Das war nun genau das, was ich auf keinen Fall wollte. Ich war entschlossen, die Nicht-Zerstörung der Industrie durchzusetzen. Das war ich schon den Arbeitern schuldig, die während des ganzen Krieges,

auch nach den schweren Bombenangriffen, immer an ihrem Arbeitsplatz erschienen waren.

SPIEGEL: Sie lehnten also Hitlers Offerte ab?

SPEER: Ja. Ich sagte ihm: »Wenn Sie wollen, daß ich weggehe, dann müssen Sie mich als Minister entlassen.« Das war ein Knockout für ihn. Er sagte: »Ich kann auf Sie aus innen- und außenpolitischen Gründen nicht verzichten.« Und dann folgte eine tolle Diskussion. Er fragte zuerst: »Sie sind doch überzeugt davon, daß der Krieg noch gewonnen werden kann?« Ich sagte ihm: »Davon kann ich nicht überzeugt sein.« Er redete etwa zehn Minuten lang auf mich ein und fragte mich dann: »Aber Sie müssen doch daran glauben, daß der Krieg nicht verloren ist?« Das verneinte ich auch.

SPIEGEL: Es war ein einfaches Nein, klipp und klar?

SPEER: Ich sagte ihm: »Ich möchte nicht zu den Schweinen gehören, die Ihnen sagen, sie glaubten es, dabei aber doch nicht glauben.« Dann kam die letzte Stufe. Er sagte zu mir: »Aber Sie müssen doch hoffen, daß der Krieg nicht verloren geht!« Nun wurde es gefährlich. Ich wich aus, denn wenn ich auch das verneint hätte, wäre es das Ende ja nicht nur der Besprechung, sondern wahrscheinlich auch das Ende von mir gewesen.

SPIEGEL: Wie wichen Sie aus?

SPEER: Daran kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Er merkte es jedenfalls und sagte: »Ich will Ihre Antwort morgen haben. Morgen geben Sie mir Ihre Antwort auf meine Frage, ob Sie hoffen, daß der Krieg noch gewonnen werden kann.« Dann war ich entlassen.

SPIEGEL: Und dann?

SPEER: Dann schrieb ich ihm einen Brief mit der Hand - machte aber eine Abschrift für mich, obwohl das eine Unkorrektheit war - und gab diesen Brief an Hitlers Sekretärin zum Abtippen. In diesem Brief legte ich ihm nochmals in persönlichen Worten nahe, darauf zu verzichten, die Basis des deutschen Volkes für die Nachkriegszeit zu vernichten. Hitler verbot aber seiner Sekretärin, den Brief zu tippen: »Ich will keinen Brief von ihm haben. Ich will ihn hier sehen, und ich will seine Antwort mündlich haben.« Ich wurde zum nächsten Morgen zu ihm bestellt.

SPIEGEL: Gingen Sie hin?

SPEER: Ja, und zwar völlig unpräpariert. Es gab einfach keine Antwort, und ich überließ es dem Augenblick, was ich sagen würde. Und dann tat ich etwas ziemlich Gemeines. Als er mir die Frage stellte, sagte ich: »Ich stehe bedingungslos hinter Ihnen.« Das war zwar keine Antwort auf die Frage, ob ich hoffte oder nicht, aber es rührte ihn doch in gewissem Sinne, und da stand er auf, gab mir die Hand und sagte: »Dann ist ja alles gut.«

SPIEGEL: Aber der Vernichtungsbefehl war doch schon erteilt? Die Gauleiter hatten ihn durchzuführen. Wie wurden die denn zurückgepfiffen?

SPEER: Das kam so: Das Gespräch mit Hitler war nämlich noch nicht zu Ende. Nachdem er mir die Hand gegeben hatte, sagte ich ihm: »Wenn ich bedingungslos hinter Ihnen stehe, dann müssen Sie auch diesen Erlaß rückgängig machen und dafür sorgen, daß nicht die Gauleiter, sondern ich ihn durchzuführen habe.« Dann entwarf ich mit seinem Einverständnis einen neuen Erlaß, der mir die Durchführung - Sie können auch sagen, die Nicht-Durchführung - übertrug. Er unterschrieb ihn, damit war mein Ziel erreicht.

SPIEGEL: Sie sind am 23./24. April 1945 noch einmal mit Hitler zusammengetroffen. Verspürten Sie trotz Ihrer mittlerweile gehegten Attentatspläne noch Reste von Loyalität?

SPEER: Eigentlich ging ich nicht zu ihm. Ich kam aus Hamburg allein deshalb noch einmal nach Berlin, um einen Mann, den ich als väterlichen Freund bezeichnen kann, aus der Hauptstadt herauszufliegen; ich hatte zwei Maschinen zur Verfügung, Typ Fieseler Storch. In der Reichskanzlei wollte ich mich mit diesem Mann, dem Vorstandsmitglied von Siemens Dr. Lüschen, treffen. Aber als Hitler erfuhr, daß ich da war, wollte er mich sprechen. Im Führerbunker war gerade eine Diskussion im Gange, ob Hitler mit seinen engsten Mitarbeitern noch herausfliegen sollte. Es war übrigens für mich eine stille Genugtuung, daß Bormann, der sonst mir gegenüber immer sehr hochnäsig war, mich abfing und auf mich einredete: »Setzen Sie sich doch dafür ein, daß wir noch heute 'runterfliegen nach dem Obersalzberg.«

SPIEGEL: Taten Sie das?

SPEER: Hitler schnitt dieses Thema ziemlich bald von sich aus an und machte klar, daß er in Berlin bleiben und dort Schluß machen wolle. Ich sagte ihm, es sei auch nicht gerade das richtige, wenn sein Leben im Wochenendhaus enden würde. Das leuchtete ihm ein. Der Abschied am nächsten Morgen war das Kühlste, was man sich vorstellen kann, kurz und bündig. Vielleicht hatte er erwartet, daß ich drinbleiben würde, oder so etwas. Er gab mir nicht die Hand.

SPIEGEL: Das war für Sie das Ende der Beziehungen zu einem Mann, von dem Sie einmal sagten, er sei bis 1934 menschlich gewesen, von 1934 bis 1938 übermenschlich, seit 1938 unmenschlich.

SPEER: Ich würde das heute auch noch so formulieren. Ich stehe auch nicht an zuzugeben, daß meine eigene Aktivität gegen Hitler erst einsetzte, als mein eigener Sektor angegriffen wurde. Es ist das Problem, das Sie bereits angeschnitten haben: Macht und Ohnmacht des Technikers in der Diktatur.

SPIEGEL: Sie kümmerten sich um Produktionsziffern und sonst gar nichts ...

SPEER: Das haben Sie mir ja schon in Ihrer Titelgeschichte vorgehalten. Es war in der Tat wie im Kastenwesen: Jeder kümmerte sich um das, was in seiner Kaste zu tun war, das andere war für ihn tabu.

SPIEGEL: Und eine dieser Kasten beschäftigte sich eben mit der Judenvernichtung, was die anderen nichts anging. Meinen Sie das?

SPEER: Natürlich darf man diesen Vergleich nicht gelten lassen, auf gar keinen Fall. Ich habe immer die Verantwortung übernommen, auch für Handlungen, an denen ich nicht beteiligt war. Ja, ich gehe noch einen Schritt weiter: Ich bekannte mich in Nürnberg auch für Verbrechen mitverantwortlich, von denen ich nichts wußte. Das ist auch heute mein Standpunkt.

SPIEGEL: Wußten Sie, was in den Konzentrationslagern geschah?

SPEER. Ich hatte nur eine vage Ahnung.

SPIEGEL: Wir können uns überhaupt nicht vorstellen, daß ein Mann in Ihrer Position nichts davon wissen konnte.

SPEER: Das ist natürlich die Gretchenfrage. Ich habe in Nürnberg schon den Amerikanern auseinandergesetzt, daß man damals zwar an die Wahrheit herankommen konnte, aber die Wahrheit nicht erforschte. Es gab Andeutungen, aber man ging ihnen nicht nach.

SPIEGEL: Was waren das für Andeutungen?

SPEER: Der Gauleiter von Niederschlesien, Hanke, kam einmal richtig erregt zu mir und sagte: »Gehen Sie nie zur Besichtigung in ein Konzentrationslager in Oberschlesien.«

SPIEGEL: Gemeint war Auschwitz.

SPEER: Das war Auschwitz, aber das wußte ich damals noch nicht. Und aus der Erregung Hankes, der an sich ein harter Kerl war, mußte ich entnehmen, daß irgend etwas da geschah, das selbst diesen Menschen fassungslos gemacht hatte.

SPIEGEL: Aber Sie haben doch selber einmal ein Konzentrationslager besichtigt, Mauthausen?

SPEER: Das war, wie ich heute weiß, zweifellos eine Schau. Man hat mir nur ein Paar Steinbaracken gezeigt, die als Musterlager aufgezogen worden waren; etwas anderes habe ich nicht gesehen.

SPIEGEL: So etwas gab es in Auschwitz auch: ein paar rote Backstein -Gebäude, weit entfernt von den Krematorien.

SPEER: Ich kam allerdings verschiedentlich mit KZ-Arbeitern in Kontakt. Das Photo, das Sie unlängst im SPIEGEL veröffentlicht haben, zeigt mich mit solchen Arbeitern. Ich besichtigte damals ein Rüstungswerk, rief ein paar Häftlinge zusammen und fragte sie, ob sie wieder ins KZ zurückwollten. Die bekamen einen furchtbaren Schreck.

SPIEGEL: Die wollten natürlich nicht zurück.

SPEER: Ich habe ihnen dann auch versichert, daß sie da bleiben können; sie bekamen normale Verpflegung, wie andere Arbeiter auch. Schon 1942 habe ich dafür gesorgt, daß russische Gefangene im Ruhrgebiet gutes Essen bekamen. Das ist in Nürnberg anerkannt worden. Die bekamen ursprünglich miserable Verpflegung und konnten nicht arbeiten. Damals erhob der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz, Gauleiter Sauckel, Einspruch; für die Arbeiter sei er allein zuständig, was auch stimmte.

SPIEGEL: Sie wollten die Gefangenen arbeitsfähig machen?

SPEER: Sie beginnen da wieder eine Art Kreuzverhör. Lassen Sie es damit bewenden, daß ich Ihnen sage: Man kümmerte sich eben nur um seinen eigenen Kram und möglichst nicht um das, was nebenan passierte. Aber: Es war nicht allein das Rationale des Managers, mich trieb auch der Beweggrund, zu helfen. Beides war miteinander verknüpft.

SPIEGEL: Wie stellt sich Ihnen heute, nach zweieinhalb Jahrzehnten, Ihre Vergangenheit im Dritten Reich dar: Blick zurück im Zorn, vorwurfsvoll im Hinblick auf eigene Fehler, distanziert mit dem Abstand von 21 Jahren geistiger Ausnüchterung?

SPEER: Ich habe das. Gefühl, nach 20 Jahren Spandau frei zu sein von der Vergangenheit. Aber die Bürde, die mir die ungeheueren Verbrechen auferlegten, werde ich nicht los.

SPIEGEL: Sie fühlen sich zu Recht verurteilt?

SPEER: Ich habe, in einem gewissen Sinne, das Urteil akzeptiert - trotz der juristischen Mängel, die der Prozeß hatte. Ich habe mit diesen 20 Jahren eine Sühne geleistet, die dem entspricht, was andere Leute mir vorwerfen können. Das, was ich Ihnen hier - das Gespräch findet ja auf Ihren Wunsch hin statt - gesagt habe, soll auch das letzte sein, was vorerst von mir zu hören ist.

SPIEGEL: Herr Speer, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Speer (M.) beim SPIEGEL-Gespräch in seiner Heidelberger Wohnung*

Hitler-Skizze für Berliner Volkshalle 1924/25: »Es wäre ein großes Glück, wenn Hitler ...

... als Architekt einen Auftrag bekommen hätte": Hitler-Skizze für Volkshallen-Eingang

Speers Lichtdom in Nürnberg: »Ab und zu zog eine Wolke ...

... durch den gotischen Dom": Architekt Speer (l.}, Chef

Seagram-Hochhaus in New York

»Propaganda für Whisky«

Front-Besucher Speer (r.), Beute-Panzer

»Ein Produktionsminister ...

Tiger-Panzer

... hat zu produzieren ...

Düsenjäger Me 262

... was verlangt wird«

Bombardierte Möhnetalsperre 1943: »Die Alliierten hätten früher gewinnen können«

Waffen-Inspizient Speer (l.), Chef

»Man kümmerte sich nur um seinen Kram«

Angeklagter Speer (r.) in Nürnberg*

»Die Wahrheit wollte man nicht erforschen«.

Werk-Besucher Speer (r.), KZ-Häftlinge: »Ich habe Sühne geleistet«

* Mit SPIEGEL-Redakteuren Manfred W. Hentschel (l.) und Dr. Wolfgang Malanowski.

* SPIEGEL 40/1966.

* Mit Reichskommissar für die besetzten

Niederlande Seyß-Inquart (l.) und »Stürmer«

-Herausgeber Streicher.

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